Wir haben mit der Annahme gelebt, dass das, was für uns gut ist, für die Welt gut wäre. Das war ein Irrtum. Wir müssen unser Leben so ändern, dass es möglich wird, in unserem Leben von der gegenteiligen Annahme auszugehen: Was für die Welt gut ist, ist auch für uns gut. Und das erfordert, dass wir uns die Mühe machen, die Welt kennen zu lernen und herauszufinden, was für sie gut ist.
(Wendell Berry)
Überschüssiger Reichtum ist ein Vertrauensvorschuss, der den Eigentümer verpflichtet, ihn auf Lebenszeit zum Wohl der Gemeinschaft zu verwalten.
(Andrew Carnegie)
20.1 Das Dharma von Reichtum
Damit eins klar ist: Der Zweck von Nicht-Akkumulation soll nicht eine Freisprechung von den Verbrechen einer geldbasierten Gesellschaft sein. Das ist reines Ego. Man bekommt keine Tugendpunkte für Armut. Nicht-Akkumulation ist nicht ein Ziel an und für sich. Das Ziel ist es, wahren Reichtum zu genießen, den Reichtum des Verbundenseins und des Fließens, und nicht den vermeintlichen Reichtum des Habens. Was aber, wenn man mehr hat, als man im Laufe eines gewöhnlichen Lebens mit anderen teilen kann?
Für einen bewussten Menschen mag so großer Reichtum eher eine Last als ein Geschenk sein. Das, was uns gegeben wurde, gut zu nutzten, ist eine Verpflichtung und eine Freude. Das gilt auch für Reichtum. Für die, die damit gesegnet und gestraft sind, besteht ebensowenig Grund, sich den damit verbundenen Pflichten zu entziehen, wie für alle anderen, die Geschenke, die Verantwortlichkeiten und Gelegenheiten zu dienen zurückweisen, mit denen jeder von uns geboren wird.
Überschüssiger Reichtum, ob ererbt oder erarbeitet, bringt den Wunsch mit sich, ihn gut zu nutzen. Er ist ein Dharma, ein Ruf zu dienen. Ihn für Lappalien zu verschwenden, ihn sinnlos zu verschenken, oder sich seiner Vermehrung zu verschreiben sind alles Möglichkeiten, sich dieser Berufung zu verweigern. Die Herausforderung von überschüssigem Reichtum ist, ihn auf eine Art und Weise auszugeben, die schön ist. Das mag Jahre oder Jahrzehnte dauern und eine lange Planung, vielleicht gar die Gründung ganzer Organisationen erfordern, oder es mag in einer einzigen großzügigen Geste passieren. So oder so ist das die Art von Investition, die mit einer Wirtschaft der Zukunft im Einklang steht, wo der soziale Status vom Geben kommt, nicht vom Haben, und wo die Sicherheit nicht aus dem Anhäufen kommt, sondern aus einem Netzwerk des Fließens. Das ist eine völlig andere Mentalität als im traditionellen Investment, bei dem es nur darum geht, Reichtum zu vermehren.
Ursprünglich war ich der Ansicht, dass wir den Begriff Investition und das dahinterstehende Konzept überhaupt abschaffen sollten. Dann dachte ich über seine Wortherkunft nach: es bedeutet “bekleiden”, also quasi nacktes Geld nehmen und es in neue Gewänder kleiden, in etwas Greifbares, etwas Reales auf materieller oder gesellschaftlicher Ebene hüllen. Geld ist nacktes menschliches Potential – kreative Energie, die noch nicht mit materiellen oder gesellschaftlichen Projekten bekleidet wurde.
Rechtes Investieren heißt Geld in heilige Gewänder kleiden; es dazu zu benutzen, um das zu schaffen, zu schützen und aufrechtzuerhalten, was für uns heute heilig wird. Das sind genau die Werte, die das Rückgrat der Wirtschaft von morgen bilden werden. Rechtes Investieren bedeutet also für die kommende Welt zu üben, uns sowohl psychologisch darauf einzustellen als auch praktisch darauf vorzubereiten. Es macht uns mit der neuen Denkweise von Reichtum (Kanäle für produktives Schenken zu finden) vertraut, und es gräbt und festigt diese Kanäle, die selbst dann bestehen bleiben können, wenn das gegenwärtige Geldsystem zusammenbricht. Geld, wie wir es kennen, mag verschwinden, aber die Beziehungen von Dankbarkeit und Verpflichtung werden bleiben.
Wenn Sie mir eine poetische Spekulation gestatten: Alles, was ich im vorhergehenden Absatz gesagt habe, stimmt auch für die andere “kommende Welt” – die Welt jenseits des Grabes. Sie müssen nicht an ein Leben nach dem Tod glauben, um das zu verstehen. Stellen Sie sich vor, Sie liegen auf Ihrem Sterbebett. Sie erkennen, dass Sie nichts mit sich nehmen werden. So wie Finanzinvestitionen nicht den ökonomischen Kollaps überleben werden, so bedeutet auch das Ende des Lebens das Ende all unserer Anhäufungen. Was wird Ihnen in diesem Moment Freude bereiten? Die Erinnerung an alles, was Sie geschenkt haben. In den Tod nehmen wir nur mit, was wir geschenkt haben. Wie in einer Schenkkultur wird das unser Reichtum sein. Indem wir geben, legen wir einen Schatz im Himmel an. Wenn wir mit Allem eins werden, wird uns gegeben, was wir allen gegeben haben.
Für Menschen mit wenig Geld beginnt die schönstmögliche Weise, es zu gebrauchen, vielleicht damit, sich selbst und die eigenen Kinder zu ernähren und bestimmte Grundbedürfnisse zu befriedigen. Aber über einen selbst und die nächsten Angehörigen hinaus erfordert der schöne Gebrauch von Geld etwas, das man Investieren nennen könnte. In einer heiligen Ökonomie hat Investition nahezu die gegenteilige Bedeutung von dem, was man heute darunter versteht. Heute ist Investieren das, was Menschen tun, um ihren eigenen Reichtum zu bewahren. In einer heiligen Ökonomie ist es das, was wir tun, um unseren Reichtum mit anderen zu teilen.
Wie bei der Nicht-Akkumulation ist das Konzept so simpel, dass es sogar ein Kind verstehen kann. Es lautet: “Ich habe mehr Geld, als ich nutzen kann, also werde ich es jemand anderem geben, der es nutzen kann.” Das ist eine Investition oder ein Kredit. Und eine Bank oder ein anderer Vermittler für Investitionen ist jemand, der damit erfahren ist, andere zu finden, die es nutzen möchten. In seiner heiligen Dimension geht es im Bankgeschäft darum, Menschen zu helfen, andere Menschen zu finden, die deren Geld auf eine schöne Art und Weise nutzen. Einmal erzählte ich einem echten Bankangestellten, den ich auf einer Konferenz traf, von dieser Idee, und Tränen stiegen in seine Augen – Tränen des Wiedererkennens: das war der spirituelle Wesenskern seiner Berufung.
In tausend Jahren, wenn Geld sich von dem, was wir jetzt darunter verstehen, so sehr unterscheiden wird, dass wir es vielleicht nicht einmal mehr als Geld erkennen würden, wird immer noch diese dem Investieren zugrundeliegende Idee bestehen bleiben. Das ist so, weil wir dank der grundlegenden Fülle des Universums und der Unbegrenztheit menschlicher Kreativität oft Zugriff auf einen Fluss von Geschenken haben werden, der unsere unmittelbaren Bedürfnisse weit übersteigt. Wir werden immer das Nötige haben (und es wird mit der Zeit mehr werden), um durch kollektive menschliche Leistung und in Partnerschaft mit unserer Geliebten, der Erde, Wunder zu bewirken. Auf der grundlegendsten Ebene ist heiliges Investieren einfach die bewusste Lenkung dieser Überfülle auf ein kreatives Ziel hin. Es beginnt mit der Befriedigung von Bedürfnissen und blüht auf, wo Schönheit erschaffen wird.
20.2 Mit der einen Hand geben, während die andere nimmt
Rechtes Investieren manifestiert den Geist der Gabe. Leider entspringt Investieren heute dem gegenteiligen Geist: Entweder steht dahinter die Motivation, daraus selber Reichtum zu ziehen und ihn nicht anderen zuteil werden zu lassen, oder das Gegengeschenk ist von vornherein schon festgelegt, beziehungsweise wird es im Nachhinein erzwungen oder beides. Das Motto ist: “Ich erlaube dir, mein Geld zu benutzen, aber nur, wenn du mir nachher noch mehr dafür zurückgibst.” Sei es eine Kapitalinvestition oder ein Kredit, ich profitiere von meinem exklusiven Eigentum an einer seltenen Ressource mit dem Ziel, immer mehr davon unter meine Kontrolle zu bringen. Man könnte auch sagen, dass der Antsoß für das Gegengeschenk nicht der Dankbarkeit entspringt. Auch wenn die Botschaft des Vorstandsvorsitzenden im jährlichen Geschäftsbericht das Gegenteil suggeriert, beschließt der Firmenvorstand die Dividendenzahlung nicht in einem Geist der Dankbarkeit gegenüber den Millionen seiner gesichtslosen Investoren.
Aber auch schon bevor sich eine Wirtschaft herauskristallisiert, die die Grundprinzipien des Geschenks begreift, können wir beginnen, danach zu leben. Rechtes Investieren – investieren entsprechend dem Geist und der Logik des Geschenks – ist gleich jetzt möglich. Die Ideen, die ich im Folgenden vorschlagen werde, werden nach dem Übergang in eine neue Wirtschaft viel naheliegender sein, und die übergreifenden Geschichten dieser Wirtschaft – das Selbst in Verbundenheit und die Erde als unsere Geliebte – werden sie tragen. Um diese Ideen heute anzuwenden, braucht es Glauben, eine Vision und Mut. Sie werden keine Zustimmung durch Personen oder Institutionen, die immer noch der alten Geschichte verhaftet sind, erfahren. Aus deren Perspektive ist das, was ich Ihnen jetzt vorschlage, verrückt.
Was ich beschreiben werde, ist viel radikaler als “sozial verantwortungsvolles Investieren” oder “ethisches Investieren”. Wenn diese Ideen auch Schritte in die richtige Richtung sind, bergen sie doch einen inneren Widerspruch. Dadurch, dass man einen finanziellen Ertrag sucht, verewigen sie die Umwandlung von Welt in Geld.
Traditionelles Investieren, das im Zusammenhang mit dem Aufstieg absolut vertretbar ist, trachtet danach, zum Wachstum der Geldsphäre beizutragen und einen Teil dieses Beitrags als Belohnung zu bekommen. Der Risikokapitalgeber erkennt hohe Wachstumschancen und stellt das Geld zur Verfügung, um sie zu realisieren. In einer Gleichgewichts- oder Postwachstumsökonomie ist dieses Modell nicht mehr angebracht, so wie es sich auch jetzt schon für immer mehr Menschen aus der Investorenklasse nicht mehr richtig anfühlt. Daher kommt auch die Hinwendung zu einem anderen Investitionsziel: der Wiederherstellung und nicht der noch effizienteren Ausbeutung der natürlichen und sozialen Commons.
Lassen Sie es mich noch einmal anders sagen: Mit einer solchen Wiederherstellung ist für Investoren kein Geld zu machen. Jedes Schema für “sozial verantwortliches Investment”, das eine normale Gewinnrate verspricht, birgt in sich eine bewusste oder unbewusste Lüge. Ich werde das anhand von zwei Beispielen illustrieren.
Nach einem meiner Vorträge protestierte eine sehr intelligente und mitfühlende Frau, die im sozial verantwortlichen Investmentbereich tätig war: “Bestimmt tragen nicht alle gewinnbringenden Investitionen zur Vernichtung der Commons bei. Wenn ich zum Beispiel in eine Firma investiere, die eine großartige neue Erfindung hat, womit man, sagen wir, billige tragbare Solarstromladegeräte produzieren kann? Ich helfe dieser Firma zu Geld zu kommen, sie verkauft jede Menge Geräte, wir alle verdienen Geld, und der Planet hat auch etwas davon.” Fein, aber wenn die Firma die Geräte zu einem geringeren Preis verkauft hätte (zum Beispiel mit einer Gewinnspanne, die gerade hoch genug ist, um die Forschung und Entwicklung zu decken und Kapital für die Wiederanlage bereitzustellen)? Würde das nicht noch viel besser für den Planeten sein, weil das Gerät damit noch leichter zugänglich gemacht würde? Das Ziel, Zinsen oder Dividenden an Investoren zu zahlen, ihnen eine positive Rendite zu geben, steht im Konflikt mit dem Ziel einer Firma, sozial oder ökologisch “verantwortlich” zu handeln.
Um mich klar auszudrücken: Ich schlage nicht vor, dass Unternehmer sich selbst aus dem Geschäft nehmen, indem sie gerade an der Gewinnschwelle verkaufen. Ich spreche hier von Investment, nicht von Einkommen. Es ist eine Sache, Lohn dafür zu bekommen, dass man auf der Welt gute Arbeit leistet; und es ist eine ganz andere Sache, Geld auf Geld zu häufen, dadurch, dass man Geld hat. Im Beispiel oben wäre es in Ordnung, genug zu verlangen, um das Unternehmen am Leben zu halten, die Angestellten gut zu bezahlen und Expansion, Forschung und so weiter finanzieren zu können. Aber darüber hinaus müssen Konzerne einen zusätzlichen Betrag verdienen, der in Form von Zinszahlungen oder Dividenden hinaus an die Investoren geht. Woher kommt dieser zusätzliche Betrag? Von dort, woher heute alles Geld kommt: aus der verzinsten Schuld und von der Umwandlung der Welt in Geld. Wenn Sie also wirklich zum Guten auf der Welt beitragen wollen, dann fragen Sie nicht nach einem Gewinn für ihre Investition. Versuchen Sie nicht, gleichzeitig zu geben und zu nehmen. Wenn Sie nehmen möchten (und vielleicht haben Sie dafür ja gute Gründe), dann nehmen Sie, aber machen Sie sich und anderen nicht vor, Sie würden geben.
Ein zweites Beispiel wird diesen Punkt noch deutlicher machen: Sehen wir uns eine der inspirierendsten Formen von sozial verantwortlichem Investment an: Mikrokredite an Frauen in Südasien. Diese Programme sind scheinbar sehr erfolgreich, ermächtigen Frauen in Indien und Bangladesh dazu, ein anderes Leben zu führen, und haben ein extrem niedriges Ausfallsrisiko. Wenn es überhaupt ein Beispiel dafür gibt, wie man durch gute Werke erfolgreich sein kann, dann dieses. Sie leihen einer indischen Frau $500, um eine Milchkuh zu kaufen. Sie verkauft die Milch an ihre Dorfbewohner und verdient genug Einkommen, um ihre Familie zu ernähren und sowohl die Zinsen als auch den Kredit zurückzuzahlen. Klingt gut, aber überlegen Sie einen Moment: Woher kommt das Geld für die Rückzahlung? Es kommt von den Dorfbewohnern. Und woher haben die das Geld? Sie bekommen es, indem sie andere Waren oder Dienstleistungen verkaufen – mit anderen Worten: durch die Umwandlung von Teilen ihrer sozialen oder natürlichen Commons in Geld, wie in Kapitel 4 beschrieben. Das ist der gleiche Effekt wie bei der “hut tax”, jener Steuer, die die Briten (und andere Kolonialmächte) einsetzten, um die autarke lokale Wirtschaft in Afrika während der Kolonialzeit zu zerstören.1 Das war einfach eine kleine jährliche Steuer, die nur in der nationalen Währung bezahlt werden konnte, und die die Ureinwohner dazu zwang, ihre Arbeitskraft und ihre lokalen Güter für diese Währung zu verkaufen. Die lokalen Wirtschaftskreisläufe zerfielen rasch, sie wandelten sich zu einem Markt für britische Waren und wurden zur Quelle für Arbeitskraft und Rohstoffe.
Mit ihrer Kuh hat die Frau viel mehr Milch, als ihre Familie verbrauchen kann. Wem wird sie die Überschüsse geben? Weil sie einen Geldkredit zurückzahlen muss, wird sie die Milch nolens volens an jene geben, die dafür Geld bezahlen können und wollen. Hätte sie die Kuh geschenkt bekommen, und wäre sie nicht gezwungen, Geld zu verdienen, hätte sie die Milch vielleicht über traditionelle Kanäle eines Schenknetzwerks verteilt. Solange über ihrem Kopf die finanzielle Verpflichtung droht, kann sie das nicht tun, selbst wenn sie es möchte. Folgen wir diesem Strang weiter: Wer sind jene, die für Milch zahlen können und wollen? Es sind die, die selbst ein Geldeinkommen verdienen. Menschen, die auch Milch brauchen, aber vorwiegend in einer Schenkökonomie leben, können sie nicht bekommen. Das Auftauchen eines neuen “Unternehmens” im Dorf verdrängt traditionelle Netzwerke von wechselseitigem Geben und Nehmen und drängt die Bewohner in die Welt des Geldes.
Hätte der Kredit keine Zinsen, dann wäre die Geldspritze von $500 in die Gemeinschaft vielleicht keine schlimme Sache. Es ist oft der Fall, dass die Menschen in modernen verarmten Ländern Güter und Leistungen auszutauschen hätten, aber dass ihnen die Mittel zum Austausch fehlen, weil die Strukturen der Schenkkultur zusammengebrochen sind. Der ursprüngliche Besitzer der Kuh könnte das Geld nutzen, um Dorfbewohner für Dinge zu bezahlen, die er braucht, und wenn das Geld am Ende wieder zur Frau zurückfließt, die die Kuh gekauft hat, wurden inzwischen viele Bedürfnisse gestillt, und es ist damit nichts verloren. Selbst wenn alles Geld wieder an den Investor zurück geht, hat zumindest kein zusätzliches Geld das Dorf verlassen.
Eine ganz andere Geschichte ist es, wenn der Kredit Zinsen trägt. Dieser Frau einen verzinsten Kredit zu geben ist gleichbedeutend damit, ihrem Dorf Geld zu entziehen. Stellen Sie sich folgenden Gedanken vor: “Ah, in diesem Dorf gibt es Reichtum, der noch nicht zu Geld gemacht worden ist. Ich werde mir etwas davon nehmen! Ich werde die Dorfbewohner zu meinen Schuldsklaven machen.” Kein sehr wohltätiger Impuls.
Einer der Hauptanreize für regionale Währungen ist, dass sie dafür sorgen, dass das Geld in der Gemeinschaft verbleibt. Eine verzinste Schuld in einer international umwechselbaren Währung bewirkt das Gegenteil: Sie saugt Geld aus der Gemeinschaft ab. Die Frau verkauft die Milch an einen Käsemacher im Ort, der den Käse an einen Tischler verkauft, der einen Kuhstall für die Frau baut, und so weiter. Das Geld kreist und kreist, aber es kann nicht für immer in der Gemeinschaft bleiben, weil die Schuld zurückgezahlt werden muss. Und Zinsen können überhaupt nur dann bezahlt werden, wenn die Leute im Ort etwas an die Außenwelt verkaufen. Der Druck auf die Frau, die Zinsen zu bezahlen, wird in Form der Milchpreise an die Gemeinschaft weitergegeben. Das ist ein Druck, der Menschen in armen Ländern dazu treibt, in Fabriken und auf Plantagen zu arbeiten. In einer monetarisierten Wirtschaft, in der die ursprünglichen Schenknetzwerke zusammengebrochen sind, brauchst du Geld zum Leben. Du wirst verkaufen, was immer du kannst – deine Arbeitskraft, deine Zeit, deine Umwelt -, um an Geld zu kommen.
Ökonomen werden Ihnen erzählen, dass das Dorf den Kredit und die Zinsen zurückzahlen und trotzdem reicher werden kann, solange die Wachstumsrate der örtlichen Wirtschaft größer ist als die Zinsrate auf den Kredit für die Milchkuh (beziehungsweise auf alle Kredite zusammen, die an das Dorf vergeben wurden). Mit anderen Worten: Wenn das gesamte Dorf wie die Frau mit der Kuh neue Waren und Dienstleistungen zu einer höheren Rate als der Zinsrate auf den Kredit verkauft, wird es seine Zahlungen leisten können und aufblühen. Aber jetzt wiederholt sich die Frage von vorher: Woher kommt das Geld? Auf globaler Ebene erzwingt verzinstes Investieren Konkurrenz und den unausgesetzen Abbau der gesellschaftlichen, natürlichen, kulturellen und spirituellen Commons – die Umwandlung der Schenkökonomie in eine Geldökonomie.2
Wie offensichtlich es doch ist, dass heiliges Investieren wenig damit zu tun hat, Gewinn zu machen! Wenn Sie dem Dorf helfen wollen, dann schenken Sie der Frau eine Kuh. Oder, wenn es ihre Würde verlangt, borgen Sie ihr das Geld ohne Zinsen (damit schenken Sie ihr den Gebrauch von Geld). Wenn es Ihnen stattdessen eher darum geht, Ihren Geldreichtum zu vergrößern, dann machen Sie das und vergessen Sie die Heuchelei. Das Sprichwort stimmt: Du kannst nicht zwei Herren dienen. In diesen beiden Beispielen kommen an einem Punkt die widersprüchlichen Absichten an die Oberfläche, und man muss sich entscheiden: dient man Gott oder dem Mammon. Aber diese Wahl wird in einer heiligen Ökonomie nicht mehr bestehen. Gott und Mammon werden vereint sein. Das ist Teil einer allgemeineren Wiedervereinigung der Gegensätze; daher nenne ich das bevorstehende Zeitalter auch das Zeitalter der Wiedervereinigung.
Wenn gesellschaftlich verantwortungsvolle Investitionen eine gute Gewinnrate versprechen, bedeutet das, dass bei diesen mit der einen Hand gegeben wird, während man mit der anderen nimmt – inklusive einer Provision für die Anbieter der Transaktion. Ich hoffe, dass diese Erklärung für die meisten meiner Leser überflüssig war. Schließlich sagt uns der Hausverstand, dass die Idee von Profit als einem Motiv für gute Taten problematisch ist. Ein Mehrerlös mag manchmal zufällig passieren, aber ein Geschenk, das mit der erzwungenen Forderung daherkommt, dass ein größeres Gegengeschenk folgen muss, ist überhaupt gar kein Geschenk, sondern eine List oder eine Erpressung.
Sind das wirklich Sie, wenn Sie in Ihrem Leben kaltherzig eine Trennung zwischen Geschäft und anderen menschlichen Beziehungen aufrechterhalten? Wenn Sie Geld mit Zinsen investieren, sagen Sie indirekt einem armen Schlucker: “Ist mir egal, was du tun musst, um es zu bekommen – gib mir das Geld!” Ihr Einlagenzertifikat ist die Androhung einer Zwangsvollstreckung für jemand anderen. Sie mögen zwar nicht wie Ebenezer Scrooge3 handeln, aber Sie bezahlen jemand anderen dafür, es zu tun.
Wenn verzinste Investitionen grundsätzlich unethisch sind, weil sie zur Plünderung der natürlichen und sozialen Commons beitragen, dann sollten wir offensichtlich nicht Geld zu Zinsen investieren. Dasselbe gilt auch für jede Investition, die die Ausweitung der Sphäre von Waren und Dienstleistungen vorantreibt. Als gesellschaftlich verantwortungsvolle Investoren möchten Sie nicht zur Monetarisierung des Lebens und der Natur beitragen.
Es gibt kein Entrinnen vor diesem Prinzip. Gelegentlich bekomme ich E-Mails von Menschen aus der Finanzindustrie, die meine Texte lesen, und mir ihre Ideen über gesellschaftlich oder ökologisch bewusste Investitionen beschreiben. Ich schlage dann meine eigene Idee vor: einen Investment Fonds, der als explizites Ziel eine Anlagenrendite von null hat. Aus irgendeinem Grund hat mich keiner dieser Finanzleute, denen ich das vorgeschlagen hatte, jemals wieder kontaktiert! In einer Wirtschaft mit Schwundwährung würde aber eine Anlagenrendite von null sogar als ziemlich gut eingestuft werden.
Ich plädiere nicht für ein altruistisches Zeitalter, in dem wir den persönlichen Nutzen für das Allgemeinwohl aufgeben. Ich stelle mir eher ein Verschmelzen von persönlichem und allgemeinem Nutzen vor. Wenn ich zum Beispiel Menschen in meiner Gemeinschaft Geld gebe, rufe ich Dankbarkeit hervor, die ein Gegengeschenk an mich oder ein weiteres Geschenk an jemand anderen anregt. So oder so habe ich damit die Gemeinschaft gestärkt, die mich trägt. Wenn wir in eine Schenkgemeinschaft eingebettet sind, richtet sich unsere Dankbarkeit ganz natürlich nicht nur an den nächsten, der mir etwas schenkt, sondern an die Gemeinschaft als Ganzes, und wir kümmern uns um ihre bedürftigsten Mitglieder (Geschenke suchen Bedürfnisse). Unser Wunsch zu geben kann sich sehr gut in Form eines Geschenks an jemand in der Gemeinschaft ausdrücken, der uns selbst nichts gegeben hat. Also können wir jedes Geschenk, selbst solche ohne die Erwartung einer direkten Erwiderung, als eine Form von “Investition” betrachten. Wir nehmen immer noch nacktes Geld und kleiden es in etwas Feines, wenn es ein gutes Investment ist. Eine schlechte Investition kleidet das Geld in ein hässliches Gewand. So einfach ist das.
Die Schwundwährung der Zukunft wird den Geist des Schenkens mit dem ökonomischen Eigeninteresse in Einklang bringen, und Kredite zu null Prozent Zinsen werden sich nicht länger wie ein Opfer anfühlen. Denn schließlich bringt dann das Festhalten am Geld eine Rendite von weniger als null. In der Zeit, die uns bleibt, bis dieses System zum Tragen kommt, läuft es unserem rationalen Eigeninteresse zuwider, Geld ohne Zinsen zu verleihen oder wegzugeben. Das ist aber ein sehr kurzsichtiges Eigeninteresse, weil das gegenwärtige Geldsystem leicht in den nächsten Jahren zusammenbrechen könnte, aber die Bindungen, die durch Geschenke entstehen, jeden gesellschaftlichen Umbruch überstehen werden. Wenn Sie jemand sind, der sich wegen Peak Oil oder anderen Zusammenbruchsszenarien Sorgen macht, ist die beste Sicherheit, die Sie haben können, ein Schenknetzwerk, das Sie umgibt. Beginnen Sie jetzt, eine Schenkende zu sein. In wenigen Jahren könnten zehn Millionen Euro nur mehr ein Bündel Papierzettel sein. Das ist eine andere Variante von: Was Sie “in dieser Welt” geben, könnte Ihr Schatz in der “nächsten” sein.
Wenn Sie eine Welt der Fülle, eine Welt der Dankbarkeit, eine Welt des Geschenks schaffen wollen, können Sie damit beginnen, indem Sie das heutige Geld, solange es noch existiert, verwenden, um mehr Dankbarkeit auf dieser Welt zu erzeugen. Wenn wir einen Vorrat an Dankbarkeit haben, der groß genug ist, dann wird unsere Gesellschaft praktisch alles aushalten können. Noch einmal: Wir leben in einer Welt der fundamentalen Fülle, die wir durch unsere Glaubenssätze und Gewohnheiten künstlich arm gemacht haben. Wir haben den Planeten und den Geist so schlimm beschädigt, dass wir all unsere Gaben voll verströmen müssen, um das wieder zu heilen. Das Verströmen von Gaben entsteht aus der Dankbarkeit. Also ist es daher die beste Investition, die Sie mit Ihrem Geld tätigen können, Dankbarkeit zu erzeugen. Es ist unwichtig, ob diese Dankbarkeit Sie als den Schenkenden erkennt. Am Ende ist doch das eigentliche Objekt unserer Dankbarkeit dieses Schenkende Prinzip, dem wir all unsere Talente, unsere Welt und unser Leben verdanken.
Um für diese Wirtschaft bereit zu sein und schon heute in ihrem Geist zu leben, verlagern wir den Schwerpunkt der Investitionen weg vom Ziel, aus Geld mehr Geld zu machen, hin dazu, dass wir akkumuliertes Geld als das Geschenk verwenden, das es ist: ein Geschenk von der alten Welt an die neue, ein Geschenk der Vorfahren an die Zukunft. Es ist vergleichbar mit dem Geschenk des Lebens, mit der Muttermilch, der Nahrung und den Sinneseindrücken und all dem, was uns wachsen und reifen ließ, all dem, was wir empfangen haben, um es selbst als Erwachse weiterzugeben. Die Frage ist dann, wie wir Geld im Bewusstsein der Gabe verwenden können. Wenn Sie kein Investor sind, dann wird die Frage zu einer der rechten Lebensführung.
20.3 Neuer Sinn für alte Anhäufungen
Die Frage, was reiche Menschen mit ihrem Haufen Geld tun sollen, führt zu einer allgemeineren: Was sollen wir als Gesellschaft mit dem Reichtum tun, den sie in tausenden Jahren angehäuft hat? Was ist dieser Reichtum überhaupt, wenn nicht “aufgeschobener Konsum”?
Kommen wir auch noch einmal auf den Wesenskern von Geld zurück. Was genau ist es, das in diesen riesigen Anhäufungen von Geld akkumuliert? Geld besteht aus rituellen Talismanen, mit deren Hilfe wir menschliche Vorhaben und Aktivitäten koordinieren. Jenen, die eine große Menge Geld angesammelt haben, steht das Mittel zur Verfügung, mit dem sie Arbeitskraft fokussieren und organisieren können. Geld kann nur auf Kosten der nichtmonetarisierten Sphäre mehr werden, aber Geld kann ausgegeben werden, um diese Sphäre wiederherzustellen, solange das Geld nicht als Investition ausgegeben wird, die auf eine weitere Kommerzialisierung der gesellschaftlichen und natürlichen Commons abzielt. Geld kann verwendet werden, um Holzfällerwerkzeuge zu kaufen, um damit einen Wald zu vernichten; es kannn genauso ausgegeben werden, um diesen Wald zu bewahren und zu schützen. Die erste Verwendung ist Gelderzeugung, die zweite ist Geldvernichtung (weil sie keine neuen Waren und Dienstleistungen erzeugt). So oder so verleiht das angehäufte Geld die Fähigkeit, menschliches Tun in einem großen Maßstab zu koordinieren.
Das Bild, auf dem ganzen akkumulierten Reichtum aus Jahrhunderten der Ausbeutung zu sitzen, ist für die geburtenstarke Nachkriegsgeneration von besonderer Bedeutung, weil sie die letzten waren, die im Zenit unserer Zivilisation groß geworden sind. Sie stehen mit je einem Fuß in beiden Welten, in der alten und der neuen. Sie (viele von ihnen) haben Zugriff auf den Berg von Reichtum aus der alten Welt, doch ist ihr Bewusstsein schon auf die neue Welt ausgerichtet. Meine Generation, die einst Generation X genannt wurde, ist anders. Viele von uns, selbst die aus guten Verhältnissen, hatten nie einen Fuß in der alten Welt. Als wir erwachsen wurden, war sie so offensichtlich bankrott, dass wir uns nicht überwinden konnten, darin unser Glück zu suchen. Für jemanden, der in den 1960ern oder 1970ern erwachsen wurde, war es immer noch möglich, an das Projekt vom Aufstieg zu glauben. Es war immer noch möglich, ganz an der alten Geschichte von den Menschen teilzuhaben: das Weltall zu erobern, das Atom zu erobern, das Universum zu beherrschen, immer höher und weiter. Ich kann mir vorstellen, dass, wenn ich 1957 statt 1967 geboren worden wäre (und mir als Teenager mein Vater nicht Der Stumme Frühling, 1984 und A People’s History of the United States zu lesen gegeben hätte), ich vielleicht dem Programm gefolgt und heute ein Mathematikprofessor an irgendeiner Universität wäre. Aber so sollte es nicht sein. In den Achtzigern, in denen ich groß wurde, war unsere Geschichte von den Menschen nicht mehr verlockend. Ich und Millionen andere sind im Grunde ausgestiegen. Selbstverständlich übertreibe ich mit dieser Generalisierung, doch es liegt schon auch eine Wahrheit darin, wenn ich sage, dass die Kinder der Fünfziger und Sechziger als Programmierer für Microsoft Millionäre geworden sind, während die Kinder der Siebziger und Achziger mit Linux spielen. Damit will ich keinesfalls den Millionären von Microsoft ein moralisches Versagen unterstellen! Zu ihrer Zeit war es noch immer für einen dynamischen, visionären Mittzwanziger möglich, von dem fasziniert zu sein, was sich in der kommerziellen Softwareindustrie abspielte. Das trifft auch für die zentralen Institutionen, die Politik, die akademische Welt, die Künste, die Wissenschaft, die Medizin und so weiter zu. Natürlich war für jene, die es sehen wollten, die Auflösung der Geschichte vom Aufstieg offenkundig, so wie sie für Mystiker seit tausenden Jahren ersichtlich war. Aber die meisten waren in der Ideologie von der Herrschaft der Menschen zu sehr verwurzelt, als dass sie sich von den Krisen, die viel zu weit weg waren, davon hätten ablenken lassen, voll am Projekt des Aufstiegs teilzunehmen.
Die gesellschaftliche Dynamik, von der ich spreche, ist zum Teil ein amerikanisches Phänomen, aber ich denke, sie kann verallgemeinert werden für eine Welt, die an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter steht. Wie die Babyboomer in Amerika sitzt die ganze Welt auf einem riesigen Berg an Reichtum, dem Endprodukt von zehntausend Jahren Kultur und Technologie. Wir haben eine mächtige industrielle Infrastruktur, wir haben Straßen und Flugzeuge, und wir halten eine riesige Maschinerie in Gang, die jahrhundertelang der Ausweitung der menschlichen Einflusssphäre und der Eroberung der Natur gewidmet war. Die Zeit ist gekommen, die Werkzeuge der Getrenntheit, Herrschaft und Kontrolle für das Ziel der Wiedervereinigung, für die Heilung der Welt zu verwenden. So wie eine wohlhabende Babyboomerin oder eine reiche Erbin ihr Vermögen einem schönen Zweck widmen können und sich keine Vorwürfe machen müssen, dass der Reichtum irgendwie durch seine Herkunft befleckt ist, so haben auch wir die Chance und Verantwortung, die angesammelten Früchte unserer Herrschaft über die Erde auf eine schöne Art und Weise zu gebrauchen. Das gilt sogar für die abscheulichsten, ausbeuterischsten Technologien – wie Gentechnik und Kernspaltung – die das Programm von Kontrolle auf den Gipfel der Anmaßung führten. Im Zeitalter der Zinsen, also im Zeitalter des Wachstums, war es die primäre Triebkraft hinter jeder neuen Technologie, neue Bereiche für die Umwandlung von natürlichem oder sozialem Reichtum in Geld zu erschließen. Die Gentechnik machte es möglich, dass das Genom eine verwertbare natürliche Ressource wurde, genauso wie die Dampfmaschine dazu führte, dass tiefe Kohlevorkommen abgebaut wurden und der Eisenpflug dazu führte, dass die schwere Grasnarbe aufgerissen wurde. Wie wird eine Technologie aussehen, die für den gegenteiligen Zweck verwendet wird: die Wiederherstellung der Gesundheit des Planeten?
Wenn die Menschheit als Ganzes denselben Bewusstseinswandel durchläuft, den in den letzten Jahrzehnten so viele Einzelne vollzogen haben, die sich aus der Matrix herausbewegten – wer weiß, für welche Zwecke wir die Technologien des Profits verwenden werden? Wenn die Menschheit nicht mehr unter dem Zwang steht, ihren Machtbereich auszuweiten, werden wir unseren kollektiven Erfindergeist und das gesammelte Wissen – Kenntnisse und Technologien sämtlicher Zeitalter – für Zwecke nutzen, die mit dem Bewusstsein von Ökologie, Verbundenheit und Heilung im Einklang stehen. Das heißt nicht, dass sich die Technologie nicht mehr ändern wird. Technologien, die heute vorherrschen, werden sich zurückziehen und nur noch in Randbereichen zum Einsatz kommen, während bisher randständige Technologien, einschließlich der heute abgelehnten oder verspotteten, in den Vordergrund treten werden.
Sei es die Anwendung von akkumulierter Technologie oder von akkumuliertem Reichtum, wir wollen sichergehen, dass wir sie nicht auf die alte Art und Weise benutzen: als Werkzeuge, mit denen wir eine noch größere Trennung von der Natur oder mehr finanziellen Reichtum erzielen. Deswegen schlage ich vor, das Konzept der Geldverwendung zu nutzen, um das Geld zu zerstören. Damit meine ich: Geld zu benutzen, um die natürlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und spirituellen Commons wiederherzustellen und zu schützen, aus denen es ursprünglich entstand. Das führt dazu, dass der Zusammenbruch beschleunigt und seine Härte abgemildert wird. Wuchergeld unterliegt dem Gebot “wachse oder stirb”. Jedes Bisschen an sozialem oder natürlichem Kapital, das wir dem Einflussbereich der Kommerzialisierung entziehen, beschleunigt den Niedergang des Wuchergeldes, es entzieht dem Feuer die Nahrung. Der Bereich, innerhalb dessen (geldvermittelte) Waren und Dienstleistungen sich ausweiten können, schrumpft. Jeder Wald, den wir davor bewahren, in Festmeter Holz verwandelt zu werden, jedes Stück Land, das nicht erschlossen wird, jeder Mensch, den wir lehren, sich selbst und andere zu heilen, jede indigene Kultur, die wir vor dem kulturellen Imperialismus schützen, ist ein Bereich weniger, den das Geld kolonialisieren kann. Obwohl sie gegen den unaufhaltsamen Fortschritt der Maschine machtlos waren, waren die Anstrengungen von politisch links orientierten Menschen und Reformern nicht vergeblich. Emissionsgrenzen haben zum Beispiel zumindest einen Teil der Atmosphäre davor bewahrt, zu Geld gemacht zu werden. Arbeitsrichtlinien haben zumindest einen Teil des Wohlergehens von Arbeitnehmern davor bewahrt, dem Geld geopfert zu werden. Die Antikriegsbewegung macht das Geschäft mit dem Krieg weniger profitabel. Es stimmt allerdings, was die Rechten kritisierten: Politik für die Umwelt, für die Arbeiterinnen und gegen den Krieg schaden dem Wirtschaftswachstum. Wenn ich zu einer indigenen Kultur gehe und den Menschen einrede, dass Subsistenzlandwirtschaft entwürdigend und primitiv ist, und sie stattdessen dazu verleite, in einer Fabrik zu arbeiten und sich der Marktwirtschaft anzuschließen, dann steigt das BIP (und ich habe eine “Investment Opportunity” geschaffen). Wenn ich andererseits Menschen dazu inspiriere, ihre hochbezahlten Jobs aufzugeben und “zurück aufs Land” zu gehen, dann sinkt das BIP. Wenn ich eine Gemeinschaft gründe, in der wir nicht mehr für Kinderbetreuung bezahlen, sondern uns kooperativ um die Kinder der anderen kümmern, dann sinkt das BIP. Und wenn es uns gelingt, das Naturschutzgebiet in Alaska vor den Ölfirmen in Schutz zu nehmen, sind das Milliarden von Dollars, die sich niemals materialisieren werden. Deshalb sage ich, dass wir das Geld dazu verwenden werden, Geld zu zerstören. Manchmal können die Werkzeuge des Fürsten eben doch das Haus des Fürsten niederreißen4.
Man kann es auch so sehen, dass diese Bemühungen einen Teil der Commons zu schützen, den absoluten Tiefpunkt abmildern, an den wir gelangen müssen, bevor der Übergang in eine neue Welt gelingt. Die Dynamik des Wuchergeldes ist eine Suchtdynamik: Es verlangt eine immer größere Dosis (an Commons), um die Normalität aufrecht zu erhalten und verwandelt immer mehr vom Grundstock unseres Wohlergehens in Geld für den nächsten Schuss. Wenn Sie eine Freundin haben, die abhängig ist, werden sie ihr mit “Hilfe” im gewöhnlichen Sinn, also mit Geld, mit einem Ersatzauto für jenes, das sie zu Schrott gefahren hat, oder einem neuen Job, weil sie den alten verloren hat, nichts Gutes tun. All diese Ressourcen werden nur im schwarzen Loch der Sucht verschwinden. In ein solches veschwinden auch die Früchte der Bemühungen unserer Politiker, das Zeitalter des Wachstums zu verlängern.
Dem Kampf der Generationen von Weltverbesserern vor uns verdanken wir, dass uns immer noch ein kleiner Rest unseres göttlichen Erbes geblieben ist. Es gibt immer noch fruchtbare Böden, hier und da gibt es immer noch gesunde Wälder, in manchen Regionen der Meere gibt es noch immer Fische, es gibt immer noch Menschen und Kulturen, die ihre Gesundheit und Kreativität nicht vollständig ausverkauft haben. Dieses verbleibende natürliche, soziale und spirituelle Kapital wird uns durch den Wandel tragen und die Grundlage bilden, um die Welt zu heilen.
Wenn Sie ein Investor sind, wird es Zeit, dass Sie ihren Schwerpunkt ganz darauf verlagern, soziale Beziehungen zu schaffen, Dankbarkeit zu erzeugen und die Commons wiederzuerobern und zu beschützen. Die Zeiten, an Vermögenssicherung zu denken, sind vorbei. Vermögenssicherung weckt das Bild von einer Schar Ratten: Jede klettert über die anderen, um den höchsten Mast auf einem sinkenden Schiff zu erreichen. Statt dessen könnten sie zusammen aus den Bruchstücken ein seetüchtiges Floß bauen. Vor uns liegt eine lange Reise.
20.4 Rechte Lebensführung
Die Prinzipien, die für das rechte Investieren gelten, gelten auch für die rechte Lebensführung. In der Tat sind der rechte Lebenswandel und das rechte Investieren zwei Seiten derselben Medaille. Wenn rechtes Investieren bedeutet, dass Geld als Geschenk verwendet wird, um mehr Schönheit in die Welt zu bringen, dann bedeutet rechte Lebensführung, dieses Geschenk anzunehmen, während man daran arbeitet, die Welt schöner zu machen.
In einem traditionellen Anstellungsverhältnis erhält man Geld dafür, dass man die Geldsphäre auszuweiten hilft. Um Geld verdienen zu können, müssen wir uns an der Umwandlung des Guten, Wahren und Schönen in Geld beteiligen. Das liegt am Geldsystem – Kredit geht letztlich an jene, die neue Waren und Dienstleistungen am effizientesten produzieren (oder von den Commons nehmen) können. Ein zinsbasiertes Geldsystem übt einen systemischen Druck aus, um die Commons in Geld zu verwandeln; und am höchsten belohnt wird, wer das am erfolgreichsten tut. Sie möchten reich werden? Erfinden Sie doch eine Möglichkeit, Bäume effizienter zu zersägen. Lassen Sie sich eine Werbekampagne einfallen, die Menschen in anderen Ländern dazu bringt, Limonade statt einheimischer Getränke zu konsumieren. Viele idealistische junge Menschen, die den Mechanismus der globalen Wirtschaft sehen, beschließen, kein Teil davon sein zu wollen. Ständig bekomme ich Briefe von ihnen. “Ich möchte kein Teil davon sein. Ich möchte tun, was ich liebe, auf eine Weise, die niemandem wehtut. Aber dafür gibt es kein Geld. Wie kann ich überleben?” Wie kann man überleben (ganz abgesehen davon, wie man an große Mengen Geld herankommt, um Großartiges zu vollbringen) in einer Welt, welche die Zerstörung genau jener Dinge belohnt, die man bewahren möchte?
Zum Glück gibt es heute Menschen, die Ihnen ihr Geld für Projekte geben werden, die nicht noch mehr Geld erzeugen. Es sind genau jene Menschen (oder Organisationen oder Regierungen), die dem Geist des rechten Investierens folgen. Selbstverständlich ist es keine Lösung, von der Wohltätigkeit anderer zu leben, wenn diese umso härter (im Geschäft der Zerstörung) arbeiten müssen, um das Geld zu verdienen, das sie Ihnen dann geben. Aber ich habe festgestellt, dass die Menschheit über unglaubliche Reichtümer in vielen Formen verfügt, Anhäufungen aus den Jahrhunderten der Ausbeutung, die jetzt für andere Zwecke genutzt werden können, zum Beispiel um das natürliche, gesellschaftliche, kulturelle und spirituelle Kapital zu bewahren. Das zu tun wird kein weiteres Geld erzeugen; daher macht jeder, der dafür bezahlt, letztlich ein Geschenk.
Mit anderen Worten: Der Schlüssel zum “rechten Lebenswandel” ist es, von Geschenken zu leben. Diese können in subtiler Form kommen. Wenn Sie zum Beispiel Fairtrade-Produkte verkaufen und jemand eines davon um das Vielfache des Preises eines funktionell gleichwertigen Produkts aus einem Sweatshop kauft, ist der Preisunterschied eigentlich ein Geschenk.5 Der Kunde hätte nicht so viel zahlen müssen. Das gilt auch, wenn Sie solarbetriebene Wasserkocher aufstellen oder Unterkünfte für Obdachlose bauen. Viele der traditionellen sozialen Berufe wie Sozialarbeit, Lehrtätigkeit und so weiter haben auch diese Energie des Geschenks, solange sie nicht zum effizienteren Funktionieren der weltverschlingenden Maschinerie beitragen, indem sie zum Beispiel Kinder dahingehend erziehen, effiziente Produzenten und unkritische Konsumenten zu werden. Das Geld könnte von einem Käufer oder einer Stiftung oder sogar von einer Regierung kommen. Was ein Geschenk ausmacht, ist das Motiv: Es geht nicht darum, den billigsten Preis zu bekommen oder im Gegenzug noch mehr Geld zu machen. Die traditionelle Anstellung ist das Gegenteil: Ich zahle dir ein Gehalt und profitiere von deiner Produktivität (den verkäuflichen Waren und Dienstleistungen), die dein Gehalt übersteigt. Die traditionelle Anstellung trägt zur Umwandlung der Welt in Geld bei.
Auf subtile Art zehrt jede Bemühung, die Geldsphäre zu verkleinern, von Geschenken. Wenn Sie einen Umschulungskurs anbieten, Menschen in ganzheitlicher Heilung schulen oder Permakultur lehren, verkleinern Sie den Einflussbereich von Waren und Dienstleistungen. Verfolgt man das Geld, das Sie für solche Angebote bekommen, an seinen Ursprung zurück, dann hat irgendwo jemand eine “Fehlinvestition” getätigt, indem er das Prinzip der Geldschöpfung heute (Geld geht an jene, die mehr daraus machen) verletzt hat. Es ist kein Zufall, dass gewöhnlich wenig Geld damit zu verdienen ist, die Umwandlung von Leben und Welt in Geld umzukehren.
Wenn Sie eine Vorliebe für Prinzipien haben, dann können Sie sagen, dass die rechte Lebensführung auf zwei Prinzipien beruht. Es bedeutet, dass Sie Ihre Zeit, Energie und anderen Gaben für etwas verwenden, das einen Teil der Commons stärkt, bewahrt oder wiederherstellt. Und mit dem Geld (oder einem anderen Geschenk), das Sie dafür zurückbekommen, darf weder der Natur noch Menschen Schaden zugefügt werden. Oder, um es einfach zu machen: Ein rechter Lebenswandel tut anderen Wesen gut und schadet keinem anderen Wesen. Ich selbst lebe allerdings nicht nach Prinzipien und empfehle es daher auch nicht. Soll ich versuchen, die relativen Kosten und Nutzen zu berechnen, die mir entstehen, wenn ich dieses Buch drucken lasse? Einerseits verbraucht es Zellstoff – der kommt von Bäumen. Es könnte andererseits aber auch Menschen dazu inspirieren, zur Erhaltung der Erde beizutragen. Die Menschen sind geübt darin, ihre Entscheidungen so zu begründen, dass diese mit ihren Prinzipien im Einklang stehen. Wenn die Kluft zu groß wird, ändern sie ihre Prinzipien und behaupten, sie hätten sie immer schon gehabt.
Wenn es um die Frage nach der rechten Lebensführung geht, vertraue ich daher auf das, was sich gut und richtig anfühlt. Sie mögen fragen: “Was, wenn es sich gut und richtig anfühlt, Zahnpasta zu vermarkten, oder für einen Hedgefonds zu arbeiten, oder Nuklearwaffen zu entwickeln?” Ich würde sagen: “Dann tun Sie es.” Erstens, weil sich solche Arbeit nicht mehr gut und richtig anfühlen wird, wenn Ihre Achtsamkeit gegenüber der Welt zunimmt. Zweitens, weil Sie sich darauf einlassen, diesem Gefühl zu folgen; es wird Sie nämlich auch weiterhin leiten, wenn es darum geht, diesen Job zu kündigen und etwas Mutiges zu tun. Drittens, weil es ein Teil der Geschichte vom Aufstieg, von der Überwindung der Natur ist, unsere inneren Sehnsüchte wegen eines Prinzips zu verleugnen. Das innere Gegenstück dazu ist die Vorstellung, dass unsere Triebe sündhaft sind, und dass wir sie für ein höheres Ziel überwinden müssen. Es ist auch diese Mentalität, die vor der Großzügigkeit zurückschreckt, denn was ist, wenn ich sie mir nicht leisten kann? Das Selbstvertrauen, das ich verfechte, ist untrennbar mit der Grundannahme dieses Buches verbunden, die ich im Kapitel 1 dargelegt habe: Wir werden in die Dankbarkeit und in die Nowendigkeit und den Wunsch zu geben hineingeboren.
Mit anderen Worten: Vertrauen Sie darauf, dass es nicht Ihr wahrer Wunsch ist, die Umwandlung der Welt in Geld voranzutreiben. Vertrauen Sie darauf, dass Sie mit ihrem Leben Schönes bewirken wollen.
Dann schlage ich vor, dass wir uns für die rechten Lebensweise nach unserem Bedürfnis und unseren Wunsch zu geben orientieren. Ich schlage vor, dass wir mit einem Blick auf die Welt schauen, der fragt “Welche Gelegenheit bietet sich mir hier zu geben?” oder “Wie kann ich meine Gaben am besten schenken?” Behalten Sie diese Absicht im Hinterkopf, und es werden sich Ihnen unerwartete Gelegenheiten bieten. Schnell wird Ihnen jede Situation unerträglich, in der Sie für eine Sache, die Ihnen gut erscheint, nicht ihre Lebensgeschenke hergeben.
Es ist okay, wenn das, was sich für Sie “gut und richtig anfühlt”, lediglich darin besteht, Ihre Familie zu ernähren. Der Schlüssel ist die dienende Haltung. Wenn Sie versuchen, sich über Schuldgefühle zum rechten Lebenswandel zu zwingen, werden Sie damit wahrscheinlich beim Gegenteil landen. Es gibt ganze Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die nichts anderes sind als große Eitelkeitsprojekte, ausgeklügelte Konstruktionen, die es Menschen erlauben, sich selbst zu beweihräuchern. Das ist alles Ego. Der Sinn von rechter Lebensführung ist nicht, dass Sie dadurch ein positives Selbstbild bekommen. Menschen, die es aus diesem Grund tun, sind an ihrer Abwehrhaltung, Scheinheiligkeit und Selbstgerechtigkeit ziemlich leicht zu erkennen. Das Ziel einer rechten Lebensführung ist, Ihre Energien für etwas zu geben, das Sie lieben. Es sollte sich befreiend anfühlen, nicht wie eine moralische Last, nicht wie schon wieder etwas, das Sie richtig machen müssen, um gut zu sein.
Um tiefer in den rechten Lebenswandel einzutauchen, dienen Sie, jeden Tag. Verlassen Sie sich auf Ihren Wunsch zu schenken, erinnern Sie sich, wie gut es sich anfühlt, und seien Sie offen für entsprechende Gelegenheiten, besonders dort, wo es kritisch wird. Und wenn Sie der Mut verlässt, dann machen Sie sich nicht fertig dafür. Die Ängste, die Ihre Großzügigkeit hemmen, sind kein Feind. Wenn wir wachsen, werden die Ängste, die uns heute schützen, beginnen, uns einzuschränken. Wir werden ungeduldig mit ihnen werden und versuchen auszubrechen. Diese Ungeduld bringt neuen Mut. Dieser Wachstumsprozess geht heute durch die gesamte Menschheit. Das Programm vom Aufstieg, das uns einst gut und richtig erschien – die Grenzen der Wissenschaft hinauszuschieben, das Universum zu erobern, über die Natur zu triumphieren – scheint nicht mehr richtig zu sein, jetzt, wo die Konsequenzen dieses Strebens schmerzhaft deutlich zu Tage treten. Wir haben kollektiv einen Krisenmoment erreicht, in dem das Alte intolerabel ist, und das Neue sich noch nicht manifestiert hat (nicht im allgemeinen Verständnis, obwohl es für viele Einzelne bereits Realität ist).
Seien wir also behutsam, wenn es um die rechte Lebensführung oder um das rechte Investieren geht. Trauen wir bei uns selbst und bei anderen dem naturgegebenen Wunsch, zu schenken, und vertrauen wir auf den natürlichen Wachstumsprozess, der uns in diese Richtung lenkt. Statt zu versuchen, dorthin zu gelangen, indem wir uns selbst und anderen Schuldgefühle machen (und Widerstand gegen unsere Bigotterie erzeugen), können wir Gelegenheiten und Ermutigung zum Schenken anbieten, und wir können großzügig mit unserer Wertschätzung sein und die Geschenke der anderen gebührend würdigen. Statt die anderen als egoistische, gierige, ignorante oder faule Menschen zu sehen, die “es einfach nicht kapieren”, können wir sie als göttliche Wesen wahrnehmen, die sich wünschen, die Welt zu beschenken. Wir können sie so sehen, diesen Teil von ihnen ansprechen, und uns dessen so sicher sein, dass unsere Gewissheit als Einladung für uns selbst und die anderen dient, den Schritt in diese Wahrheit zu wagen.
2 Ein kleiner Vorbehalt: Der Theorie nach besteht keine Notwendigkeit zum Wachstum und zur Kommerzialisierung der Commons, wenn der Zinssatz nicht höher als die Ausfallsrisikoprämie ist. Die entscheidenden Komponenten der realen Zinsraten sind aber die Liquiditätsprämie und der Marktzinssatz, der durch Angebot, Nachfrage und die staatliche Geldpolitik festgelegt wird. Diese Komponenten bedeuten, dass man rein durch den Besitz von Geld profitieren kann, und das ist unhaltbar gegenüber den Argumenten, die in Kapitel 4 und 5 erörtert wurden.
3 Anm. d. Ü.: Ebenezer Scrooge ist der alte, hartherzige Geizkragen in Charles Dickens Weihnachtsgeschichte (Original: A Christmas Carol).