Die Entstehung des Lebens im Weltraum könnte man mit einer Art von Erwachen vergleichen, fast so, als ob der Raum selbst, die Materie an sich, wach würde, erwachte, und es ist dieses Erwachen des Raumes in verschiedenen Abstufungen (eigentlich in unendlich vielen verschiedenen Abstufungen), das wir erkennen, wenn wir Leben im Raum sehen, wenn wir Leben in Gebäuden, in den Bergen, in einem Kunstwerk, im Lächeln auf dem Gesicht eines Menschen sehen.
(Christopher Alexander)
Der Großteil dieses Buches handelt vom Geld – einem Thema, mit dem sich die “Ökonomie” heute hauptsächlich befasst. Auf einer tieferen Ebene allerdings sollte es in der Ökonomie um Dinge gehen, besonders um jene Dinge, die die Menschen erzeugen, und um die Fragen, warum sie sie erzeugen, wer sie benutzen darf, und wie sie zirkulieren.
Wenn ich durch die amerikanischen Vorstädte mit ihren Fastfood Restaurants, den riesigen Kaufhaus-Klötzen und der immergleichen Raumaufteilung fahre, oder wenn ich mir die Architektur der modernen Bürogebäude und Wohnhochhäuser ansehe, kann ich nur staunen über die Hässlichkeit von all dem. Im Vergleich zum Charme und der intensiven Lebendigkeit, die ältere Bauten und Strukturen ausströmen, ist unsere eine total verarmte Welt. Ich staune mit einer an Wut grenzenden Empörung, dass wir nach Tausenden von Jahren an Fortschritt in der materiellen Technologie in einer so hässlichen Welt leben können. Sind wir wirklich so arm, dass wir uns nichts Besseres leisten können? Wozu all diese Opfer, all diese Zerstörung, wenn wir an den guten Dingen im Leben, dem Schönen und Einzigartigen, ärmer sind als ein Kleinbauer im Mittelalter? Wenn ich Gegenstände aus vergangenen Zeiten betrachte, bin ich beeindruckt, wie stark sie sind, welch eine intensive Lebensqualität sie ausstrahlen. Heute ist fast alles, was wir verwenden, selbst wenn es viel gekostet hat, billig, es riecht nach Fälschung, Durchschnittlichkeit und Verkaufstechnik.
Beginnen wir am Beispiel der Gebäude und übertragen es dann auf alle künstlich hergestellten Dinge. Unsere Gebäude lassen sich gundsätzlich zwei verschiedenen Kategorien zuordnen: Die erste ist rein zweckmäßig: Kaufhäuser, Supermärkte, Einzelhandelsgeschäfte und so weiter, die gebaut wurden, um eine Funktion so billig wie möglich zu erfüllen. Ästhetik spielt hier keine Rolle. Bei der zweiten Kategorie von Gebäuden wird versucht, ästhetische Elemente einzubauen, aber das sind entweder für die Funktionalität unbedeutende Zusätze, wie Bögen auf der Veranda eines Vorstadthauses, die keinen strukturellen Zweck erfüllen, oder sie gehen sogar auf Kosten von Funktion.
Diese beiden Kategorien von Gebäuden entsprechen zwei verhängnisvollen irrigen Vorstellungen von Schönheit. Die erste ist, dass Schönheit ein Nebenprodukt von Funktionalität und praktischer Effizienz sei. Wie der Architekt Christopher Alexander es ausdrückt:
Weil wir die Welt immer noch aus dem Blickwinkel des 20. Jahrhunderts betrachten, wird Studenten eingeredet, dass “Schönheit” nebenbei entsteht, wenn man auf praktische Effizienz abzielt. Anders gesagt, wenn man es praktisch und effizient macht, dann folgt automatisch daraus, dass es schön wird. Form follows function! … Sie – oft sind es die vernünftigsten und intelligentesten Studenten – verfolgen eine fast moralistische Leidenschaft in ihrem Bestreben zu beweisen, dass diese schönen Dinge durch rein funktionales Denken entstanden sein müssen.1
In der modernen bebauten Umwelt finden sich reichlich Beispiele, dass das nicht der Fall ist, dass Schönheit nicht notwendigerweise entsteht, wenn Effizienz angestrebt wird. Aber es stimmt auch nicht, dass Schönheit für die Funktionalität irrelevant ist, wie man an den gekünstelt wirkenden Verzierungen auf so vielen zeitgenössischen Gebäuden sieht. Das ist das zweite Missverständnis von Schönheit: dass sie etwas Zusätzliches, etwas von der Funktion Getrenntes sei. So kommt es, dass wir unterscheiden zwischen dem Ästhetischen und dem Praktischen, der bildenden Kunst und der angewandten Kunst. Die Kunst wird, wie der Geist, wie das Spirituelle, in einen gesonderten Bereich gestellt, damit sie nicht mit den Belangen der praktischen Anwendbarkeit besudelt werden. Daher verträgt sich die Welt der Kunst nicht gut mit der Kommerzwelt, und besonders nicht mit dem Inbegriff von Weltlichkeit: mit Geld.
Das erste Missverständnis von Schönheit entspricht der Weltsicht der kartesianischen Wissenschaft2; das zweite kommt von der Weltsicht der kartesianischen Religion3. Erstere entspricht dem Glauben, dass Schönheit, Leben und Seele zweitrangige Eigenschaften, Begleiterscheinungen, nicht messbar und daher nicht real seien. Man zerlegt einen Organismus in seine Einzelteile und bekommt ein Häufchen Materie, ein paar Elemente, ein bisschen Kohlenstoff, ein bisschen Stickstoff, ein bisschen Phosphor … wo ist der Bestandteil, den man Leben oder Geist nennt? Die religiöse Weltsicht auf der anderen Seite scheint auf den ersten Blick jener der Wissenschaft zu widersprechen, weil sie behauptet, dass Geist ein realer Bestandteil des Lebens sei, den die Wissenschaft nicht sieht. Aber auf einer tieferen Ebene stimmen die beiden überein: auch die Religion sieht den Geist als etwas, das der Materie nicht innewohnt, sondern einer davon getrennten, nicht-materiellen Sphäre angehört. Beide sind sich darin einig, dass ein Lebensgeist, wenn es so etwas überhaupt gibt, von der Materie getrennt, ein eigener Bestandteil sein muss. Eine parallele Denkweise führt dazu, dass Schönheit als ein eigener Bestandteil zusätzlich zur Funktion betrachtet wird.
Und so fehlt selbst jenen Dingen, die heute sowohl schön als auch funktionell sein wollen, eine gewisse Authentizität. Die Schönheit scheint schick, effekthascherisch; sie geht nicht sehr tief. Wahre Schönheit, die ich auch Leben oder Seele nennen könnte, geht ins Innerste eines Objekts, und sie ist untrennbar von seiner Funktion – nicht zweitrangig gegenüber der vollendeten Funktion. Sie ruft das paradoxe Gefühl hervor: “Das ist schöner, als es sein muss, aber es könnte nicht anders sein.” Es ist genau das selbe Gefühl, das mich beim Betrachten der Schönheit einer Zelle oder eines Sonnenuntergangs ergreift, oder wenn ich mich in das mathematische Objekt bekannt als Mandelbrot-Menge vertiefe. Es gibt keinen Grund für eine solche Schönheit, eine solche Ordnung aus dem Chaos – sie scheint wie ein wunderbares und doch unbegründetes Geschenk. Die Welt würde sich weiter drehen, wenn die Sonnenuntergänge hässlich oder Himbeeren nicht ganz so köstlich wären, das würde sie doch, oder? Und dennoch könnte keins davon nur im Geringsten anders sein.
Nicht das Hauptaugenmerk auf Funktionalität bringt Schönheit mit sich. Es sind die kreativen Leitgedanken und der kreative Geist, die in das Entstehen von etwas Schönem einfließen, und genau diese führen dazu, dass es auch funktionell ist. Das beginnt schon mit der Absicht, etwas bestmöglich zu machen. Fast hätte ich hier das Wort perfekt verwendet, aber in diesem Wort schwingt etwas von Exaktheit und unfehlbarer Regelmäßigkeit mit. Das hat mit Schönheit, Leben oder Seele wenig zu tun, sondern macht ein Objekt vielmehr seelenlos. Sagen wir also besser, dass es die Absicht ist, ein absolut gewissenhafter Diener jener Schöpfung zu sein, die durch uns geboren wird.
Eine ganzheitliche Beschäftigung mit Nützlichkeit und Schönheit offenbart, dass diesen beiden dieselben Prinzipien zugrunde liegen. Christopher Alexander zählt in seinem umfassenden Buch The Nature of Order fünfzehn solcher Prinzipien auf. Diese fünfzehn fundamentalen Eigenschaften zeichnen sowohl natürliche Systeme als auch überragende Werke der Architektur und der Kunst aus. Einige davon sind: Größenverhältnisse, starke Zentren, positiver Raum, lokale Symmetrien, tiefes Ineinandergreifen und Vieldeutigkeit, Grenzen, Rohheit, und Gradienten. Aber das Entscheidende an seinem Konzept von Ganzheitlichkeit, Ordnung und Leben ist der Begriff der Zentren: Gebilde, die sich wie Elemente zu einem Ganzen fügen, die aber (nicht wie Elemente) selbst erst durch diese Gesamtheit erzeugt werden.4 “Die Gesamtheit ist aus Teilen gemacht; die Teile werden durch die Gesamtheit geschaffen.” Alles, was die Qualität des Lebendigseins hat, ist aufgebaut aus Zentren in Zentren in Zentren, Ganzheiten in Ganzheiten, und jede erschafft alle anderen.
Der Mensch ist keine Ausnahme. Wie die Gesellschaft aus Menschen zusammengesetzt ist, so ist auch der Mensch ein Produkt der Gesellschaft. Denken Sie an das Selbst in Verbundenheit: Wir sind unsere Beziehungen. Gehen wir eine Ebene weiter nach innen, dann können wir das Gleiche über die Beziehung zwischen uns und unseren Organen sagen. Das ist eine universelle Wahrheit des Lebens. Eine Wirtschaft, die lebendig ist, die heilig, die eine Erweiterung des Ökosystems ist, muss dieselben Eigenschaften besitzen. Und jedes Objekt in dieser Wirtschaft, jeder Gegenstand, den Menschen schaffen und zirkulieren lassen, muss die Verbindung zu allem, was ihn umgibt, darstellen. Unsere heutige Wirtschaft ist eine der Getrenntheit: standardisierte Waren, die keine Beziehung zum individuellen Nutzer haben, Gebäude, die keine Beziehung zu dem Land haben, auf dem sie gebaut sind, Einzelhandelsgeschäfte, die keine Verbindung zu lokalen Produzenten haben, und Produkte, die ohne Rücksicht auf die Auswirkungen, die sie auf Natur und Mensch haben, erzeugt wurden. Nichts davon kann jemals schön, lebendig oder ganz sein.
Auch wenn wir diese Eigenschaften beschreiben können, ist es trotzdem nicht möglich, Schönheit, Leben und Seele in eine Formel zu bringen. Man kann sie in der Einfachheit finden, wie bei den Shaker-Möbeln, oder im Ornamentalen, wie bei der Moscheeanlage vom Masǧed-e Emām oder dem Mevlânâ-Mausoleum. Alexander zeigt einige starke Möglichkeiten auf, das zu erkennen: Wenn wir Objekte vergleichen, können wir uns fragen: “Welches davon hat mehr Leben?” “Welches von ihnen ist mehr ein Spiegel meiner selbst?” “Bewirkt dieses Objekt, dass sich mein Menschsein erweitert oder verkleinert?”
Um dementsprechend Objekte mit Seele zu erschaffen, Objekte für eine reiche und schöne Welt, müssen wir sie mit Leben füllen, mit dem Selbst und mit Menschlichkeit; wir müssen sie also in-vestieren, bekleiden, mit etwas von uns selbst. Ganz egal, welches Geldsystem wir haben, wenn es nicht diese Art von kreativen Prozessen anregt oder ermöglicht, dann werden wir nicht in einer heiligen Ökonomie leben. Wenn wir also in uns selbst die Erkenntnis stärken, dass das Heilige dem Materiellen innewohnt, und unsere Arbeit mit dieser Heiligkeit in Einklang bringen, dann legen wir den gesellschaftlichen und geistigen Grundstein für eine Wirtschaft, in der immer mehr von dem, was wir für einander herstellen und tun, schön, persönlich, lebendig und seelenvoll sind.
Diese Art von Wohlstand zu erreichen hatte in der Öffentlichkeit hunderte Jahre lang für keinen Teil des ideologischen Spektrums Priorität. Die Sozialisten im zwanzigsten Jahrhundert lehnten zum Beispiel jeglichen Firlefanz und jeden Genuss ab, der nicht messbar das materielle Wohlbefinden steigerte. Bei ihrem großen Projekt, die Produktion zu maximieren, legten sie dagegen Wert auf die plumpe Nützlichkeit rationalen Wirtschaftens, um die Massen reichlich mit billigen Waren zu versorgen. Dieselbe Nüchternheit, die man von einem sozialistischen Genossen erwarten würde, gilt auch für die progressive Aktivistin von heute, die auf das gute Leben verzichten muss, um ihre altruistischen Ideale zu verfolgen. Und der Staatskapitalismus ist da wenig anders: er hat die schmerzhaft hässlichen Zweckgebäude und Objekte des Sozialismus neu geschaffen und perfektioniert. Ich erinnere mich daran, als Kind von den Schrecken des Lebens in der Sowietunion gehört zu haben. Es gab angeblich nur eine Art von Kaufhaus, ein gigantisches fensterloses Verteilungslager, in dem lustlose missmutige Funktionäre arbeiteten, die billig gemachte, austauschbare Waren verkauften. Das klingt sehr nach Wal-Mart. Oh, und Eltern waren dazu verpflichtet, ihre Kinder schon mit zwei Jahren in staatlich betriebene Tagesbetreuungsstätten zu schicken – selbst das Elternsein war abgeschafft worden. Heute ist das hier praktisch genauso, nur wurde die Staatsgewalt von der wirtschaftlichen Notwendigkeit abgelöst. Auf jeden Fall haben wir eine materielle Welt ohne Seele geschaffen, völlig ohne Leben und tödlich für das Leben. Und wozu das alles? Alles im Namen der Effizienz, für das große Projekt der maximierten Produktion von Waren, und dem zugrundeliegend die Beherrschung und Kontrolle über das Leben. Das hätte das Paradies der Technologie sein sollen: Leben unter Kontrolle. Und endlich sehen wir es als das, was es ist: die Einkaufsmeile, der Roboterkassier, die endlosen Parkflächen, die Ausmerzung des Wilden, Lebendigen, Unordentlichen und des Heiligen.
Ein heiliges Objekt verkörpert etwas vom Unendlichen. Es steht daher vom Wesen her im Gegensatz zur Ware, die durch eine endliche Liste an messbaren detaillierten technischen Aufgliederungen definiert ist. Und, wie wir gesehen haben, wirkt die Gleichförmigkeit des Geldes ansteckend auf alles, was es berührt, und alles zieht es in die Warensphäre. Das Schrumpfen der Geldsphäre, das ich in Kapitel 14 beschrieben habe, birgt die Möglichkeit, dass wir unsere Dinge immer mehr von den Fesseln der Warenwelt befreien. Schließlich sind wir übersättigt mit materiellen Gütern, ein Ergebnis der standardisierten Massenproduktion und der Effizienz der Produktion im großen Maßstab. Unsere gigantischen Überkapazitäten zeigen an, dass wir diese Effizienz gar nicht brauchen, und genausowenig die Massenproduktion. In der verrückten Falle von Geld, das Wachstum verlangt, produzieren wir zwanghaft mehr und immer billigere, hässliche Dinge, die wir nicht brauchen, während wir unter einer Armut an Dingen leiden, die schön, einzigartig, persönlich und lebendig sind. Diese Armut wiederum treibt unseren unausgesetzten Konsum an, eine verzweifelte Suche, um die Leere zu füllen, die eine ihrer Bezogenheit beraubte materielle Umgebung hinterlässt.
Im Kapitel 2 streifte ich dieses Thema, als ich schrieb: “Die Billigkeit unserer Sachen ist Teil ihrer Entwertung, und das wirft uns in eine billige Welt, in der nichts einzigartig und alles austauschbar ist.” Wir haben jetzt schon sehr lange immer weniger Wert auf unsere Sachen gelegt. Wir in den reichen Ländern machen uns nicht einmal mehr die Mühe, die meisten unserer Sachen zu reparieren, weil es gewöhnlich billiger ist, neue zu kaufen. Doch vieles von dieser Billigkeit ist eine Illusion, die daher kommt, dass die Kosten externalisiert werden. Wenn wir den wahren Preis dafür zahlen müssen, dass wir die Geschenke der Natur verbrauchen, werden Materialien für uns wertvoller. Dann wird die wirtschaftliche Logik das Verlangen in unseren Herzen verstärken, die Welt mit Ehrfurcht zu behandeln, und ihm nicht zuwiderlaufen, weil wir dann die Geschenke der Natur bewahren und gut gebrauchen.
Dann trägt die heilige Ökonomie letztlich einen Teil zur Heilung der Kluft zwischen Geist und Materie, Mensch und Natur, Kunst und Arbeit bei, die unsere Zivilisation seit Tausenden von Jahren zunehmend prägt. Auf unserem Weg in die Getrenntheit haben wir erstaunlich kreative Werkzeuge, die Technologie und die Kultur entwickelt, die es nicht gäbe, hätten wir nicht unsere ursprüngliche Ganzheit verlassen. Jetzt liegt es an uns, diese Ganzheit wiederzuerlangen und sie in eine neue Sphäre einzubringen, sodass wir etwa mit Nanotechnologie und sozialen Medien dieselbe Lebendigkeit, Schönheit und Seele erschaffen, welche die alten Meister mit der Dechsel und dem Lied schufen.5 Beharren wir auf nichts Geringerem. Für welches Ziel haben unsere Vorfahren Opfer gebracht, wenn nicht dafür, eine schönere Welt zu schaffen?
Wir sind als Schöpfer geboren, wir sind hier, um unseren Gaben überschwänglich Ausdruck zu verleihen, unsere Talente zu verwirklichen. Die grundlegende Verbindung zwischen Schönheit und Funktion legt eine gleichgeartete Harmonie zwischen Überleben und der Verwirklichung unseres Potentials nahe. Die alte Trennung zwischen dem Zwang, sich den Lebensunterhalt verdienen zu müssen und dem Drang, ein Künstler zu sein, wird sich auflösen – sie ist schon dabei, zu verschwinden. Mehr und mehr von uns verweigern sich dieser Trennung. Nichts wird zu unbedeutend sein, um nicht unsere Sorgfalt zu verdienen, unsere Ehrfurcht und unser Bestreben, es richtig zu machen. Wir werden danach trachten – wir bemühen uns schon -, alles in die Ganzheit einzubetten. Alle diese Bewegungen, von denen ich im Buch erzählt habe, bringen uns einer Welt näher, die schön ist. Die soziale Dividende, die Internalisierung von Kosten, Postwachstum, Fülle und Schenkökonomie, all das führt uns weg von der Mentalität, die von Kampf, vom Überleben und daher von der auf den Nutzen zentrierten Leistungsfähigkeit geprägt ist; und es führt uns hin zu einem Zustand von echter Dankbarkeit: der Ehrfurcht vor dem, was wir bekommen haben, und dem Verlangen, Gleichwertiges oder Besseres von unseren Ressourcen zu geben. Wir wünschen uns, die Welt schöner zurückzulassen, als sie war, als wir in sie kamen.
Wie schön kann das Leben sein? Wir können es uns kaum ausmalen. Einen ersten kurzen Blick darauf durfte ich mit neunzehn Jahren erhaschen, als ich das Nationale Palastmuseum in Taiwan besuchte. Dort wurden Kunstwerke ausgestellt, von denen ich nicht geglaubt hätte, dass sie existieren könnten, hätte ich sie nicht mit eigenen Augen gesehen. Insbesondere erinnere ich mich an eine Teekanne, die Teekanne des Kaisers, einen Gegenstand von solcher Schönheit und Perfektion, dass mir schien, es wohnte die Seele eines Gottes darin. Wahrer Reichtum, das hieße, dass jeder Mensch auf der Welt von Objekten wie diesen umgeben wäre, von Gegenständen, gemacht von Meistern in der vollen Blüte ihres Schaffens. Ich glaube nicht, dass eine solche Meisterschaft nur wenigen möglich ist; es liegt eher daran, dass unsere Talente so unterdrückt sind, dass nur wenige diese Könnerschaft erreichen. Zum Glück haben wir die Beweise aus der Vergangenheit, die uns daran erinnern, was möglich ist. Ich sehe große Kunstwerke wie die Teekanne an und denke: “Diesen Menschenschlag, der das gemacht hat, gibt es heute nicht mehr.” Solche Objekte liegen jenseits dessen, wozu auch nur ein einziger Mensch, der in diesem dekadenten Zeitalter lebt, fähig ist. Aber in unserem Menschsein liegt diese Möglichkeit begründet, und wir sind auf dem Weg dahin, sie wiederzuerlangen.
Christopher Alexander erzählt die Geschichte, wie er den Tofuku-ji Tempel in Japan besuchte, ein Meisterwerk der Architektur. Er schlendert über eine Treppenflucht aus Steinstufen, die sich zwischen zwei Hecken verjüngt und dann endet. Sie lässt ihm keine andere Wahl, als sich auf die oberste Stufe hinzusetzen – ein perfekter Platz, ruhig und luftig nach einem langen Aufstieg. Eine blaue Libelle sitzt neben ihm. Er schreibt:
Plötzlich war ich mir sicher, dass die Menschen, die diesen Ort gebaut hatten, all das mit Absicht gemacht hatten. Ich war mir sicher – ganz gleich wie seltsam oder unrealistisch es heute, da ich davon erzähle, klingen mag – dass sie diesen Ort gemacht hatten und wussten, dass die blaue Libelle kommen und neben mir sitzen würde. Wie immer das jetzt klingt, in dem Moment, als es geschah, als ich auf dieser Stufe saß, hatte ich überhaupt keinen Zweifel, dass diese Menschen, die diesen Platz errichtet hatten, einen Grad an Kunstfertigkeit erreicht hatten, den ich nie zuvor erlebt hatte. Ich erinnere mich, mich schauderte, als mir meine eigene Ignoranz bewusst wurde. Ich spürte, dass es da einen Grad an Kunstfertigkeit und Wissen gibt, der alles übersteigt, was mir je zuvor untergekommen war.6
Eine solche Kunstfertigkeit, die alles übersteigt, was wir für möglich halten, liegt in jedem von uns heute verborgen. Die große Aufgabe der Menschheit ist es, sie wiederzuerlangen, und darauf aufbauend eine Welt zu errichten.
1 Christopher Alexander, The Nature of Order. An essay on the art of building and the nature of the Universe. Band 1: The Phenomenon of Life. Center for Environmental Structure, Berkeley, 2002; S.423
2 Also in etwa: Was man nicht messen kann, sind sekundäre Qualitäten und damit unwichtig. (Anm. d. Ü.)
4 Um genau zu sein, selbst Grundbausteine der Physik, weit davon entfernt, einzelne Bausteine von Materie zu sein, werden selbst durch die Gesamtheit erzeugt, auch wenn sie diese Gesamtheit erzeugen. Ein Elektron existiert nur in Beziehung. Das ist ein universelles Prinzip. Hässlichkeit entsteht, wenn wir so tun, als wäre das nicht der Fall.