Kapitel 15: Regionale und komplementäre Währungen

 

Zu einer eigentlichen Gemeinschaft, das sollten wir nicht vergessen, gehört ein Gemeinwesen: ein Ort, Ressourcen, ein Wirtschaftskreis. Es erfüllt sowohl die materiellen als auch die sozialen und spirituellen Bedürfnisse seiner Mitglieder – darunter auch das Bedürfnis, voneinander gebraucht zu werden. Die Antwort auf die heutige Allianz von politischer Macht und Reichtum ist die Wiederherstellung der Einheit von Gemeinschaft und Wirtschaft.

(Wendell Berry)

Ein heiliger Lebensweg setzt uns in Beziehung mit den Menschen und Orten, die uns umgeben. Folglich muss eine heilige Wirtschaft überwiegend eine lokale Wirtschaft sein, in der uns vielschichtige, persönliche Beziehungen mit dem Land und den Leuten verbinden, die unsere Bedürfnisse erfüllen, und deren Bedürfnisse wir erfüllen. Fehlt diese Bezogenheit, leiden wir unter der Trennung zwischen dem Gesellschaftlichen und dem Materiallen. Dann fehlt es unseren sozialen Beziehungen an Substanz, und unsere wirtschaftlichen Beziehungen sind unpersönlich. Zwangsläufig fehlt uns diese Verbundenheit, wenn wir austauschbare Dienstleistungen von Unbekannten weit weg und standardisierte Produkte aus fernen Ländern kaufen. Wir fühlen uns entfremdet und ahnen, dass wir selbst, wie die Dinge, die wir kaufen, ersetzbar sind. In dem Ausmaß, in welchem auch wir Standardisiertes und Unpersönliches bereitstellen, sind wir ersetzbar.

Eine Folge von einheitlichen nationalen oder globalen Währungen ist die Vereinheitlichung der Kulturen. Wenn sich der Herrschaftsbereich des Geldes ausweitet und immer mehr stoffliche und soziale Lebensbereiche verschlingt, werden unsere Materialien und Beziehungen zu standardisierten Waren; überall die gleichen, so weit das Geld reicht. Nirgendwo ist das offensichtlicher als in den Vereinigten Staaten, dem “Land der Autobahnausfahrten”, wo jede Region von den gleichen Geschäften, Restaurants und der gleichen Architektur dominiert wird. Und überall sind wir die gleichen Angestellten und Konsumenten, den fernen Wirtschaftsmächten hörig. Lokale Besonderheiten, Autonomie und wirtschaftliche Chancen verschwinden. Die Gewinne werden an ferne Konzernzentralen und letztlich an die Börse abgesaugt. Anstelle lebendiger, ökonomisch vielfältiger Gemeinschaften mit ihrem einzigartigen lokalen Flair herrscht eine Monokultur, in der ein Ort wie der andere ist.

Das in diesem Buch bisher beschriebene Geldsystem räumt viele Barrieren für die lokale wirtschaftliche Souveränität aus dem Weg, und mildert auf verschiedene Weise den Globalisierungszwang:

1. Weltweiter Handel rentiert sich oft nur aufgrund versteckter sozialer und ökologischer Subventionen, die durch die Internalisierung von Kosten verschwinden würden.

2. Eine durch Commons gedeckte Währung stärkt die Macht der lokalen Wirtschaft, weil viele der Commons von Natur aus lokal oder bioregional sind.

3. Negativzinsgeld beseitigt den Wachstumsdruck, der die Umwandlung der einzigartigen lokalen Beziehungen in Dienstleistungen und des Naturreichtums anderer Länder in Waren vorantreibt. Schließlich stehen regionale Unterschiede der Kommerzialisierung und daher dem Wachstum im Wege.

Weil aber die Gepflogenheiten und die Infrastruktur einer lokalen Wirtschaft weitgehend verschwunden sind, braucht es zusätzliche Maßnahmen, um gemeinschaftsbasierte, ortsbezogene Wirtschaftskreisläufe wiederherzustellen. In diesem Kapitel wird eine dieser Maßnahmen diskutiert: die Anpassung und Anbindung von Geld an die örtlichen Besonderheiten.

Ich plädiere nicht für die Abschaffung des weltweiten Handels. Während zwar Vieles, was lokal bleiben sollte (wie zum Beispiel die Versorgung mit Nahrungsmitteln) globalisiert wurde, gibt es viele andere Bereiche, in denen die kollektive menschliche Kreativität einfach eine globale Koordination von Arbeitskraft erfordert. Außerdem entbehren die wirtschaftlichen Dogmen über die Effizienz der Produktion im großen Maßstab und über den komparativen Kostenvorteil (dass also manche Regionen und Kulturen für bestimmte Arten der Produktion besser geeignet sind) nicht völlig jeder Grundlage.1 Im Allgemeinen wird die heilige Ökonomie aber bewirken, dass viele Gebrauchsgüter, die man heute über alle Meere und Kontinente transportiert, in der Umgebung erzeugt werden.

Zwar machen die bisher beschriebenen Veränderungsvorschläge die Globalisierung weniger rentabel, aber die wirtschaftliche Logik, also die Maximierung irgendeiner messbaren Einheit von Wohlergehen, ist für mich nicht der Hauptgrund, warum ich mir eine regionale Wirtschaft wünsche. Meine Motivation entspringt eher einer Sehnsucht nach Gemeinschaft. Eine starke Gemeinschaft verknüpft soziale und ökonomische Bande miteinander wie zwei Fäden eines gewebten Textils, wie Kette und Schuss. Die Menschen, die von uns abhängen, und von denen wir abhängen, sind die, die wir kennen, und die uns kennen. Es ist tatsächlich so einfach. Das soll auch im Großen gelten, für die Gemeinschaft aller Lebewesen: das Land und seine Ökosysteme. Ohne Gemeinschaft fehlt uns schmerzlich etwas in unserem Dasein. Es sind nämlich diese vielgestaltigen Bindungen, die bestimmen, wer wir sind. Sie führen uns hinaus über das erbärmliche, einsame, bindungslose Ego, die “psychologische Blase in einem Gefängnis aus Fleisch”. Wir sehnen uns nach der Wiederherstellung unserer verlorenen Verbundenheit, unseres verlorenen Seins.

Die regionale Wirtschaft kehrt den jahrtausendealten Trend in Richtung der Vereinheitlichung von Kulturen um, und verbindet uns mit den Menschen und Orten, die wir jeden Tag sehen. Sie erfüllt nicht nur unser Bedürfnis nach Gemeinschaft, sondern nutzt auch der Gesellschaft und der Umwelt. Sie führt nicht nur zu einem geringeren Energieverbrauch, sie macht es auch schwieriger, die gesellschaftlichen und ökologischen Konsequenzen wirtschaftlicher Entscheidungen zu ignorieren. Heute können wir uns ja ziemlich einfach vormachen, dass unsere wirtschaftlichen Entscheidungen keine Konsequenzen hätten. Dinge, die wir benutzen, und an die wir kaum einen Gedanken verschwenden, sind eine wesentliche Ursache für Geburtsfehler in chinesischen Städten, das Abtragen ganzer Landschaften im Tagebau von Hambach oder Garzweiler, und die Versteppung einst üppiger Landstriche. Aber diese Auswirkungen sind weit weg, sie erreichen uns höchstens als Pixel auf einem Fernsehbildschirm. Ziemlich unbefangen leben wir, als würden diese Dinge nicht geschehen. Wenn die Menschen, die meine Lebensmittel anbauen, und die unsere Gebrauchsgegenstände produzieren, in Haiti oder China oder Pakistan leben, dann sehe ich nicht, ob es ihnen gut oder schlecht geht. Wenn sie nebenan leben, kann ich sie vielleicht immer noch ausbeuten, aber ich kann kaum vermeiden zu wissen, wie es ihnen geht. Die regionale Wirtschaft konfrontiert uns mit den Auswirkungen unseres Tuns. Das stärkt den Karma-Kreislauf und fördert ein Selbstverständnis, das die anderen miteinschließt. Die regionale Wirtschaft steht daher im Einklang mit dem tiefen spirituellen Wandel unserer Zeit.

15.1 Das Dilemma von Regionalwährungen

Regiogeld wird oft als eine Weg vorgeschlagen, wie die regionale Wirtschaft wiederbelebt, von den Kräften des Weltmarkts abgeschirmt, und wie Gemeinschaft wiederhergestellt werden kann. Es gibt zur Zeit tausende Regionalwährungen weltweit, inoffizielle Währungen, die von Gruppen einfacher Bürger ausgegeben werden. Theoretisch bietet Regiogeld mehrere wirtschaftliche Vorteile:

  1. Es bietet Menschen einen Anreiz, vor Ort einzukaufen, weil nur diese Geschäfte das Regiogeld annehmen und verwenden.

Es vergrößert die lokal vorhandene Geldmenge, was die Nachfrage steigert, die regionale Produktion ankurbelt, und die Beschäftigungsraten anhebt.

Das Geld bleibt innerhalb der Gemeinschaft, weil es nicht von fernen Konzernzentralen abgeschöpft werden kann.

Privatpersonen und Unternehmen können damit konventionelle Kreditwege umgehen, wodurch das Regiogeld zu einer alternativen Kapitalquelle wird, deren Zinsen (sofern es welche gibt) wieder zurück an die Gemeinschaft fließen.

Es ermöglicht die Zirkulation von Gütern und Leistungen auch zwischen Menschen, die zwar vielleicht keinen ausreichenden Zugriff auf die Landeswährung haben, aber Zeit und Fähigkeiten anbieten können.

Wenn Sie einen Imbiss kaufen wollen und Regiogeld haben, dann würden Sie ihn, selbst wenn er dort ein wenig teurer ist, wahrscheinlich eher in einer Imbissbude aus dem Ort als bei McDonald´s kaufen, weil McDonald´s das Regiogeld nicht akzeptiert. Was macht dann der Imbissbudenbesitzer mit dem Regiogeld? Gut, er kann damit nicht das Fleisch für das Kebap von einer nationalen Großmarktkette kaufen, aber vielleicht kann er von einem Bauern aus der Umgebung Fleisch kaufen oder einen Teil der Gehälter seiner Angestellten damit begleichen. Und was würden der Bauer oder die Angestellten damit tun? Dinge von andern Händlern aus dem Ort kaufen, darunter auch bei den Menschen, die zur Imbissbude essen kommen. So stärkt Regiogeld die lokale Wirtschaft.

Leider waren die praktischen Erfolge von Initiativen für Regiogeld eher enttäuschend. Oft wird die Währung mit viel Enthusiasmus eingeführt, und sie zirkuliert, solange sie von den Initiatoren beworben wird. Aber irgendwann verliert das ganze an Schwung, der Reiz des Neuen verblasst, und die Menschen hören auf, das Regiogeld zu verwenden. Einer Studie zufolge waren 2005 etwa 80% aller Regionalwährungen, die seit 1991 gegründet worden waren, wieder eingegangen.2 Ein anderes häufiges Muster ist, dass sich das Regiogeld in den Händen der lokalen Kleinhändler, die es akzeptieren, anhäuft, und dass sie keine Möglichkeit finden, es wieder auszugeben. Selbst wenn lokale Währungen relativ erfolgreich waren, machen sie letztlich einen verschwindend geringen Teil der gesamten wirtschaftlichen Aktivität aus.3 Auch wenn man die theoretischen Vorteile von Regiogeld erkennt, so muss man doch feststellen, dass es heute einfach nicht funktioniert. Und es ist entscheidend herauszufinden, warum. Immerhin erfüllten alternative Währungen im 19. und frühen 20. Jh. recht gut ihren Zweck. Im 19. Jh. bestand Papiergeld aus “Banknoten”, die von lokalen Banken herausgegeben wurden und nur innerhalb der Wirtschaftsregion akzeptiert wurden, in der die Bank lag. Erst in den 1930ern waren Regionalwährungen so erfolgreich, dass sie aktiv von den Zentralregierungen unterdrückt wurden. Was ist also seither geschehen, dass sie (mit wenigen relevanten Ausnahmen) zum Spielzeug für soziale Idealisten verkommen sind?4

Mehrere Faktoren spielen eine Rolle. Erstens ist die Wirtschaft so ortlos geworden, dass es schwierig ist, Regiogeld am Zirkulieren zu halten. Mit den Worten eines Ladenbesitzers in Deutschland, der über eine der erfolgreicheren Regionalwährungen, den Chiemgauer, spricht: “Wir akzeptieren ihn, aber wir wissen nicht, was wir damit tun sollen.“ Er akzeptiert den Chiemgauer ungern, was verständlich ist, wo doch die wenigsten seiner Zulieferer aus der Region kommen. Regionale Währungen sind nur in dem Ausmaß lebensfähig, in welchem die Produzenten Güter und Leistungen erzeugen, die lokal konsumiert werden, und zwar von Menschen, die selbst lokal konsumierte Güter und Leistungen erzeugen. In den 1930ern war die Wirtschaft noch viel regionaler. Die Menschen hatten Waren und Leistungen anzubieten, aber kein Tauschmittel, weil die Banken versagten und das Geld gehortet wurde. Heute ist die Situation ganz anders. Die meisten Menschen bieten Leistungen an, die erst aufgrund von koordinierter Arbeitskraft im riesigen, oft globalen Maßstab sinnvoll sind. Regiogeld kann keine Versorgung oder Produktionskette ermöglichen, die Millionen von Menschen in tausenden Ländern umfasst.

Während die Herstellung mancher Produkte, elektronischer Artikel beispielsweise, inhärent global sein muss, könnten viele andere Produkte regional hergestellt werden, die aber trotzdem Teil der globalen Produktionssysteme sind. Das stellt ein beachtliches ungenutztes Potential für Regionalwährungen dar. Unglücklicherweise ist die Infrastruktur für regionale Produktion und Verteilung großteils verschwunden. Regionalwährungen können zum Wiederaufbau dieser Infrastruktur beitragen, aber sie allein reichen nicht aus. Wenn sich sonst nichts ändert, fällt ihnen nur eine randständige, meist unbedeutende Rolle zu. Wie die Dinge stehen, ist Regiogeld nicht sehr nützlich für uns, weil wir nahezu alles, was wir brauchen, von außerhalb unserer Region importieren.

Warum würde zunächst einmal überhaupt jemand eine Regionalwährung akzeptieren? Einer der Gründe ist Idealismus, aber wenn wir uns darauf verlassen wollen, warum wenden wir diesen Idealismus nicht gleich auf die bestehende Währung an und “kaufen regional”? Warum sollten wir uns dann mit Regiogeld herumschlagen? Unsere Ideale sollten doch möglichst auch praktisch machbar sein. Zudem deutet die jüngere Geschichte der Regionalwährungen darauf hin, dass Idealismus nicht genügt, und dass sie stagnieren und verschwinden, wenn der anfängliche eifrige Enthusiasmus verblasst. Dann stellt sich also die Frage, wie Regionalwährungen mit dem ökonomischen Eigeninteresse in Einklang gebracht werden können.

Wir müssen Regiogeld in einem größeren wirtschaftlichen Zusammenhang sehen. Wenn eine Region ihre eigene Währung hat, aber so stark in die globale Warenwirtschaft eingebettet ist, dass fast all ihre Produkte im Ausland verkauft und die meisten Konsumartikel von außen gekauft werden, dann wird sie sich womöglich mit einer eigenen Währung gar nicht aufhalten. Unter solchen Bedingungen muss die Währung direkt umrechenbar sein (weil der Wirtschaftskreislauf an den globalen Markt angeschlossen ist), wodurch sie nicht mehr als eine Stellvertreterwährung ist für die dominante globale Verrechnungseinheit (zur Zeit ist das der U.S. Dollar). Ein solcher Ort ist wenig mehr als eine Kolonie, und tatsächlich sind die meisten Regionen solche Kolonien geworden, besonders in den Vereinigten Staaten, wo Städte ihr lokales Flair verloren haben, und nur als Produktions- und Konsumzentren für die Weltwirtschaft fungieren. Damit eine Region, eine Stadt, ein Land eine robuste eigene Währung haben kann, müssen sie auch eine eigenständige, robuste Wirtschaft haben. Um eine solche zu errichten, ist “Einfuhrsubstitution”, wie es die Ökonomin Jane Jacobs nannte, zentral: Ressourcen und Leistungen müssen aus der Region kommen, und die entsprechenden Fertigkeiten und die Infrastruktur müssen ausgebildet werden. Andernfalls ist eine Region den Launen der globalen Finanz ausgeliefert und von Warenpreisen abhängig, die keiner kontrollieren kann.

In “Entwicklungsländern”, die immer noch eine starke lokale Infrastruktur haben, helfen Regionalwährungen, diese Infrastruktur zu bewahren und sie vor der Plünderung durch die globale Finanz zu schützen. Aber in hochentwickelten Ländern, in denen eine nationale oder supranationale Währung dominiert, sieht sich jeder, der eine Regionalwährung etablieren möchte, in einer Zwickmühle. Regionalwährungen funktionieren nur, wenn es regionale Wirtschaftskreisläufe gibt, für die sie als Tauschmittel dienen. Damit so ein System aber wachsen und dem Druck der globalen Warenwirtschaft widerstehen kann, braucht es eine geschützte regionale Währung. Importe können nicht ersetzt werden, wenn lokale Produzenten gegen unbeschränkte, billige Importe konkurrieren müssen. Darum kann eine solche Wirtschaft nur durch eine bewusste Entscheidung verwirklicht werden, die von einer neuen Geschichte von den Menschen angeregt wird und eine gemeinsame Vision, gemeinsame Werte und Ziele schafft. Anders gesagt wird sie entstehen, wenn es zu einem Zusammenwirken von Demokratie, Basisbewegungen und einer Regierung kommt, die eher auf den Willen ihres Volkes eingeht, als sich dem Gutdünken internationaler Banken, dem Willen von Investoren und den Launen des Aktienmarkts zu unterwerfen. Diese Kräfte sind immer bereit, die alte Geschichte von den Menschen wieder aufzutischen, die von Konkurrenz, Getrenntheit und vom Aufstieg erzählt.

Mehrere historische Beispiele bestätigen das. Man vergleiche die desaströsen Folgen in Ländern, die in den vergangenen Jahren ihre “Märkte für den freien Handel öffneten”, mit den früheren Erfolgen von Taiwan, Südkorea und Japan, die bewusst ihre lokale Industrie durch Importsubstitution, Zolltarife und Industrieplanung stärkten und gleichzeitig die Konvertibilität ihrer Währungen einschränkten. Am besten bin ich mit der Entwicklung in Taiwan vertraut, weil ich in den 1990ern eine mehrbändige Geschichte der Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen in Taiwan übersetzt habe.5 In den 1950ern und 60ern stellte Taiwan strikte Bedingungen an ausländische Investoren. Auslandsfinanzierte Firmen mussten einen hohen Anteil der Komponenten lokal einkaufen, wodurch sie die Entwicklung der heimischen Industrie förderten. Auch in Japan, Südkorea und Singapur gab es formelle und informelle Auflagen, welche den heimischen Unternehmen einen privilegierten Status verschafften.6 Zugleich verhängten sie Währungskontrollen und Restriktionsmaßnahmen über die Rückführung von Gewinnen. Ausländische Investoren konnten ihre Währung frei in Won, Taiwan Dollars und so weiter wechseln, aber sie konnten diese nicht wieder frei zurückwechseln. Heute haben diese Länder eine große Mittelklasse, Industrieanlagen von Weltrang und ein beachtliches allgemeines Wohlstandsniveau, obwohl sie nach dem Zweiten Weltkrieg aus einer großen Armut heraus begonnen hatten.

Vergleichen Sie diese Vorgangsweise mit jener von Mexiko. Dort erlaubte man ausländischen Produzenten, in der Maquiladora-Zone Fabriken zu bauen, für die sie keine Steuern bezahlen und keinen Beschränkungen in der Gewinnrückführung unterliegen. Sie müssen auch keine Komponenten im Land kaufen. Mexiko und all die anderen Länder, die solche “Freihandelszonen” anbieten, liefern nur Billigarbeitskräfte und locken mit der Abwesenheit von Umweltauflagen. Es ist im Grunde der Ausverkauf ihres natürlichen und sozialen Kapitals, ohne dass sie im Gegenzug dafür Wissen oder Infrastruktur bekommen. Statt dass sie ihre Wirtschaft bereicherten, ließen sie sie ausbluten. Dann zogen diese Fabriken weiter, um anderswo von noch billigeren Arbeitskräften zu profitieren. In einem Land nach dem anderen zerstörten erst GATT, und dann NAFTA, die WTO und die Wirtschafts- und Währungsunion die Maßnahmen, welche die lokale Wirtschaft davor schützten, hilflose Kolonien von Warenexport und Konsum zu werden. Einzig die Eliten, die relativ unabhängig von der lokalen Wirtschaft sind, profitierten davon. Anders als die Massen können sie importieren, was sie brauchen, und wegziehen, wenn die Bedingungen unerträglich werden.

Finanzielle Autonomie ist entscheidend für politische Souveränität. Schließlich bedeutet politische Souveränität sehr wenig, wenn außenstehende Konzerne das natürliche und soziale Kapital dieser Gesellschaft – ihre Ressourcen, Fähigkeiten und Arbeitskraft – plündern und ihre Beute auf die globalen Märkte exportieren. Jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, ergreifen Brasilien, Thailand und andere Länder Maßnahmen, um ihre Wirtschaft vor der Flut der billigen U.S. Dollars aus dem quantitativen Lockerungsprogramm der Fed zu schützen. Ohne Kontrolle würden es diese Dollars ausländischen Investoren erlauben, Aktien, Minen, Fabriken, Versorgungsunternehmen, etc. eines Landes aufzukaufen. Diese Länder erkennen, dass eine ernstzunehmende Souveränität eine wirtschaftliche Souveränität sein muss.

Was für Nationen zutrifft, gilt auch für kleinere Regionen. Aber im Vergleich zum Vorschlag für negative Zinsen mag die Idee, dass regionale Regierungen ihre eigene Währung ausgeben, naiv und undurchführbar erscheinen. Eigentlich ist das eine durchaus machbare Lösung, die nur ständig unterdrückt wird. Obwohl es illegal ist, dass Staaten in den USA und vielen anderen Ländern ihre eigene Währung drucken, finden Menschen Wege, die Gesetze zu umgehen, wenn es notwendig wird.

Die Finanzkrise in Argentinien 2001-2002 ist dafür exemplarisch. Als die Landesregierungen kein Geld mehr hatten, um Angestellte und beauftragte Firmen zu bezahlen, beglichen sie ihre Schulden statt dessen mit Inhaberschuldverschreibungen mit kleinem Nennwert (ein-Peso-Wertpapiere, fünf-Peso-Wertpapiere …). Die örtlichen Unternehmen und Einwohner akzeptierten diese Wertpapiere bereitwillig, nicht weil irgendwer im Ernst erwartete, dass sie jemals gegen harte Währung umtauschbar würden, sondern weil man sie verwenden konnte, um Landessteuern und Gebühren zu bezahlen. Dass sie für Steuerzahlungen akzeptiert wurden, führte auch zu ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz. Und wie immer ist der Wert von Geld identisch mit der allgemeinen Auffassung über seinen Wert. Diese Landeswährungen mit einem Nennwert in derselben gemeinsamen Recheneinheit zirkulierten weit über jene Regionen hinaus, in denen sie emittiert worden waren. Sie belebten die wirtschaftliche Aktivität, die zum Stillstand gekommen war, weil die Menschen zwar weiterhin imstande waren, Waren und Dienstleistungen zu produzieren, die andere Menschen auch brauchten, ihnen aber das Mittel fehlte, um diese miteinander zu tauschen. Das war nur möglich, weil Argentinien ein reiches Land ist, das nicht vollständig zum reinen Exportproduzenten gemacht worden war. Gleichzeitig beschloss die Regierung die Nichtanerkennung der Auslandsschulden, was die Importe zeitweilig abbrechen ließ und eine lokale Autarkie notwendig machte. An diesem Punkt schritt der IWF mit Hilfskrediten ein, um das Land dazu zu bringen, seine Schulden nicht aus den Büchern zu streichen.

Im Jahr 2009 schrammte Kalifornien um Haaresbreite an einer ähnlichen Situation vorbei. Angesichts einer Budgetkrise sah sich der Staat nicht in der Lage, Steuerrückvergütungen und Schulden an beauftragte Firmen zu begleichen und emittierte stattdessen Schuldscheine. Ähnlich wie Wertpapiere konnten diese zu einem späteren Zeitpunkt um ihren Nennwert plus Zinsen zurückgefordert oder zur Begleichung von Steuerschulden verwendet werden. Obwohl die Schuldscheine in Dollars beziffert waren, drohten die Banken, diese nicht umzutauschen – was sie zu einer getrennten Währung gemacht hätte. Diese Episode zeigt, dass es ganz unter der Oberfläche Kräfte gibt, die auf ein anderes Geldsystem drängen. Die Maßnahmen in diesem Buch, die in normalen Zeiten (also in der Normalität exponentiellen Wachstums, die nie wieder kommen wird) undenkbar sind, werden zunehmend allgemein als machbar erkannt.

Jetzt, 2011 leben wir zwar nicht mehr in normalen Zeiten, aber unsere Gewohnheiten aus diesen Zeiten lassen uns noch unflexibel sein. Dementsprechend haben Regionalwährungen einen schweren Stand und stagnieren ohne staatliche Unterstützung. Schlimmer noch, Regierungen bekämpfen sie mit lähmenden Schikanen durch Steuergesetze. Von Bürgern geschaffene Währungen werden zwar nicht für die Bezahlung von Steuern akzeptiert, aber Transaktionen in diesen Währungen unterliegen andererseits der Einkommens- und Umsatzsteuerpflicht. Das bedeutet, dass man, wenn man nur Regiogeld verwendet, die Steuern immer noch in U.S. Dollars oder Euros bezahlen muss, selbst wenn man keine verdient.7 Menschen in einer Währung zu besteuern, die sie nicht verwenden, bedeutet Zwangsherrschaft – sie war ein Grund für die amerikanische Revolution und ein Schlüsselinstrument des Kolonialismus (siehe die Diskussion über die “Hut-Tax” in Kapitel 20).

Dort, wo Regionalwährungen erfolgreich waren, wurden sie entweder von der Regierung unterstützt, oder sie entstanden in Kriegsgebieten oder unter anderen außergewöhnlichen Umständen. In Argentinien zwischen 2001 und 2002 sowie in Amerika und Europa während der Weltwirtschaftskrise emittierten sogar Landesregierungen eigene Währungen. Darüber hinaus gab es damals immer noch viel lokale Produktion, Subsistenzlandwirtschaft, örtliche Verteilungs- und Versorgungsnetzwerke und generell lokales Sozialkapital. Regionalwährungen hatten dort eine echte Chance und zogen deswegen den Argwohn der zentralen Autoritäten auf sich. Im Fall von Argentinien verlangte der IWF deren Abschaffung als Voraussetzung für seine Finanzhilfe.

Dennoch waren die Mühen der Aktivisten für Regiogeld in den vergangenen 20 Jahren nicht vergebens. Sie sind ein Beispiel (eigentlich viele Beispiele), auf die wir zurückgreifen können, wenn die nächste Krise ausbricht, und das Undenkbare zur allgemein anerkannten Normalität wird. Sie schaffen eine neue Logik, eine neue Vorlage, glätten die Kanten und sammeln Erfahrungen, die sehr bald entscheidend sein werden. Sehen wir uns also einige Modelle für Komplementärwährungen näher an, die heute getestet werden, und die in der bevorstehenden heiligen Ökonomie eine Rolle spielen könnten.

15.2 Experimente mit Regiogeld

Dollar- bzw. Eurogedeckte Alternativwährungen

Die erste Art von Regionalwährungen, die ich behandeln werde, sind solche, die durch Dollars oder Euros gedeckt sind, wie der Chiemgauer oder die BerkShares. Man kauft hundert BerkShares für 95$ und kann damit Waren zum gewöhnlichen Dollarpreis bezahlen. Der Händler wechselt dann hundert BerkShares gegen 95$ bei den teilnehmenden Banken. Aufgrund dieser einfachen Umtauschbarkeit akzeptieren Händler diese Währungen bereitwillig, weil das zusätzliche Umsatzvolumen den Abschlag von 5% wettmacht. Aber gerade diese leichte Umtauschbarkeit schränkt die Nützlichkeit der Währung für die lokale Wirtschaft ein. Im Prinzip haben die Händler einen fünfprozentigen Anreiz, Waren vor Ort zu kaufen, aber wenn es keine lokale wirtschaftliche Infrastruktur gibt, werden sie sich darum nicht bemühen.

Solche Alternativwährungen tragen kaum zur Belebung lokaler Wirtschaftskreisläufe bei und erweitern auch nicht die lokale Geldmenge. Sie sind Ausdruck des Wunsches, regional einzukaufen, aber sie liefern nur wenig Anreiz, das auch zu tun. Weil BerkShares aus Dollars entstehen und direkt umtauschbar sind, stehen jedem, der auf erstere Zugriff hat auch letztere zur Verfügung. Das internationale Äquivalent dazu kann man in Ländern finden, die ein Currency Board eingerichtet haben. Wir nennen diese Wirtschaften dollarisiert, weil sie im Grunde jegliche monetäre Unabhängigkeit aufgegeben haben. Dollar- oder eurogedeckte Alternativwährungen wie der BerkShare sind nützlich, um das Bewusstsein für die Idee von Komplementärwährungen zu stärken, aber sie selbst sind nicht dafür geeignet, eine lebendige lokale Wirtschaft zu fördern.

Komplementäre Fiatwährungen

Erfolgversprechender sind da schon Fiatwährungen wie die Ithaca Hours, die tatsächlich die lokale Geldmenge vergrößern. Viele Formen von Anrechtsscheinen aus der Weltwirtschaftskrise fallen auch in diese Kategorie. Im Prinzip druckt einfach jemand Geld und erklärt, dass es einen Wert besitzt (ein Ithaca Hour entspricht zum Beispiel zehn U.S. Dollars). Damit so etwas Geld sein kann, muss sich eine Gemeinschaft darauf einigen, dass es einen Wert hat. Im Fall von Ithaca Hours vereinbarte eine Gruppe von Unternehmern, die vom Währungsgründer Paul Glover inspiriert waren, einfach, dass sie die Währung akzeptieren. Im Grunde deckten sie dadurch die Währung mit ihren Waren und Dienstleistungen. Während der Großen Depression wurden Anrechtsscheine oft vom größten Geschäft im Ort ausgegeben, das sie für Handelsartikel, Kohle oder andere Waren eintauschen konnte. In anderen Fällen gab eine Stadtregierung ihre eigene Währung heraus, welche dadurch gedeckt war, dass man damit die lokalen Steuern und Gebühren bezahlen konnte.

Fiatwährungen sind viel wirkmächtiger als eurogedeckte Alternativwährungen, weil sie auch jenen Menschen Geld in die Hand geben, die andernfalls kein Geld hätten. Sie wirken nur dann inflationär, wenn die Menschen, dieses Geld in Umlauf bringen, selbst keine Güter oder Dienstleistungen bereitstellen, das Geld verwenden.8 In wirtschaftlich schwierigen Zeiten gibt es oft genug Menschen, die arbeiten wollen, und viele Bedürfnisse, die zu erfüllen sind; nur das Geld, das diese Transaktionen vermitteln könnte, fehlt. So war es während der Großen Depression, und heute haben wir es mit einer ähnlichen Situation zu tun. Kommunalverwaltungen auf der ganzen Welt sehen sich mit drastischen Budgetkürzungen konfrontiert, weil die Steuereinnahmen fehlen. Das zwingt sie, wichtige Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten aufzuschieben und sogar Polizisten und Feuerwehrleute zu entlassen. Gleichzeitig sind große Teile der lokalen Bevölkerung, die diese Aufgaben bewerkstelligen könnten, arbeitslos und sitzen herum. Obwohl dem zur Zeit gesetzliche Hürden im Wege stehen, können und werden wahrscheinlich die Gemeinden Gutscheine anstelle von U.S. Dollars ausgeben, mit denen man die lokalen Steuern begleichen kann. Mit diesen Gutscheinen könnten Menschen für anstehende notwendige Arbeiten bezahlt werden. Warum auch nicht? Viele sind sowieso mit ihren Steuern im Zahlungsrückstand. Wenn die lokale Regierung selbst der Emittent ist, werden solche Schuldverschreibungen viel leichter Teil der “Geschichte vom Wert”, durch die sie den Charakter von Geld annehmen.

Solche Währungen werden oft als komplementär bezeichnet, weil sie vom offiziellen Tauschmittel getrennt und dazu komplementär sind. Obwohl sie gewöhnlich in Einheiten wie Dollar, Euro, Pfund, etc. angegeben werden, gibt es kein Currency Board, das Dollarreserven hält, um den Wechselkurs zu stabilisieren. Sie ähneln also einer üblichen unabhängigen Währung mit einem gleitenden Wechselkurs.

Ohne die Unterstützung einer lokalen Regierung sind Unternehmen meist viel weniger bereit, komplementäre Fiatwährungen zu akzeptieren, weil diese im Gegensatz zu eurogedeckten Alternativwährungen nicht einfach in Euro eingewechselt werden können. Das liegt daran, dass im herrschenden Wirtschaftssystem nur wenig Infrastruktur besteht, um Güter lokal zu beziehen. Örtliche Unternehmen sind genauso in die weltweiten Zuliefererketten eingebunden wie alle anderen auch. Bis die Infrastruktur und die lokale Produktion sich neu ausbilden, wird es eine Weile dauern. Auch müssen sich die makroökonomischen Bedingungen ändern, und zwar durch die Internalisierung von Kosten, das Ende des Wachstumsdrucks und eine gesellschaftliche und politische Entscheidung für die Stärkung der Regionen. Faktoren außerhalb der Wirtschaft können die soziale Übereinkunft Geld beeinflussen. Der Idealismus der Wenigen, der heute die Regionalwährungen trägt, wird zum allgemeinen Konsens werden.

Zeitbanken

Es gibt eine Ressource, die immer lokal vorhanden ist und in jedem Fall gebraucht wird, um das Leben zu erhalten und zu bereichern. Diese Ressource sind die Menschen: ihre Arbeitskraft, ihre Energie, ihre Zeit. Zuvor sagte ich, dass Regionalwährungen nur in dem Ausmaß praktikabel sein können, in welchem die Produzenten Waren und Dienstleistungen bereitstellen, die lokal konsumiert werden, und zwar von Leuten, die selbst wieder lokal konsumierte Waren und Dienstleistungen erzeugen. Gut, wir sind immer “Produzenten” unserer Zeit (einfach, indem wir leben), und es gibt viele Möglichkeiten, wie diese Zeit zum Wohl und Nutzen anderer verwendet werden kann. Darum glaube ich, dass zeitbasierte Währungen (oft “Zeitbanken” genannt) vielversprechend sind, ohne dass große Veränderungen in der wirtschaftlichen Infrastruktur vorgenommen werden müssen.

Wenn jemand eine Dienstleistung über eine Zeitbank bereitstellt, wird ein Zeit-Dollar oder Zeit-Euro pro Stunde eingebrachter Arbeit auf seinem oder ihrem Konto gutgeschrieben und vom Empfänger abgebucht. Gewöhnlich gibt es ein elektronisches „schwarzes Brett“, auf dem Angebote und Bedürfnisse veröffentlicht werden können. Menschen, die sich sonst die Arbeit eines Handwerkers, Massagetherapeuten, Babysitters etc. nicht leisten könnten, sind so in der Lage, die Hilfe von Personen in Anspruch zu nehmen, die andernfalls vielleicht arbeitslos wären. Zeitbanken blühen gewöhnlich in Regionen auf, wo Menschen eine Menge Zeit und nicht sehr viel Geld haben. Sie sind speziell in den Bereichen verlockend, die wenig Spezialisierung erfordern, wo also die Zeit jeder Person tatsächlich gleich viel wert ist. Ein Musterbeispiel ist die berühmte Währung Fureai Kippu in Japan. Sie wird Menschen gutgeschrieben, die ihre Zeit mit der Pflege alter Menschen verbringen. Zeitbanken werden auch häufig von Dienstleistungsorganisationen in Amerika oder Großbritannien verwendet. Sie können auch auf materielle Dinge angewendet werden, normalerweise so, dass die Materialkosten in Dollar und die Arbeitszeitkosten in Zeit-Dollar beglichen werden.

In unserer atomisierten Gesellschaft sind die traditionellen Kanäle, über die man erfahren kann, wer was anzubieten hat, zusammengebrochen, und kommerzielle Wege, diese Information zu verbreiten (beispielsweise Werbung), sind nur über Geld zugänglich. Zeitbanken verbinden Einzelne direkt miteinander, die sonst gar nicht wüssten, welche Bedürfnisse bestehen und welche Fähigkeiten jeder anzubieten hat. Wie es ein Zeitbankbenutzer ausdrückt:

Jeder hat Fähigkeiten – manche werden dich überraschen. Eine ältere Dame, die ans Haus gefesselt ist, weil sie nicht Auto fahren kann, macht kunstvolle Hochzeitstorten. Eine Frau im Rollstuhl, die früher Polizeihunde ausgebildet hat, und deren Haus jetzt ausgemalt werden muss, bietet Welpenerziehung an. Die pensionierte Lehrerin braucht jemand, der das Laub zusammenrecht. Sie hat dafür einen Brennofen und lehrt Töpfern. Wenn wir einander treffen, lauten die üblichen Fragen: “Was machst du?”, “Was brauchst du?” oder: “Was kann ich für dich tun?”9

Diese Beschreibung macht deutlich, dass es die Stärke der Zeitbanken über die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung hinaus ist, Gemeinschaft wiederherzustellen. Sie erzeugen eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Resilienz, die das Leben auch in schwierigen Zeiten trägt. Wenn das Geldsystem kränkelt, ist es wichtig, alternative Strukturen zu haben, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen.

Die Idee, auf der die Zeitbanken fußen, ist fundamental egalitär; zum einen, weil die Zeit aller Teilnehmenden gleich bewertet wird, und zum anderen, weil jeder am Anfang dieselben Ausgangsbedingungen hat. Wenn man über etwas sagen kann, dass wir es wirklich besitzen, dann ist es unsere Zeit. Anders als jede andere Form von Besitz ist unsere Zeit, solange wir leben, untrennbar mit uns verbunden. Unsere Entscheidung, wie wir unsere Zeit verbringen, ist gleichbedeutend mit unserer Wahl, wie wir unser Leben führen. Und wenn einer noch so reich an Geld ist, kann er sich trotzdem nicht mehr Zeit kaufen. Man kann sich mit Geld vielleicht eine lebensrettende Operation oder andere lebensverlängernde Maßnahmen kaufen, aber das garantiert trotzdem kein langes Leben. Und man kann damit nicht mehr als vierundzwanzig durchlebte Stunden pro Tag kaufen. Darin sind wir alle gleich; ein Geldsystem, das diese Gleichheit anerkennt, ist schon intuitiv ansprechend.

Wenn eine zeitbasierte Währung Geldtransaktionen ersetzt, ist sie eine große ausgleichende Kraft in der Gesellschaft. Es besteht aber die Gefahr, dass zeitbasierte Währungen dazu führen, dass vormals geschenkbasierte Handlungen in den Herrschaftsbereich des Zählbaren überführt werden. Vielleicht gehört die Zukunft den nicht-monetären, nicht-quantifizierbaren Möglichkeiten, mit denen Fähigkeiten und Bedürfnisse zueinander in Bezug gesetzt werden können. Aber Zeitbanken werden zumindest noch für eine lange Zeit eine wichtige Rolle bei der Heilung unserer zersplitterten lokalen Gemeinschaften spielen.

15.3 Die Rückeroberung von Kredit als Gemeingut

Eine andere Möglichkeit, die lokale wirtschaftliche und monetäre Autonomie zu fördern, ist das Kreditsystem. Wenn eine wirtschaftliche Gemeinschaft Kreditaufnahmen – und damit die Verteilung von Geld – mit Hilfe von formellen oder informellen Mitteln beschränkt, kann die lokale Wirtschaft ihre Unabhängigkeit wahren, so, als hätte sie Währungskontrollen eingeführt. Um dies zu illustrieren, sehen wir uns eine Innovation an, die oft in Diskussionen über Komplementärwährungen erwähnt wird: Mutual-Credit-Systeme, dazu zählen kommerzielle Barter-Ringe, Kooperativen, in denen Forderungen gegeneinander aufgerechnet werden (Anm. d. Ü.: das nennt man “Clearing“) und lokale Tauschkreise (LETS, local exchange trading systems). Wenn eine Transaktion in einem Mutual-Credit-System stattfindet, wird vom Konto des Käufers der Betrag des vereinbarten Kaufpreises abgebucht, und auf dem Konto des Verkäufers gutgeschrieben – unabhängig davon, ob der Käufer einen positiven Kontostand hat oder nicht. Ich mähe zum Beispiel Ihren Rasen zum vereinbarten Preis von 20 Einheiten. Wenn wir beide mit null beginnen, habe ich jetzt einen Kontostand von +20 und Sie einen von -20. Dann kaufe ich Brot von Thelma für zehn Einheiten. Jetzt ist mein Kontostand bei +10 und Thelmas ist auch bei +10.

Dieses System hat viele Anwendungsmöglichkeiten. Das Beispiel oben veranschaulicht, wie ein lokales Kreditsystem im kleinen Maßstab, oft LETS genannt, funktioniert. Seit der Gründung 1983 durch Michael Linton haben viele LETS Systeme auf der ganzen Welt Fuß gefasst. Mutual-Credit- Systeme sind ebenso auf der kommerziellen Ebene nützlich. Jedes Netzwerk aus Unternehmen kann eine kommerzielle Barter- oder Clearing-Kooperative gründen, wenn es die Grundvoraussetzung erfüllt, dass jedes der Unternehmen etwas produziert, was ein anderes braucht. Statt dass sie Wertpapiere ausgeben oder sich um kurzfristige Kredite von Banken bemühen, erzeugen beteiligte Unternehmen ihre eigenen Kredite.

Bei kommerziellen Barter-Transaktionen verkaufen Firmen überzähliges Inventar und ungenutzte Kapazitäten, für die es gerade keinen unmittelbaren Bargeldmarkt gibt, an andere Unternehmen im Austausch gegen Handelskredite. Der Käufer erspart sich Bargeld, und der Verkäufer baut sich Kredite auf, die er für künftige Transaktionen nutzen kann. Es braucht kein idealistisches Bekenntnis zu Komplementärwährungen, um Unternehmen zur Teilnahme zu motivieren; die meisten Tauschsysteme verlangen sogar eine stolze Gebühr für die Mitgliedschaft. Weltweit operieren etwa 600 kommerzielle Barter-Ringe, an denen etwa eine halbe Million Firmen beteiligt sind.10

Noch neuer ist das von Martin “Hasan” Bramwell erdachte Konzept des Mutual Factoring. Üblicherweise erhalten Unternehmen Bestellungen viel früher, als die Bezahlung dafür eintrifft. Um das für die Erfüllung dieser Bestellung nötige Bargeld zu erhalten, müssten sie normalerweise die ausstehende Rechnung gegen einen Abschlag an einen Dritten (genannt “Factor”), zum Beispiel eine Bank verkaufen. Mutual Factoring umgeht die Banken und erlaubt, dass ausstehende Rechnungen als liquides Tauschmittel zwischen teilnehmenden Unternehmen verwendet werden können.

Das berühmteste kommerzielle Mutual-Credit-System ist zweifellos das schweizerische Verrechnungssystem WIR, das seit 1934 besteht. Es hat zehntausende Mitglieder und ein Handelsvolumen von über einer Milliarde Schweizer Franken vorzuweisen. 2005 stellte dieses Volumen jenes aller andern kommerziellen Tauschhandelsringe weltweit zusammengenommen in den Schatten.11 Dem Ökonomen James Stodder zufolge üben sowohl das WIR-System als auch andere kommerzielle Tauschhandelsgeschäfte eine antizyklische Wirkung aus. Sie weisen eine größere Austauschaktivität in wirtschaftlich schwachen Phasen auf, eine Tatsache, die er darauf zurückführt, dass sie Kredit schöpfen können.12 Das zeigt, dass Komplementärwährungen und Kreditsysteme die Teilnehmer vor makroökonomischen Fluktuationen beschützen und lokale Wirtschaftskreisläufe stärken können.

In jedem Mutual-Credit-System haben die Mitglieder ohne die Beteiligung von Banken Zugriff auf Kredite. Statt dass sie wie in einem zinsbasierten System Geld bezahlen, um Geld zu verwenden, ist der Kredit ein freies gesellschaftliches Gut, das allen zur Verfügung steht, die das Vertrauen der Gemeinschaft erlangt haben. Im Wesentlichen ist das heutige Kreditsystem ein Beispiel für die Privatisierung der Commons, die ich schon früher in diesem Buch besprochen habe. In diesem Fall ist es das Gemeingut “Kredit” – das allgemeine Urteil einer Gemeinschaft über die Kreditwürdigkeit jedes ihrer Mitglieder. Mutual-Credit-Systeme erobern dieses Gemeingut zurück, indem Kredit kooperativ und nicht für privaten Profit erzeugt wird.

Ein Mutual-Credit-System ist weniger eine Währung als vielmehr ein Mittel, um eine solche Währung zu emittieren. Im herrschenden System sind es vor allem Banken, die Zugang zu Geld verschaffen, indem sie Kredite gewähren. In Mutual-Credit-Systemen obliegt diese Macht direkt den Nutzern.

Die Entstehung von Mutual-Credit-Systemen ist äußerst wichtig, weil Kredit im Grunde für die Wahl einer Gesellschaft steht, wer Zugriff auf Geld bekommen soll, und in welchem Umfang. Ein Mutual-Credit-System ersetzt die traditionelle Funktion der Banken. Menschen mit einem negativen Kreditsaldo stehen unter sozialem Druck und unter dem Druck ihres eigenen Gewissens, Güter und Leistungen anzubieten, die ihren Kontostand wieder auf die positives Seite zurückbringen. Wie Ihnen wahrscheinlich aufgefallen ist, birgt dieses System ein potentielles Problem, wenn es im großen Maßstab angewendet wird. Wie kann man verhindern, dass einer der Teilnehmer immer höhere negative Kontostände ansammelt und damit im Grunde Güter für nichts bekommt? Das System braucht dafür eine Handhabe und muss Teilnehmer ausschließen können, die es missbrauchen.

Ohne Überziehungslimits kann eine auf wechselseitigem Kredit basierende Währung unbeschränkt erzeugt werden, einfach durch den Willen, eine Transaktion durchzuführen. Das mag erstrebenswert wirken, aber es wird nicht funktionieren, wenn diese Währung verwendet wird, um knappe Güter zu tauschen.13 Schließlich repräsentiert Geld eine gesellschaftliche Übereinkunft darüber, wie Arbeitskraft und Materialien verteilt werden sollen. Nicht jeder kann Zugriff auf genug Kredit haben, um eine Milliarden-Euro teure Halbleiterfabrik zu bauen oder den größten Diamanten der Welt zu kaufen.

Ausgeklügeltere Mutual-Credit-Systeme haben flexible Kreditlimits, die auf verantwortungsvoller Teilnehme basieren. Das Global Exchange Trading System (GETS, ein proprietäres System für Kreditverrechnung) und das Community Exchange System (CES) verwenden komplizierte Formeln, nach denen die Kreditlimits mit der Zeit steigen, je nachdem, wie oft und wie gut jemand am System teilgenommen hat. Jene, die in der Vergangenheit ihre Verpflichtungen aufgrund von negativen Kontoständen erfüllt haben, bekommen ein höheres Kreditlimit. Dieses Schema funktioniert genauso wie die konventionelle Bonitätsbeurteilung.

Die echte Welt hält sich aber nicht immer an Schemata. Verschiedene Unternehmen haben unterschiedliche Kreditbedürfnisse, und manchmal kommt es zu Ausnahmesituationen, die einen temporär höheren Kreditrahmen rechtfertigen. Es braucht eine Vorgehensweise, die regelt, wie diese Limits gesetzt werden, und wann Kreditanfragen gewährt oder abgewiesen werden. Das erfordert Recherchen, man muss mit den Branchen und Märkten vertraut sein, und man muss über den Ruf des Kreditnehmers und seine Umstände Bescheid wissen. Auch die sozialen und ökologischen Auswirkungen der Investition sollten berücksichtigt werden. Welche Instanz auch immer diese Funktion erfüllt, sei es eine traditionelle Bank, eine Kooperative oder eine P2P Community, muss über ein gutes Allgemeinwissen über das Geschäftsfeld verfügen und bereit sein, Verantwortung für die getroffenen Bewertungen zu übernehmen.

Neue Formen von P2P Bankgeschäften stehen vor eben diesem Problem, die Kreditwürdigkeit über die Kluft des anonymen Internets hinweg beurteilen zu müssen. Man könnte sich ein System vorstellen, in dem eine Datenbank Sie, wenn Sie €5.000 haben und diese für sechs Monate verleihen wollen, mit einer weit entfernten Person, die diese Summe für sechs Monate leihen möchte, in Verbindung setzt. Sie kennen diesen Menschen nicht, wie können Sie also wissen, ob er kreditwürdig ist? Vielleicht könnte ein Benutzerbewertungssystem à la eBay eine Teillösung bieten, aber solche Systeme können leicht manipuliert werden. Was Sie wirklich brauchen, ist eine vertrauenswürdige Institution, die diese Person besser kennt als Sie, um Ihnen deren Kreditwürdigkeit zuzusichern. Klingt das bekannt? Man nennt eine solche Institution Bank.

Das Bankgeschäft hat wie das Geld eine heilige Dimension: ein Bankangestellter ist jemand, der schöne Verwendungsmöglichkeiten für Geld findet. Wenn ich mehr Geld habe, als ich verwende, kann ich sagen: “Hier, Frau Bankerin, bitte finden Sie jemand, der dieses Geld gut verwenden kann, bis ich es wieder brauche.” Eine verfallende Währung, wie in Kapitel 12 beschrieben, bringt diese Vorstellung vom Bankgeschäft in Einklang mit dem Eigeninteresse. Das wird weiterhin eine wichtige Funktion sein, auch wenn “gut anlegen” nicht mehr heißen wird: “meinen persönlichen Reichtum vergrößern”.

Sei es durch gesellschaftliche Übereinkunft, Formeln, oder die Entscheidungen von Spezialisten – es muss eine Möglichkeit geben zu regeln, wie Kredit vergeben wird. Bankfunktionen werden implizit oder explizit immer existieren. Heute hat ein Bankenkartell diese Funktionen monopolisiert und profitiert nicht nur von seiner Expertise darüber, wie Kredite möglichst lukrativ vergeben werden, sondern auch von seinem Kontrollmonopol über das einstige Gemeingut Kredit. Beginnend mit den kleinen Kooperativen für wechselseitige Kredite, die dann untereinander Übereinkünfte über den Austausch miteinander treffen, könnte schließlich ein von Grund auf neues Bankensystem entstehen. Die Konvertibilität zwischen verschiedenen Mutual-Credit-Systemen ist ein heißes Thema im Feld, und es werden schon Prototypen von CES und der Metacurrency Initiative entwickelt.14 Die Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen der Konvertibilität (um Handel über größere Entfernungen zu ermöglichen) und der Abschirmung des internen Wirtschaftsraums der Mitglieder vor der Plünderung durch Außenstehende oder vor Finanzschocks zu finden. Das sind im Grunde die gleichen Probleme, vor denen kleine souveräne Staaten heute stehen.

Mutual-Credit-Systeme erobern die Funktionen der Banken für eine lokale Gemeinschaft, eine Gruppe von Unternehmen oder eine Kooperative zurück. Sie stärken und schützen den internen Wirtschaftsraum ihrer Mitglieder und schirmen ihn ab vor äußeren Schocks und vor finanzieller Plünderung, eben so, wie das Regionalwährungen tun. Tatsächlich werden Regionalwährungen nie fähig sein, über die Wahrnehmungsgrenze und Bedeutungslosigkeit hinauszuwachsen, wenn sie keinen Mechanismus zur Kreditvergabe haben, der sie vor spekulativen Anstürmen schützt, wie sie zahlreiche nationale Währungen in den letzten zwanzig Jahren erleiden mussten. Lokale und regionale Organisationen zur Kreditverrechnung können Kapitalkontrollfunktionen ausüben, ähnlich jenen Kontrollmechanismen, die in vorausblickenden Staaten einführt wurden, als diese ihre Wirtschaft mithilfe von Einfuhrsubstitutionen entwickelten. Das berühmteste System zur wechselseitigen Kreditverrechnung, das Schweizer WIR System, stellt ein eher außergewöhnliches Modell für dieses Prinzip dar: Wenn man einmal WIR gekauft hat, kann man das Geld nicht mehr umtauschen. Auf lokaler Ebene würde das ausländische Investoren zwingen, teilweise Güter und Leistungen lokal zu beziehen. Ähnliche aber weniger extreme Maßnahmen wurden in den 1950ern und 1960ern in Taiwan, Japan, Singapur und Südkorea ergriffen, als dort die Rückführung von Gewinnen ausländischer Firmen beschränkt wurden.

Kredite selbst sind eine Art von Importen, die von lokalen Regierungen ersetzt werden können. Die oben erwähnten asiatischen Länder machten das. Durch Richtlinien der Regierungen und informelle kulturelle Barrieren verweigerten sie ausländischen Banken den Zutritt in den Wirtschaftsraum. Auf bioregionaler oder lokaler Ebene können Regierungen auch ohne Regiogeld Kredite von außen ersetzen, indem sie ihre eigenen öffentlichen Banken betreiben.15 Wenn wir für Kredit zahlen müssen, sollte dann das Geld nicht in der lokalen Wirtschaft bleiben? Heute veranlagen staatliche und regionale Regierungen Steuereinkommen bei multinationalen Banken, die es dort investieren, wo der meiste Profit zu erwarten ist. In einer Zeit der Bankenzusammenschlüsse haben sie ja gar keine andere Wahl, weil lokale Banken zu größeren Einheiten fusioniert sind. Öffentlich-rechtliche Banken, zum Beispiel die Bayerische Landesbank , könnten lokal Geld verleihen und lokale Projekte finanzieren, ohne Kredite mit mit hoher Rendite am Anleihenmarkt zu vergeben. Sie übten eine antizyklische Funktion aus, indem sie in Zeiten von Kreditflauten Geld verleihen und die Gewinne des Bankengeschäfts in der Region halten, statt sie an die internationalen Finanzmärkte zu exportieren. Banken im staatlichen Eigentum müssen nicht profitorientiert arbeiten, und alle Gewinne, die sie machen, können an ihre Eigentümer, also die Bevölkerung, weitergegeben werden und so das Gemeingut Kredit wiederherstellen. Diese Vorteile gelten selbst im jetzigen Geldsystem .

Auf nationaler Ebene unterscheidet sich das staatliche Bankwesen nur wenig von der Macht, Währungen zu emittieren; einer Macht, die die Vereinigten Staaten (und die meisten anderen Länder) abgegeben und an eine private Institution, die Federal Reserve, übertragen haben. Aber theoretisch könnten sie ihre eigene Bank gründen, die ihnen Geld borgt, indem sie es zu 0% oder zu negativen Zinssätzen druckt. Oder der Staat könnte das Bankensystem umgehen und direkt Geld schöpfen, wie es die Verfassung erlaubt, und wie es während des Amerikanischen Bürgerkriegs auch gemacht wurde.16 Die in Kapitel 11 umrissenen Vorschläge für eine Währung würden es lokalen Regierungen ermöglichen, das gleiche zu tun, also Geld zu emittieren, das von den unter ihrer Verwaltung stehenden Commons “gedeckt” ist. Schließlich könnten sich die politischen Verwaltungseinheiten so verändern, dass sie eher mit biologischen und kulturellen Regionen übereinstimmen. Regionale Regierungen werden mehr Autonomie haben als heute, wenn sie über die Macht verfügen, ihr eigenes Geld zu emittieren.

Die Entscheidung, wie Kapital im großen Maßstab verteilt wird, ist nicht nur eine wirtschaftliche; sie ist eine soziale und politische Entscheidung. Selbst heute in der kapitalistischen Gesellschaft werden die größten Investitionsentscheidungen nicht immer nach Maßgabe des größtmöglichen Gewinns getroffen.17 Einen Menschen auf den Mond zu bringen, ein Autobahnsystem zu bauen, und sich ein Militär zu leisten sind alles öffentliche Investitionen, bei denen es nicht um positive Kapitalerträge geht. Im Privatsektor entscheidet aber der Bankenprofit über die Verteilung des Kapitals, also der menschlichen Arbeitskraft und Kreativität, und der Reichtümer dieser Erde. Was sollen wir, die Menschheit, auf der Erde tun? Diese kollektive Wahl ist ein Gemeingut, das privatisiert worden ist, und in einer heiligen Ökonomie soll es uns allen zurückgegeben werden. Das heißt nicht, dass der Privatsektor gar keine Investitionsentscheidungen mehr treffen soll. Aber Kredite sollten eher dazu beitragen, dass das Geld zu jenen Menschen gelangt, die zum Wohle der Gesellschaft und der Umwelt handeln.

Die Wiederaneignung des Gemeinguts Kredit wird zwei Formen annehmen: P2P Kredite (beschrieben im Kapitel 13), Mutual-Credit-Systeme, Kreditgenossenschaften und andere Genossenschaftsbanken, Banken im Staatseigentum, und innovative Arten von Banken wie die JAK Mitgliedsbank in Schweden. Auf verschiedenen Wegen werden diese Systeme den Menschen die Macht über das Geld und die Kredite zurückgeben, sei es über die von unten getragenen P2P Strukturen, wie in Mutual-Credit-Systemen, oder durch politisch konstituierte Institutionen, wie es die öffentlichen Banken sind. Und weil politische Souveränität ohne monetäre Unabhängigkeit wenig wert ist, ist die Neubewertung der lokalen, regionalen und (im Fall von kleineren Ländern) nationalen Kontrolle über die Kreditvergabe ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Wiederbelebung der lokalen und regionalen Strukturen von Wirtschaft, Kultur und Leben.

1 Sie sind aber übertrieben. Der komparative Kostenvorteil dient oft als Tarnung für versteckte Subventionen, und die Effizienz der Produktion im großen Maßstab verschleiert die Hebelwirkung am Markt und die Verhandlungsmacht. Ein Beispiel für Ersteres ist die Zuckerindustrie in den USA, die direkte staatliche und indirekte Subventionen dadurch bezieht, dass sie den Boden und das Wasser nutzt. Das ermöglicht ihr, die Produzenten in anderen Ländern zu unterbieten. Die indirekten Subventionen sind besonders schädlich, weil sie im Grunde ein Wettbewerbsvorteil aufgrund der effizienteren Ausbeutung des Naturkapitals sind. Wenn ein Produzent seine Kulturen nachhaltig anbaut und ein anderer, um den ersteren zu unterbieten, Wasser verschwendet und Böden auslaugt, ohne dass es ihn selbst etwas kostet, verschafft er sich damit faktisch öffentliche Subventionen. Solche Subventionen soll es durch die hier beschriebenen Maßnahmen nicht mehr geben können: die Internalisierung von Kosten verhindert, dass die natürlichen Gemeingüter für den privaten Profit ausgebeutet werden, und es darf auch nicht mehr auf künftige Erträge spekuliert werden, sodass Produzenten nicht mehr die Gegenwart auf Kosten der Zukunft finanzieren. Diese beiden Maßnahmen werden die lokale Produktion wirtschaftlich rentabler machen.

2 Ed Collom: “Community Currency in the United States: The Social Environments in Which It Emerges and Thrives.” Environment and Planning A, 37 (2005): 1565–87.

3 In einer Studie berichteten zum Beispiel die Anwender einer der erfolgreichsten Regionalwährung, den Ithaca Hours, dass sie durchschnittlich ein Äquivalent von $350 pro Jahr ausgaben – und diese Anwender sind nur ein sehr kleiner Prozentteil der Bevölkerung.

Jeffrey Jacob, Merlin Brinkerhoff, Emily Jovic, and Gerald Wheatley. “The Social and Cultural Capital of Community Currency: An Ithaca Hours Case Study Survey.” International Journal of Community Currency Research, Vol. 8, p. 42. 2004.

4 In der selben Studie (Jacob et al., 2004) steht, dass die Anwender meist gut gebildete, progressive, der Gegenkultur gegenüber aufgeschlossene Aktivisten sind. Zeitbanken und manche LETS Systeme sind Ausnahmen dieser Verallgemeinerung. Besonders erstere findet man oft im Zusammenhang mit Krankenhäusern, mit der Altenpflege und anderen unterversorgten Gesellschaftsschichten. Eine weitere bedeutsame Ausnahme sind kommerzielle Kreditwährungen wie WIR, die ich später in diesem Kapitel diskutiere.

5 C. J. Lee, Hsien-chan Ho, Shing-Mei Chen, Ya-huei Yang, Soon-joy Chang, and Hui-lin Wu. The Development of Small and Medium-Sized Enterprises in the Republic of China. Taipei, Taiwan: Chung-Hua Institute of Economic Research, 1995

6 Solche informellen Prozesse können Tabus in der Unternehmenskultur gegenüber ausländischen Firmen sein, oder ineinandergreifende Aufsichtsgremien, familiäre Beziehungen, die zur Bevorzugung lokaler Firmen führen, und die inoffizielle Bevorzugung bei der Vergabe von öffentlichem Einkauf. Von außen erweckt das den Anschein von Nepotismus und Korruption, aber es bewahrt die wirtschaftliche Souveränität dieser Länder. Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal Berichte über korrupte ausländische Regierungen hören.

7 Andererseits ist die Position der Steuerbehörde verständlich: Ohne diese Erfordernis könnten Menschen Alternativwährungen verwenden, um Steuern zu vermeiden. Trotzdem benachteiligt das Steuersystem deutlich regionale und komplementäre Währungen.

8 In diesem Fall würde die Geldmenge, aber nicht gleichzeitig die Menge an Gütern und Dienstleistungen zunehmen (also wäre dann mehr Geld da, um die gleiche Menge an Waren zu kaufen).

9 Aus: “An Introduction to Time Banking”. Aanonymes Posting auf www.getrichslowly.org/blog/2008/03/13/an-introduction-to-time-banking/ .

10 Die Statistik stammt von der International Reciprocal Trade Association.

11 James Stodder, “Reciprocal Exchange Networks: Implications for Macroeconomic Stability.” 2005, S.14.

12 Ebd.

13 Es könnte aber gut für nicht-knappe Ressourcen, wie digitale Inhalte, funktionieren. Benutzer-Bewertungen für YouTube Videos und andere Veröffentlichungen im Internet sind eine Form von nicht-knapper Währung.

14 Aktuelle Diskussionen darüber und über verwandte Themen rund um Regionalwährungen und Kredite kann man im Community Currency Magazine nachlesen.

15 Siehe die Schriften von Ellen Brown, der Autorin von “Web of Debt” (auf Deutsch 2009 im Kopp-Verlag unter dem Titel „Der Dollar Crash” erschienen, Anm. d.Ü.), für eine solide Argumentation für das öffentliche Bankgeschäft. Ein Artikel, in dem Brown die Ähnlichkeit zwischen öffentlichen Banken und Mutual-Credit-Systemen beschreibt, kann im Internet gefunden werden: “Time for a New Theory of Money,” auf www.commondreams.org/view/2010/10/29-3.

16 Dennis Kucinich hat sich dieser Idee kürzlich im Gesetzesentwurf H.R. 6550: National Emergency Employment Defense Act of 2010 wieder angenommen.

17 Aber immer öfter entsprechen diese politischen Entscheidungen dem Interesse der Konzerne.

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