Kapitel 2 – Knappheit – eine Illusion

 

 

Mit ewig gleicher Fülle grünt und blüht der Boden Englands, wogend mit goldenen Ernten, dicht besetzt mit Werkstätten, mit Handwerkszeug aller Art, mit fünfzehn Millionen Arbeitern, die die stärksten, klügsten und willigsten sein sollen, die unsere Erde je besaß; diese Männer sind hier; die Arbeit, die sie getan, die Frucht, die sie geschaffen haben, ist hier im Überfluss, überall in üppigster Fülle – und siehe, welch unselig Gebot, wie eines Zauberers, ist ausgegangen und sagt: “Rührt es nicht an, ihr Arbeiter, ihr arbeitenden Herren, ihr müßigen Herren; euer keiner soll es anrühren, euer keiner soll es genießen – dies ist verwunschene Frucht”.

(Thomas Carlyle, Past and Present)

Man sagt, dass Geld, oder zumindest die Liebe zum Geld die Wurzel allen Übels sei. Aber warum sollte das so sein? Schließlich ist der ursprüngliche Zweck von Geld, den Austausch zu erleichtern – also unsere Fähigkeiten und Gaben mit unseren Bedürfnissen zusammenzubringen. Welche Macht, welche monströse Pervertierung hat Geld in das Gegenteil verkehrt, in ein Mittel der Knappheit?

Wir leben doch in einer Welt der Fülle, einer Welt, in der riesige Mengen von Nahrung, Energie und Materie verschwendet werden. Die halbe Welt hungert, während die andere so viel wegwirft, dass die erste Hälfte davon leben könnte. In der Dritten Welt und in unseren eigenen Ghettos fehlt es Menschen an Nahrung, Unterkunft und anderen Lebensgrundlagen, und sie können es sich nicht leisten, diese zu kaufen. Währenddessen pumpen wir unglaublich viele Ressourcen in Kriege, in Plastikramsch und unzählige andere Produkte, die nichts zu unserem Glück beitragen. Offensichtlich ist der Grund für Armut nicht ein Mangel an produktiver Kapazität. Auch fehlt es nicht an der Bereitschaft zu helfen: Viele Menschen würden gerne die Armen speisen, für den Erhalt der Natur arbeiten oder andere sinnvolle Arbeit tun. Aber sie können es nicht, weil damit kein Geld zu machen ist. Das Geld versagt total dabei, Gaben und Bedürfnisse miteinander in Verbindung zu bringen. Warum?

Lange Jahre dachte ich, dass die Antwort “Gier” sei und folgte damit der gängigen Meinung. Warum drücken Billiglohn-Fabriken die Gehälter bis zum absoluten Minimum?Gier. Warum kaufen Menschen dieselschluckende Geländelimousinen? Gier. Warum unterdrücken Pharmafirmen Forschung und verkaufen Medikamente, von denen sie wissen, dass sie gefährlich sind? Gier. Warum arbeiten Fischer mit Dynamit? Warum pumpen Fabriken giftige Abwässer in die Flüsse? Warum plündern räuberische Finanzinvestoren die Pensionskassen der Angestellten? Gier, Gier, Gier.

Irgendwann war ich mit dieser Antwort nicht mehr zufrieden. Erstens schlägt sie in die selbe Kerbe wie die Ideologie der Getrenntheit, die an der Wurzel der Übel unserer Zeit liegt. Diese Ideologie ist so alt wie die Unterscheidung in der Landwirtschaft zwischen “wild” und “kultiviert”, menschlich und natürlich, Kraut und Unkraut, die die Welt in zwei getrennte Bereiche spaltet. Sie besagt, dass es zwei entgegengesetzte Kräfte in der Welt gibt: gut und böse, und dass wir eine bessere Welt schaffen können, wenn wir das Böse bekämpfen. Es gibt einen bösen Anteil in der Welt und in uns selbst, etwas, das wir ausrotten müssen, damit das Gute in der Welt siegen kann.

Der Kampf gegen das Böse durchdringt jede unserer gesellschaftlichen Institutionen. In der Landwirtschaft wird er sichtbar in dem Wunsch, die Wölfe auszurotten, alles Unkraut mit Glyphosat zu vernichten und alle Schädlinge zu töten. In der Medizin ist es der Krieg gegen die Keime, eine endlose Schlacht gegen eine feindliche Umwelt. In der Religion ist es das Ringen mit der Sünde oder mit dem Ego oder der Kampf gegen den Unglauben oder den Zweifel, oder die Projektionen dieser Dinge nach außen: den Teufel, die Ungläubigen. Es ist die Mentalität des Reinigens, der Säuberung, der Selbstverbesserung, des Bezwingens, des Aufstiegs über die Natur und der Überwindung von Begierden. Man opfert sich selbst auf, um gut zu sein. In jedem Fall ist es die Mentalität der Beherrschung.

Sie besagt, dass wir, wenn einst der endgültige Sieg gegen das Böse errungen ist, ins Paradies kommen. Wenn wir alle Terroristen vernichten oder eine unüberwindbare Mauer bauen, um sie auszusperren, werden wir sicher sein. Wenn wir ein Antibiotikum entwickeln, gegen das es keine Resistenzen gibt, und unsere Körpervorgänge künstlich regulieren, werden wir vollends gesund sein. Wenn wir Verbrechen unmöglich machen, und wenn es für alles ein Gesetz gibt, werden wir eine perfekte Gesellschaft haben. Wenn Sie Ihre Faulheit überwinden, Ihre Triebe, Ihre Süchte, werden Sie ein perfektes Leben haben. Bis dahin werden Sie sich einfach mehr anstrengen müssen.

Die Gier ist auch angeblich das Problem im Wirtschaftsleben, sowohl in der Außenwelt (in Form all dieser gierigen Menschen) als auch in uns selbst (in Form unserer eigenen Neigung, gierig zu sein). Wir machen uns gerne vor, dass wir selbst ja nicht so gierig sind – vielleicht haben wir gierige Impulse, aber wir halten sie unter Kontrolle. Nicht so die anderen! Manche Menschen haben ihre Gier einfach nicht im Griff. Es fehlt ihnen etwas Grundlegendes, das Sie und ich haben, ein Anstand, eine Integrität. Sie sind schlicht und einfach schlecht. Wenn sie nicht lernen, ihr Verlangen zu zähmen, mit weniger auszukommen, dann werden wir sie wohl dazu zwingen müssen.

Ganz offensichtlich ist das Bezugssystem der Gier gespickt mit Urteilen über andere, aber auch mit Selbsturteilen. Hinter unserem selbstgerechten Ärger und Hass auf die Gierigen verbirgt sich die heimliche Angst, dass wir im Grunde nicht besser sind als sie. Die Scheinheiligen treiben die Hetzjagd gegen das Böse am eifrigsten voran. Den Feind nach außen zu projizieren ermöglicht es, latente Aggressionen zu kanalisieren. Das ist einerseits notwendig: Diese Gefühle aufzustauen oder gegen sich selbst zu richten hat entsetzliche Folgen. Aber ich bin in meinem Leben an einen Punkt gelangt, wo ich mit meinem Hass am Ende war. Ich war am Ende mit dem Kampf gegen mich selbst, am Ende mit dem Ringen darum, gut zu sein, und am Ende mit der Heuchelei, dass ich besser als irgendjemand anderer wäre. Ich glaube, die Menschheit nähert sich kollektiv auch diesem Ende. Gier ist die falsche Spur, sie ist selbst ein Symptom und nicht der Grund für ein tieferes Problem. Die Schuld auf die Gier zu schieben und sie zu bekämpfen, indem man die Selbstbeherrschung verstärkt, bedeutet den Kampf gegen das Selbst zu verstärken, der auch nur ein anderer Ausdruck für den Kampf gegen die Natur und gegen das „Andere“ ist, und dieser Kampf liegt der gegenwärtigen Krise der Zivilisation zugrunde.

In einer Umgebung der Knappheit ist Gier sinnvoll. Unsere herrschende Ideologie geht davon aus. Es ist Teil unserer Selbstdefinition. Das einsame Ich in einem von feindlichen oder gleichgültigen Kräften bestimmten Universum befindet sich immer am Rande der Vernichtung. Es ist nur so weit sicher, wie es diese Kräfte kontrollieren kann. In ein objektives Universum geworfen, das uns umgibt, müssen wir miteinander um begrenzte Ressourcen konkurrieren. Die Biologie und die Wirtschaftswissenschaften basieren auf dieser Geschichte vom Selbst in Getrenntheit, daher ist die Gier eine ihrer Grundannahmen. In der Biologie ist es das Gen, das danach trachtet, sein reproduktives Eigeninteresse zu maximieren. In den Wirtschaftswissenschaften ist es der homo oeconomicus, der danach strebt, sein finanzielles Eigeninteresse zu maximieren. Aber wenn die Annahme von Knappheit falsch ist? Wenn sie eine Projektion unserer Ideologie, aber nicht die letzte Wahrheit ist? Dann wäre Gier nicht in unserer Biologie festgeschrieben, sondern lediglich ein Symptom einer Wahrnehmung von Knappheit.

Die Tendenz, dass reiche Menschen eher weniger großzügig sind als arme, ist ein Indiz dafür, dass Gier eher durch empfundene und nicht durch tatsächliche Knappheit entsteht. Ich habe erlebt, dass arme Menschen einander recht häufig kleine Summen borgen, die im Verhältnis fast das halbe Vermögen einer reichen Person ausmachen würden. Umfangreiche Forschungen bestätigen diese Beobachtung. Eine große Umfrage aus dem Jahr 2002 von Independent Sector, einer nicht gewinnorientierten Forschungsorganisation, ergab, dass Amerikaner, die weniger als $25 000 verdienten, 4.2% ihres Einkommens für wohltätige Zwecke spendeten, während Menschen, die über $100 000 verdienten 2.7% spendeten. Ein noch aktuelleres Ergebnis kommt von Paul Piff, einem Sozialpsychologen an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Er schreibt: “Menschen mit niedrigerem Einkommen waren großzügiger, wohltätiger, vertrauensvoller und hilfsbereiter als jene, die wohlhabender waren.”1 Piff fand Folgendes heraus: Wenn Testpersonen Geld bekamen und es anonym zwischen sich und einem Partner (der niemals ihre Identität erfahren würde) aufteilen sollten, war ihre Großzügigkeit umgekehrt proportional zu ihrem sozioökonomischen Status.2 Obgleich es verlockend erscheint daraus zu schließen, dass gierige Menschen reich werden, wäre eine ebenso plausible Interpretation, dass Reichtum Menschen gierig macht. Warum sollte das so sein? In einer Umgebung der Fülle ist Gier dumm, nur in einer Umgebung der Knappheit ist sie vernünftig. Die Reichen nehmen Knappheit wahr, wo keine ist. Sie sorgen sich auch mehr ums Geld als irgendjemand sonst. Könnte es sein, dass Geld selbst eine Gefühl der Knappheit verursacht? Könnte es sein, dass Geld – gleichsam ein Synonym für Sicherheit – paradoxerweise das Gegenteil bringt? Die Antwort auf beide Fragen ist: Ja. Auf individueller Ebene haben reiche Menschen um einiges mehr in ihr Geld “investiert” und können es viel weniger loslassen. (Leicht loslassen können spiegelt eine Geisteshaltung der Fülle wider.) Wie wir sehen werden, wohnt dem Geld auch auf systemischer Ebene Knappheit inne. Das ist eine direkte Folge der Art und Weise, wie es geschaffen und in Umlauf gebracht wird.

Die Annahme von Knappheit ist eines der zwei zentralen Axiome der Ökonomie. (Das zweite ist, dass Menschen natürlicherweise danach streben, ihr rationales Eigeninteresse zu maximieren.) Beide sind falsch. Genauer, sie sind nur in einem sehr engen Bereich wahr, einem Bereich, den wir, wie der Frosch am Grund des Brunnens3, für die gesamte Wirklichkeit halten. Wie so oft ist das, was wir für die objektive Wahrheit halten, nur eine Projektion unserer eigenen Sichtweise auf die “objektive” Welt. Wir sind so tief im Knappheitsdenken, dass wir die Knappheit für naturgegeben halten. Tatsächlich leben wir aber in einer Welt der Fülle. Die Knappheit, die wir als allgegenwärtig erfahren, ist ein Artefakt unseres Geldsystems, unserer Politik und unserer Wahrnehmungen.

Wie wir sehen werden, reflektieren unser Geldsystem, unsere Besitzstrukturen und generell unsere Wirtschaftsordnung genau diese Selbstwahrnehmung, zu der auch das Gefühl von Knappheit gehört. Es ist das “getrennte und eigenständige Selbst”, das kartesianische Ich: eine psychologische Seifenblase, die durch ein gleichgültiges Universum schwebt. Es will besitzen, kontrollieren und so viel Reichtum wie möglich für sich anhäufen. Abgeschnitten vom Reichtum einer Existenz in Verbundenheit, ist es von vornherein dazu verurteilt, niemals genug zu bekommen. Die Behauptung, dass wir in einer Welt der Fülle leben, provoziert bei manchen meiner Leser eine an Feindseligkeit grenzende Gefühlsreaktion. Meist sind es jene, die daran glauben, dass eine harmonische Koexistenz zwischen den Menschen und dem Rest der belebten Natur ohne eine massive Bevölkerungsreduktion unmöglich wäre. Sie führen Peak Oil und den Ressourcenabbau ins Treffen, die Klimaerwärmung, den Schwund des Ackerbodens und unseren ökologischen Fußabdruck um zu beweisen, dass die Erde die industrialisierte Zivilisation bei der gegenwärtigen Bevölkerungsdichte nicht mehr lange verkraften kann.

Darauf gibt dieses Buch eine Antwort, als Teil der Vision von einer heiligen Ökonomie. Noch wichtiger: Es behandelt auch die Fragen nach dem “Wie” – zum Beispiel: „Wie kommen wir von hier nach dort?“ Zur Beantwortung dieser Fragen möchte ich vorab etwas sagen, das Grund zur Hoffnung gibt.

Es ist wahr, dass das menschliche Tun die Erde heute schwer überbelastet. Fossile Brennstoffe, Wasserläufe, fruchtbarer Boden, die Fähigkeit, Schadstoffe zu absorbieren, die Ökosysteme, die die Biosphäre aufrechterhalten – all das wird mit alarmierender Geschwindigkeit aufgebraucht und zerstört. Alles, was wir momentan an Gegenmaßnahmen diskutieren, kommt viel zu spät – ein Tropfen auf den heißen Stein verglichen mit dem, was notwendig wäre.

Auf der anderen Seite ist das allermeiste, was wir Menschen tun, entweder überflüssig, oder es macht uns unglücklich. Nehmen wir zum Beispiel die Waffenindustrie und die Ressourcen, die ein Krieg verschlingt: 2 Billionen Dollar im Jahr, ein riesiger wissenschaftlicher Apparat, und die Lebensenergie Millionen junger Menschen. All das dient keinem Bedürfnis außer einem, das wir selbst fabriziert haben.

Oder die US-Immobilienindustrie mit den enormen McMansions4 der letzten zwei Jahrzehnte, die wiederum keinem menschlichen Bedürfnis dienen. In manchen Ländern würde ein Gebäude dieser Größe 50 Menschen beherbergen. Und so bleiben die hallenartigen Wohnzimmer ungenutzt, weil sich die Menschen in diesen unmenschlichen Dimensionen gar nicht wohl fühlen und Zuflucht im kleinen Hobbyraum oder in der gemütlicheren Essecke suchen. Materialien, Energie und Instandhaltung für solche Monstrositäten sind eine Ressourcenverschwendung. Vielleicht noch verschwenderischer ist das Konzept von Suburbia, der Vorstadt selbst: Dort ist öffentlicher Verkehr unmöglich, also braucht jeder ein Auto und muss übertrieben viel Zeit darin verbringen.

Oder die Nahrungsmittelindustie mit der massiven Verschwendung auf allen Ebenen. Einer Studie der Regierung zufolge betragen die Verluste vom Feld bis zum Einzelhändler 4%, vom Einzelhändler zum Konsumenten 12% und beim Verbraucher selbst 29%.5 Darüber hinaus werden auf riesigen Ackerflächen Pflanzen für die Biotreibstofferzeugung angebaut, und die maschinelle Landwirtschaft schließt arbeitsintensive Anbautechniken wie Mischkultur, die die Produktivität enorm verbessern könnten, aus.6

Solche Zahlen zeigen das Potential an Fülle, das selbst in einer Welt mit 7 Milliarden Menschen möglich ist – mit einem Vorbehalt: Menschen werden mehr Zeit (pro Kopf) für den Anbau von Nahrungsmitteln aufwenden müssen – eine Trendumkehr im Vergleich zu den vergangenen zwei Jahrhunderten. Wenigen ist bewusst, dass Biolandwirtschaft zwei- bis dreimal produktiver als konventioneller Anbau sein kann – pro Hektar, aber nicht pro Arbeitsstunde.7 Und ein Garten kann sogar noch produktiver sein – aber auch noch arbeitsintensiver. Wenn Sie gerne gärtnern und der Meinung sind, dass es den Menschen gut täte, näher am Erdboden zu sein, sind das gute Nachrichten für Sie. Mit ein paar Arbeitsstunden pro Woche kann ein typischer Vorstadtgarten von 100m² den Gemüsebedarf einer ganzen Familie decken. Verdoppeln Sie das, dann können Sie auch eine ganze Menge an Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln, Süßkartoffeln und Kürbissen anbauen. Ist die gigantische transkontinentale rollende LKW-Lawine wirklich notwendig, um das restliche Land mit Salat und Karotten aus Spanien zu versorgen? Ist das in irgendeiner Weise lebensfördernd?

Eine andere Form von Verschwendung stellt die minderwertige Bauart und die geplante Obsoleszenz in vielen unserer in Fabriken gefertigten Massenwaren dar. Es gibt zur Zeit wenig ökonomisches Interesse, und einiges Gegeninteresse, Waren zu erzeugen, die lange Zeit halten und leicht zu reparieren sind. Die absurden Folgen sind, dass es oft günstiger ist, ein neues Gerät zu kaufen als ein altes zu reparieren. Das ist letztlich eine Konsequenz unseres Geldsystems, und in einer heiligen Ökonomie wird das rückgängig gemacht.

In meiner Straße hat jede Familie einen eigenen Rasenmäher, der vielleicht zehn Stunden pro Sommer genutzt wird. In jeder Küche steht ein Mixer, der höchstens 15 Minuten pro Woche genutzt wird. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt ist etwa die Hälfte aller Autos nutzlos auf der Straße geparkt. Die meisten Familien haben ihre eigenen Heckenscheren, Elektrowerkzeuge, ihre eigenen Fitnessgeräte. Der Großteil dieser Dinge ist überflüssig, weil sie die meiste Zeit ungenutzt bleiben. Hätten wir nur die Hälfte der Autos, ein Zehntel der Rasenmäher und zwei oder drei Fitnessgeräte für eine ganze Straße, unsere Lebensqualität wäre nicht minder. Sie wäre sogar höher, weil wir dadurch miteinander in Kontakt kämen und teilen könnten.8

Selbst bei unserem jetzigen unnötig hohen Konsumniveau liegen etwa 40% der Kapazitäten der weltweiten Industrie brach. Diese Zahl könnte ohne Einbuße an Lebensfreude auf 80% oder darüber gesteigrt werden. Alles, was wir verlieren könnten, wäre die Verschmutzung und die Langeweile, die einen Großteil der Fabrikproduktion ausmachen. Natürlich würden wir dadurch auch jede Menge an “Jobs” verlieren, aber da diese sowieso nicht zum Wohlergehen der Menschen beitragen, könnten wir die Leute genausogut anstellen, damit sie Löcher in die Erde graben und diese wieder auffüllen. Oder aber wir könnten ihnen arbeitsintensive Aufgaben übertragen, in der Permakultur, in der Alten- und Krankenpflege, bei der Wiederherstellung gesunder Ökosysteme, und in anderen Bereichen, in denen es heute tragischerweise an helfenden Händen fehlt, weil das nötige Geld nicht zur Verfügung steht.

Eine Welt ohne Waffen, ohne McMansions in ausufernden Vororten, ohne Berge an unnötigem Verpackungsmaterial, ohne gigantische vollautomatisch bewirtschaftete Monokulturen, ohne energieverschlingende Einkaufszentren, ohne elektronische Werbetafeln, ohne Berge von Wegwerfzeug, ohne den Überkonsum von Konsumgütern, die keiner wirklich braucht, eine solche Welt ist keine verarmte Welt. Ich widerspreche den Umweltschützern, die sagen, wir müssten mit weniger auskommen. Im Gegenteil, wir werden mehr haben: mehr Schönheit, mehr Gemeinschaft, mehr Erfüllung, mehr Kunst, mehr Musik, mehr materielle Dinge, die zwar zahlenmäßig weniger, aber nützlicher und ästhetischer sein werden. Das billige Zeug, das unsere Leben heute ausfüllt, so viel es auch immer sein mag, macht unser Leben billig.

Ein Teil der heilenden Wirkung einer heiligen Ökonomie ist das Heilen der von uns geschaffenen Trennung zwischen Geist und Materie. Um der Heiligkeit, die in allen Dingen ist, gerecht zu werden, befürworte und begrüße ich den Materialismus. Ich denke, wir werden unsere Dinge mehr und nicht weniger lieben. Wir werden unsere materiellen Besitztümer schätzen, werden würdigen, woher sie kommen und darauf achten, was mit ihnen geschieht. Wenn Sie einen geliebtes Paar Fußballschuhe oder eine Angel haben, wissen Sie, wovon ich spreche. Oder vielleicht hatte Ihr Großvater eine Werkzeugkiste, die er fünfzig Jahre lang in bester Ordnung hielt. So werden auch wir unsere Dinge wertschätzen. Können Sie sich diese Welt vorstellen, in der wir alles, was wir produzieren, mit dieser Sorgfalt und Achtung behandeln? Heute ist so eine Haltung unökonomisch. Selten hat jemand ein finanzielles Interesse daran, etwas als heilig zu behandeln. Sie können doch ein neues Paar Fußballschuhe, eine neue Angel kaufen. Warum achtsam mit den Dingen umgehen, wenn neue ohnehin so billig sind? Die Billigkeit unserer Dinge ist Teil ihrer Entwertung, und das macht unsere Welt billig, in der nichts einzigartig und alles austauschbar ist.

Inmitten dieser Überfülle leben selbst wir in den reichen Ländern in allgegenwärtiger Angst, lechzen nach “finanzieller Sicherheit” und versuchen die Knappheit in Schach zu halten. Wir treffen Entscheidungen (selbst solche, die nichts mit Geld zu tun haben), die wir uns “leisten” können, und Freiheit setzen wir mit Reichtum gleich. Aber während wir danach streben, erkennen wir, dass das Paradies der finanziellen Freiheit eine Fata Morgana ist, die zurückweicht, wenn wir uns ihr nähern, und dass die Jagd danach uns zu Sklaven macht. Die Angst ist immer da, die Knappheit immer nur ein Unglück weit von uns entfernt. Wir nennen diese Hetzjagd Gier. In Wahrheit ist sie eine Reaktion auf empfundene Knappheit.

Lassen Sie mich noch einen weiteren Beweis für die Künstlichkeit oder die illusorische Natur der empfundenen Knappheit bringen – er soll eher suggestiv als zwingend schlüssig sein. Wirtschaftswissenschaften, so liest man auf der ersten Seite der Lehrbücher, befassen sich mit dem Verhalten von Menschen unter Knappheitsbedingungen. Die Ausweitung der Domäne von Wirtschaft ist daher eine Ausweitung von Knappheit und deren Eindringen in Lebensbereiche, die einst von Fülle gekennzeichnet waren. Wirtschaftliches Verhalten, insbesondere der Tausch von Geld gegen Waren, dringt heute in Bereiche vor, in denen nie zuvor Geld ausgetauscht wurde. Nehmen Sie zum Beispiel eine der großen Wachstumsbranchen des Einzelhandels im letzten Jahrzehnt: abgefülltes Wasser. Wenn etwas auf der Erde fast allgegenwärtig ist, dann Wasser. Aber heute ist es knapp geworden – wir bezahlen dafür.

Kinderbetreuung war im Laufe meines Lebens ein anderer Bereich mit hohen Wachstumsraten. Als ich jung war, passten Nachbarn und Freunde selbstverständlich ein paar Stunden nach der Schule auf die Kinder auf, ein Überbleibsel aus der Dorf- oder Stammeskultur, als Kinder noch frei herumliefen. Meine Ex-Frau Patsy spricht bewegend von ihrer Kindheit in Taiwan, als Kinder rund um die Abendessenszeit bei jedem Nachbarn vorbeischauen konnten, um eine Schale Reis zu ergattern und das auch taten. Die Gemeinschaft kümmerte sich um die Kinder. Mit anderen Worten: Kinderbetreuung war reichlich vorhanden, und es wäre unmöglich gewesen, eine Kindertagesstätte zu eröffnen.

Damit etwas eine Ware sein kann, muss es zuerst knapp gemacht werden. Wächst die Wirtschaft, so gehen per Definition immer mehr Tätigkeiten in den Geldbereich über, in die Sphäre der Waren und Dienstleistungen. Gewöhnlich verbinden wir Wirtschaftswachstum mit einer Zunahme von Reichtum, aber wir können es auch als Verarmung betrachten, als Zunahme an Knappheit. Dinge, für die wir früher niemals bezahlt hätten, müssen wir jetzt kaufen. Für was bezahlen wir? Natürlich dafür, dass wir Geld verwenden; Geld, für das wir uns abmühen, das wir unter großen Opfern verdienen. Wenn etwas knapp ist, dann sicherlich Geld. Die meisten meiner Bekannten leben in ständiger unterschwelliger (manchmal auch akuter) Sorge und bangen darum, nicht genug davon zu haben. Und die gleiche Sorge der Reichen bestätigt, dass keine Summe je „groß genug” ist.

Daher ist Vorsicht angebracht, wenn wir uns zum Beispiel darüber entrüsten, dass über zwei Milliarden Menschen von weniger als zwei Dollar pro Tag leben. Ein niedriges Bargeldeinkommen könnte auch bedeuten, dass jemand seine Bedürfnisse außerhalb der Geldökonomie decken kann, zum Beispiel in einem traditionellen Netzwerk des wechselseitigen Gebens und Nehmens oder in einem Schenknetzwerk. “Entwicklung” bedeutet in solchen Fällen, dass die Einkommen steigen, indem wirtschaftliche Aktivitäten aus dem nicht-monetären Bereich zu Waren und Dienstleistungen gemacht werden. Damit einher gehen Knappheitsdenken, Konkurrenz und Angst, – jene uns im Westen so vertraute Mentalität, die doch für den geldlosen Jäger und Sammler oder den Subsistenzbauern so fremdartig ist.

Die folgenden Kapitel erklären die Mechanismen und die Bedeutung der seit Jahrhunderten fortschreitenden Umwandlung von Leben und Welt in Geld, die voranschreitende Kommerzialisierung von allem. Wenn alles dem Geld unterworfen ist, dann bewirkt die Knappheit von Geld, dass alles knapp ist, einschließlich der Grundlagen unseres Lebens und unseres Glücks. Nicht anders ist das Leben eines Sklaven, dessen Handlungen unter Todesandrohung erzwungen werden.

Vielleicht das gravierendste Indiz unserer Sklaverei ist das zur Geld Machen von Zeit. Die Wurzeln dieses Phänomens reichen zurück in eine Epoche vor unserem Geldsystem, weil das Geldsystem selbst auf der vorausgehenden Quantifizierung von Zeit beruht. Ein Tier oder ein Kind haben “alle Zeit der Welt”. Das traf anscheinend auch auf die Menschen in der Steinzeit zu, die gewöhnlich nur sehr vage Vorstellungen von Zeit hatten und selten in Eile waren. Primitive Sprachen hatten oft keine Zeiten, manche kannten nicht einmal Wörter für “gestern” oder “morgen”. Der vergleichsweise lässige Umgang der Ur-Menschen mit Zeit ist in ländlichen, traditionellen Regionen der Welt immer noch spürbar. Das Leben ist schneller in großen Städten, wo wir immer in Eile sind, weil die Zeit knapp ist. Aber früher erlebten wir Zeit als etwas reichlich Vorhandenes.

Je wichtiger Geld in einer Gesellschaft ist, desto ängstlicher und gehetzter sind die Menschen. In Teilen der Welt, die noch immer etwas außerhalb der Geldökonomie liegen, wo es noch Subsistenzlandwirtschaft gibt, und wo Nachbarn einander noch aushelfen, ist das Leben langsamer, weniger gehetzt. Im ländlichen Mexiko macht man alles mañana9. Eine Bäuerin aus Ladakh, die von Helena Norberg-Hodge für den Film Ancient Futures 10 interviewt wurde, bringt es auf den Punkt, indem sie ihre in der Stadt lebende Schwester beschreibt:

“Sie hat einen Reiskocher, ein Auto, ein Telefon – lauter zeitsparende Geräte, aber wenn ich sie besuche, hat sie immer so viel zu tun, dass wir kaum Zeit zum Reden finden.”

Für das Tier, das Kind, den Jäger und Sammler ist Zeit im Grunde unbegrenzt. Die heutige Monetarisierung von Zeit hat sie, wie alles andere, knapp gemacht. Zeit ist Leben. Wenn wir Zeit als etwas Knappes erfahren, dann erscheint uns das Leben kurz und arm.

Wenn Sie geboren wurden, bevor die Stundenpläne der Erwachsenen in die Kindheit eindrangen und Kinder von einer Aktivität zur nächsten gehetzt wurden, dann erinnern Sie sich vielleicht noch an die subjektive Ewigkeit der Kindheit, an die Nachmittage, die sich für immer hinzogen, an die zeitlose Freiheit des Lebens vor der Tyrannei von Kalender und Uhr. “Uhren”, schreibt John Zerzan, “machen die Zeit knapp und das Leben kurz.” Einmal zähl- und messbar gemacht, konnte auch die Zeit gekauft und verkauft werden, und die Knappheit aller Waren galt nun auch für die Zeit. “Zeit ist Geld”, heißt ein Sprichwort, und es wird bestätigt, wenn wir metaphorisch sagen: “Ich kann mir die Zeit nicht leisten.”

Wenn die materielle Welt grundsätzlich eine Welt der Fülle ist, wie viel mehr trifft das dann auf die spirituelle Welt zu, auf alles, was der menschliche Geist geschaffen hat: Lieder, Geschichten, Filme, Ideen und alles andere, was unter dem Begriff geistiges Eigentum firmiert. Weil wir im digitalen Zeitalter fast alles praktisch kostenlos kopieren und verteilen können, muss eine künstliche Knappheit erzeugt werden, damit auch diese Dinge in der Geldsphäre verbleiben. Die Industrie und die Regierungen erzwingen Knappheit durch Urheberrechte, Patente und Datenverschlüsselungen. Das ermöglicht jenen, die über solches Eigentum verfügen, einfach deswegen davon zu profitieren.

Dann ist Knappheit also großteils eine Illusion, ein kulturelles Phänomen. Weil wir aber fast gänzlich in einer kulturell konstituierten Welt leben, ist unsere Erfahrung von Knappheit ziemlich echt – echt genug, dass fast eine Milliarde Menschen heute mangelernährt ist, und dass etwa 5000 Kinder jeden Tag an mit Hunger in Zusammenhang stehenden Ursachen sterben. Also sind unsere Reaktionen auf diese Knappheit – Angst und Gier – gut nachvolllziehbar. Wenn etwas im Überfluss vorhanden ist, zögert keiner, es zu teilen. Wir leben in einer Welt der Fülle, nur unsere Wahrnehmung, unsere Kultur und unsere tiefen unbewussten Geschichten machen das Gegenteil aus ihr. Unsere Wahrnehmung von Knappheit ist eine selbsterfüllende Prophezeiung, deren Dreh- und Angelpunkt das Geld ist.

Geld, das Überfluss in Knappheit verwandelt hat, verursacht Gier. Aber es ist nicht das Geld an sich – nur die Art von Geld, die wir heute verwenden; ein Geld, das Ausdruck unseres kulturellen Selbstverständnisses ist, das sich in Jahrtausenden entwickelt hat; Ausdruck unserer unbewussten Mythen und unserer feindschaftlichen Beziehung zur Natur. All das ist heute im Begriff sich zu ändern. Sehen wir uns also an, wie es dazu kam, dass das Geld unser Denken und Handeln heute so stark beeinflusst, um uns dann ein Bild davon zu machen, wie es sich zusammen mit dem Denken und Handeln verändern könnte.

1Judith Warner “The Charitable-Giving Divide.” New York Times Magazine, August 20, 2010.

2Piff et al., “Having Less, Giving More: The Influence of Social Class on Prosocial Behavior.” Journal of Personality and Social Psychology, July 12, 2010.

3Anm. d. Ü.: chinesische Redewendung, die einen Menschen mit eingeschränkter Perspektive beschreibt [“A frog at the bottom of a well” is a common Chinese idiom, referring to a person with a limited outlook. It first appeared in the ancient book Zhuangzi.]

4Anm. d.Ü.: McMansion ist eine abschätzige Bezeichnung für protzige luxuriöse Häuser in den US-amerikanischen Vorstädten, die viel zu groß für die Bewohner, aber auch im Verhältnis zu den sie umgebenden Häusern sind und sich nicht in das Umgebungsbild einfügen. McMansion kann auch für ein Reihenhaus stehen. Quelle: Wikipedia

5Buzby et al., “Supermarket Loss Estimates for Fresh Fruit, Vegetables, Meat, Poultry, and Seafood and Their Use in the ERS Loss-Adjusted Food Availability Data.” EIB-44, U.S. Dept. of Agriculture, Econ. Res. Serv., March 2009.

6Beim Lesen des faszinierenden Buches “Farmers of Fourty Centuries” von F. H. King, das 1911 erschien (1), bekommt man einen Eindruck vom unausgeschöpften Potential der Landwirtschaft. Das Buch beschreibt, wie diese Regionen mit winzigen Ackerflächen enorme Bevölkerungszahlen jahrtausendelang ohne Mechanisierung, Pestizide oder chemische Düngemittel ernähren konnten. Statt dessen wendete man eine ausgeklügelte Fruchtwechselwirtschaft an, zugleich unterschiedlich schnell wachsende Pflanzen im selben Beet (Mischkultur), und berücksichtigte die ökologischen Beziehungen zwischen Nutzpflanzen, Tieren und Menschen. Nichts wurde verschwendet, einschließlich des menschlichen Dungs. Ihre Bewirtschaftung war extrem arbeitsintensiv, obwohl sie gewöhnlich in einem gemächlichen Tempo verrichtet wurde, so King. Im Jahr 1907 waren die 50 Millionen Einwohner Japans nahezu autark. In manchen Regionen Chinas lebten Stämme mit 40- 50 Mitgliedern von 1.2 Hektar. Im Jahr 1790 hatte China etwa so viele Einwohner wie die USA heute!
(1) King, F. H. Farmers of Forty Centuries: Or, Permanent Agriculture in China, Korea, and Japan. New York: Dover, 2004.

7LaSalle et al. (1) zitieren auf Seite 4 zahlreiche Studien, die das belegen. Wenn Sie den gegenteiligen Eindruck haben, bedenken Sie, dass viele Studien, die keinen Vorteil durch Biolandbau feststellen können, von Menschen durchgeführt werden, die wenig Erfahrung mit dem Bioanbau haben, und dass die Landflächen von Jahrzehnten der chemischen Behandlung beeinträchtigt sind. Kontrollierte Studien von biologischen Methoden sind nicht einfach, weil dazu auch eine Langzeitbeziehung zwischen dem Bauern und dem Land gehört. Erst nach Jahren, Jahrzehnten oder gar erst nach Generationen werden die Vorteile der biologischen Landwirtschaft ersichtlich.
(1) LaSalle, Tim, Paul Hepperly, and Amadou Diop. The Organic Green Revolution. Kutztown, PA: Rodale Institute, 2008.

8Leider sind viele von uns so verletzt, dass wir lieber nichts mit anderen zu tun haben und nicht mit ihnen teilen wollen. Wir verkriechen uns eher noch tiefer in die Hölle der Getrenntheit und geben uns der Illusion von Unabhängigkeit hin – so lange, bis sie zerbröselt. Wenn die Krisen konvergieren und es immer mehr Menschen so geht, wird das Verlangen nach dem Wiedererstarken von Gemeinschaft wachsen.

9Anm. d. Ü.: span. für „morgen“

10Anm. d. Ü.: deutsche Version: „Leben in Ladakh“

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