Kapitel 1: Wirtschaft der Getrenntheit

 

All die Krisen, die jetzt konvergieren, entwachsen einer gemeinsamen Wurzel, die wir “Getrenntheit” nennen könnten. In jedem Bereich unserer Gesellschaft lässt sich diese Getrenntheit erkennen, sie nimmt viele unterschiedliche Formen an: sei es der Bruch zwischen Mensch und Natur, der Zerfall des sozialen Zusammenhalts, die Unterscheidung zwischen materieller und spiritueller Ebene in unserem Verständnis von Wirklichkeit, etc. Außerdem ist sie nicht nachhaltig: Die so entstehenden großen und immer noch wachsenden Krisen treiben uns vorwärts in eine neue Epoche, das Zeitalter der Wiedervereinigung.

Getrenntheit ist keine letzte Wahrheit, sondern sie ist eine menschliche Projektion, eine Ideologie, eine Erzählung. Wie in allen Kulturen hat unsere Geschichte über die Menschen, durch die wir uns definieren, zwei eng miteinander verbundene Teile: eine Geschichte vom Selbst, und eine Geschichte von der Welt. Erstere handelt vom eigenständigen und getrennten Selbst, einem psychologischen Etwas, einer von Haut umschlossenen Seele, einem biologischen Phänotyp mit genetisch bedingtem reproduktiven Eigeninteresse, rational und nur auf seinen Vorteil bedacht; ein außenstehender Beobachter eines objektiven Universums; ein Bewusstseinsstäubchen eingesperrt in einem Gefängnis aus Fleisch. Die zweite Geschichte ist jene vom Aufstieg: Zu Beginn war die Menschheit unwissend und machtlos, dann begann sie, die Kräfte der Natur zu zähmen und die Geheimnisse des Universums zu ergründen. So nähert sie sich unaufhaltsam ihrer Bestimmung: die Natur zu beherrschen und sich über sie hinwegzusetzen. Diese Geschichte handelt von der Trennung zwischen Mensch und Natur. Der Aufstieg des Menschheit bedingt, dass die Natur schrittweise in Ressourcen, Waren, Eigentum und zuletzt in Geld umgewandelt wird.

Geld ist ein System aus sozialen Übereinkünften, Bedeutungszuschreibungen und Symbolen, die sich über die Zeit entwickelt haben. Geld ist nichts anderes als eine Erzählung, die gesellschaftliche Wirklichkeit geworden ist, genau wie Gesetze, Nationen, Institutionen, Kalender und Uhrzeit, Religion und Wissenschaft. Geschichten haben unglaubliche schöpferische Kraft. Sie koordinieren unser Handeln, lenken unsere Aufmerksamkeit, beeinflussen unsere Absichten und definieren Rollen. Mit Hilfe von Geschichten einigen wir uns darauf, was wichtig ist und verständigen uns darüber, was überhaupt wirklich ist. Geschichten geben dem Leben Bedeutung und Sinn, sie motivieren unser Tun. Geld spielt eine Hauptrolle in der Geschichte der Getrenntheit, die unsere Zivilisation charakterisiert.

Im ersten Teil dieses Buches beschreibe ich jenes Wirtschaftssystem, das sich basierend auf dem Mythos der Getrenntheit entwickelt hat. Anonymität, Depersonalisierung, Ungleichverteilung des Reichtums, Wachstum ohne Ende, Ausbeutung der Umwelt, soziale Unruhen und Krisen, die nicht dauerhaft beseitigt werden können, all das ist so tief in unserem Wirtschaftssystem verankert, dass es nur durch eine Transformation unserer Entstehungsgeschichte geheilt werden kann. Meine Absicht ist es, die Grundzüge dieser Wirtschaft der Getrenntheit zu identifizieren. Das soll uns dann ermöglichen, uns auch eine Wirtschaft der Wiedervereinigung vorzustellen. Diese Wirtschaft würde die Brüche und Risse in unseren Gesellschaften, Beziehungen, Kulturen und Ökosystemen heilen und die Ganzheit unseres Planeten wiederherstellen.

Kapitel 1 Die Welt der Geschenke

Auch nach all dieser Zeit Sagt die Sonne noch immer nicht zur Erde:
„Du schuldest mir etwas.“

Sieh nur, was eine Liebe Wie diese vermag:
Sie erleuchtet den ganzen Himmel.

(Hafiz)

1.1 Am Anfang war das Geschenk

Wir werden als hilflose Kinder geboren, als Kreaturen, die alles brauchen und kaum etwas geben können. Und doch werden wir gefüttert, wir werden beschützt, wir werden gekleidet, gehalten und beruhigt, ohne auch nur irgendetwas dafür getan zu haben um es uns zu verdienen, und ohne irgendetwas dafür im Gegenzug anzubieten. Diese Erfahrung ist jedem, der es über seine Kindheit hinaus geschafft hat, bekannt, und sie ist eine Grundlage unserer tiefsten spirituellen Intuitionen. Unser Leben wurden uns geschenkt; deshalb ist Dankbarkeit unser Grundzustand. Das ist die Wahrheit unserer Existenz.

Auch wenn Sie eine schwierige Kindheit hatten, wenn Sie das jetzt lesen, haben Sie zumindest genug bekommen, um bis heute überlebt zu haben. In den ersten Lebensjahren haben Sie nichts davon verdient oder produziert. Es wurde Ihnen alles geschenkt. Stellen Sie sich vor, Sie gehen jetzt durch eine Tür und finden sich in einer fremden Welt wieder, in der Sie völlig hilflos sind. Sie können nicht selbständig essen oder sich anziehen, sind unfähig Ihre Gliedmaßen zu verwenden, und Sie können nicht einmal unterscheiden, wo Ihr Körper endet, und wo die Welt anfängt. Dann erscheinen riesige Wesen und halten Sie, füttern Sie, kümmern sich um Sie und lieben Sie. Wären Sie da nicht dankbar?

In klaren Momenten, vielleicht nachdem man nur knapp dem Tode entgangen ist, oder nachdem man einen geliebten Menschen beim Sterben begleitet hat, weiß man, dass das Leben an sich ein Geschenk ist. Wir erfahren eine überwältigende Dankbarkeit dafür, am Leben zu sein. Wir staunen über diese unverdiente und frei verfügbare Fülle, die das Leben mit sich bringt: die Lust am Atmen, das Vergnügen an Farben und Klängen, die Freude, mit Wasser den Durst zu stillen, die warme Zuneigung, die uns durchströmt, wenn wir das Gesicht eines geliebten Menschen erblicken. Diese Mischung aus Ehrfurcht und Dankbarkeit ist ein klares Zeichen für die Präsenz des Heiligen.

Dasselbe Gefühl von Dankbarkeit und Ehrfurcht überkommt uns angesichts der Naturpracht: der rätselhaften Komplexität eines Ökosystems, eines Organismus, einer Zelle. Sie alle sind unglaublich perfekt, weit über das hinaus, was unser Geist zu erfassen oder zu erschaffen vermag. Wir können überhaupt nur einen kleinen Teil davon verstehen. Und doch existiert sie, ohne dass wir sie schaffen mussten: eine ganze Welt, die uns unterstützt und umgibt. Wir müssen nicht genau verstehen, wie ein Samenkorn keimt und wächst, denn wir müssen das nicht bewerkstelligen. Selbst heute noch sind die Funktionen innerhalb einer Zelle, eines Organismus, eines Ökosystems großteils ein Rätsel. Die Natur schenkt uns ihre Früchte, ohne dass wir sie entwerfen mussten, wir müssen nicht einmal verstehen, wie natürliche Abläufe funktionieren. Können Sie sich das Staunen und die Dankbarkeit vorstellen, die unseren frühen Vorfahren empfanden, als sie darüber nachzudenken begannen, woher all das kam, was ihnen die Welt so reichlich schenkte?

Kein Wunder also, dass die frühen religiösen Lehrer sagten, Gott habe die Welt geschaffen und Gott habe uns die Welt gegeben. Ersteres ist ein Ausdruck von Demut, letzteres einer von Dankbarkeit. Traurigerweise verdrehten spätere Theologen diese Sichtweise dahingehend, dass man nun glaubte, Gott hätte uns die Welt geschenkt, um sie auszubeuten, zu beherrschen und zu dominieren. Eine solche Interpretation ist genau das Gegenteil des ursprünglichen Gedankens: In Demut wissen wir, dass wir dieses Geschenk niemals beherrschen könnten. Unsere Dankbarkeit erinnert uns daran, dass wir durch unseren Umgang mit dem Geschenkten unsere Achtung oder Missachtung dem Schenkenden gegenüber zum Ausdruck bringen.

Auch die moderne Kosmologie bestätigt die mythologische Sicht auf das Universum als Geschenk. Ist nicht der Urknall die Erschaffung von Allem aus dem Nichts?1 Diese Empfindung wird bei genauerer Betrachtung der verschieden physikalischen Konstanten verstärkt (Lichtgeschwindigkeit, Elektronenmasse, relative Stärke der vier Grundkräfte, etc.). Sie alle haben unerklärlicherweise präzise jenen Wert, der die Existenz eines Universums erlaubt, das Material, Sterne und Leben enthält. Es scheint, als wäre das gesamte Universum für uns konstruiert, damit wir darin existieren können.

Am Anfang war das Geschenk: am archetypischen Ursprung der Welt, am Beginn unseres Lebens, und auch während der Entstehung der menschlichen Spezies. Aus diesem Grund ist Dankbarkeit so natürlich für uns, so wesentlich und so elementar, dass es schwierig ist, sie zu definieren. Vielleicht ist sie das Gefühl, beschenkt worden zu sein, und der Wunsch, nun selbst etwas zu geben. Wir können daher erwarten, dass primitive Völker dieser ursprünglichen Dankbarkeit, zu der sie in enger Verbindung stehen, in ihren sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen Ausdruck verleihen. Das taten sie auch. Die meisten Berichte über die Geschichte des Geldes beginnen mit dem primitiven Tausch von Naturalien, aber Naturalientausch war relativ selten bei den Jäger- und Sammlergesellschaften. Die wichtigste Form des wirtschaftlichen Austausches war das Geschenk.

So grundlegend sie sind, koexistieren Dankbarkeit und die daraus erwachsende Großzügigkeit dennoch mit anderen, weniger lieblichen Aspekten der menschlichen Natur. Während ich an die fundamentale Göttlichkeit in den Menschen glaube, sehe ich auch, dass wir einen Weg eingeschlagen haben, der uns für eine lange Zeit von dieser Göttlichkeit trennt. Wir schufen eine Welt, in der rücksichtslose Soziopathen zu Wohlstand und Macht gelangen. In diesem Buch will ich nicht so tun als gäbe es solche Menschen nicht, und ich will mir nicht vormachen, dass solche Tendenzen nicht in jedem von uns existierten. Viel eher möchte ich den Geist des Schenkens wiederbeleben, der in uns schlummert. Ich möchte Wege finden, wie die Gesellschaft diesen Geist verkörpern und weiter fördern kann. Unser heutiges Wirtschaftssystem belohnt Selbstsucht und Gier. Wie sähe ein Wirtschaftssystem aus, in welchem stattdessen wie in manchen frühen Kulturen die Großzügigkeit belohnt würde?

Beginnen wir damit, die Dynamik des Schenkens besser zu verstehen. Ich schrieb oben vom wirtschaftlichen Austausch, aber das ist eigentlich kein passender Begriff, um eine Schenkkultur zu beschreiben. Kreislauf ist ein besseres Wort. Heute tauschen wir oft Geschenke aus, aber ein Geschenkaustausch ist schon ein Schritt in Richtung Tauschhandel. Das Schenken war in alten Gesellschaften durch ausgeklügelte Bräuche geregelt. Solche Bräuche haben sich bis heute in Gesellschaften gehalten, die noch nicht ganz Ihre Verbindung zur Vergangenheit verloren haben. Üblicherweise sind Geschenke eng an Verwandtschaft geknüpft. Der Brauch regelt, wer wem gibt. Es wird erwartet, dass man bestimmten Verwandten etwas schenkt, und von anderen erwartet man, beschenkt zu werden; in einer weiteren Kategorie fließen die Geschenke in beide Richtungen.

Während Geschenke wechselseitig sein können, fließen sie genauso oft im Kreis. Ich beschenke dich, du beschenkst jemand anderen….und schließlich beschenkt mich wieder irgendjemand. Ein berühmtes Beispiel dafür ist das kula– System der Bewohner der Trobriand Inseln, bei dem wertvolle Halsketten in eine Richtung und Armreife in die andere Richtung zwischen den Inseln zirkulieren. Erstmals detailliert vom Anthropologen Bronislaw Malinowski beschrieben ist kula, was wörtlich “Zirkel” bedeutet, der Dreh-und-Angelpunkt eines riesigen Geschenksystems und anderen Formen des ökonomischen Austausches. Marcel Mauss beschreibt es folgendermaßen:

Das Gabentausch-System durchdringt das gesamte ökonomische, moralische und auch das Stammesleben des Trobriand Volkes. Es ist “imprägniert“ damit, wie es Malinowski sehr eingängig ausgedrückt hat. Es ist ein ständiges „Geben und Nehmen“. Der Prozess kennzeichnet sich durch ein kontinuierliches Fließen in alle Richtungen, von Gaben, welche geschenkt, angenommen und erwidert werden.”2

Während der Höhepunkt des kula Systems ein hochritualisierter Austausch von zeremoniellen Armreifen und Halsketten durch die Häuptlinge darstellt, umfasst das ganze Ausmaß des Gabentausch-Systems alle Arten von Gebrauchsgegenständen, Essen, Booten, Arbeiten und so weiter. Direkter Tausch ist laut Mauss unüblich. Jedenfalls „behält man generell alles, was man annimmt, und was so in den eigenen Besitz gelangt – auf welche Weise auch immer, nicht für sich selbst, außer man kann es nicht entbehren.”3 Mit anderen Worten fließen Gaben kontinuierlich, und ihre Zirkulation findet nur dann ein Ende, wenn sie auf ein real vorhandenes aktuelles Bedürfnis treffen. Lewis Hyde beschreibt dieses Geschenkprinzip poetisch:

Die Gabe bewegt sich auf die leere Stelle zu. Sie zieht ihre Kreise und wendet sich jenem zu, dessen Hände am längsten leer waren. Und wenn woanders jemand auftaucht, dessen Bedürfnis größer ist, verlässt sie ihre alte Bahn und bewegt sich zu ihm. Unsere Großzügigkeit könnte uns leer zurücklassen, aber unsere Leere zieht dann vorsichtig am Ganzen bis die Bewegung zu uns zurückkehrt, um uns wieder zu befüllen. Die Soziale Natur verabscheut ein Vakuum.4

Während wir heutzutage klar zwischen einem Geschenk und einer kommerziellen Transaktion unterscheiden, war diese Unterscheidung in vergangenen Zeiten bei weitem nicht so eindeutig. In einigen Kulturen wie jenen der Toaripi und Namau gab es ein einziges Wort für kaufen, verkaufen, leihen und borgen,5 während im alten Mesopotamien das Wort šám sowohl “kaufen” als auch “verkaufen” bedeutete.6 Diese Ambiguität besteht in vielen modernen Sprachen. Chinesisch, Deutsch, Dänisch, Norwegisch, Holländisch, Estnisch, Bulgarisch, Serbisch, Japanisch, und viele andere haben einen einzigen Begriff für borgen und leihen – möglicherweise ein Überrest aus alten Zeiten, als zwischen den beiden nicht unterschieden wurde.7 Selbst im Englischen verwenden weniger gebildete Sprecher manchmal das Wort “borrow” (borgen), wenn sie eigentlich “lend” (leihen) meinen, wie zum Beispiel “I borrowed him twenty dollars.” Wie kam es dazu? Wie kann derselbe Begriff für zwei gegensätzliche Abläufe stehen?

Des Rätsels Lösung liegt in der Dynamik der Gabe. Abgesehen von den seltenen vielleicht theoretischen Ausnahmen, die Derrida “freie Gaben” nannte, gehen Geschenke entweder mit einem Symbol für den Austausch einher, oder sie sind mit einer moralischen oder gesellschaftlichen Verpflichtung verbunden (oder mit beidem). Im Gegensatz zu einer modernen Geldtransaktion, die in sich geschlossen ist und keine weitere Verpflichtung nach sich zieht, hat die Transaktion des Schenkens ein offenes Ende und schafft eine weiterbestehende Verbindung zwischen den Beteiligten. Man könnte es auch so sehen, dass der Schenkende ein Teil des Geschenks ist, und wenn wir schenken, geben wir etwas von uns selbst. Dies steht im Gegensatz zur modernen Handelstransaktion, in der die Waren unabhängig von dem, der sie verkauft, als reines Eigentum gehandhabt werden. Den Unterschied können wir alle spüren. Sie besitzen wahrscheinlich einige geschätzte Stücke, die Ihnen geschenkt wurden. Sie mögen sich objektiv nicht von Dingen unterscheiden, die Sie selbst kaufen könnten. Sie sind aber einzigartig und besonders, weil sie Ihnen von einer bestimmten Person geschenkt wurden. Daher erkannten alte Völker, dass eine magische Qualität, ein besonderer Geist, zusammen mit dem Geschenk zirkuliert.

Nutzlose Objekte wie Kaurimuscheln, hübsche Perlen und Halsketten waren das erste Geld. Sie für etwas mit Gebrauchswert zu tauschen ist, naiv gesprochen, lediglich ein Weg, die Gabe zu erleichtern – aus „Etwas-für-Nichts“ machen sie „Etwas-für-Etwas“. Aber nur weil sie der empfundenen Verpflichtung eine äußere Form verleihen, macht sie das nicht weniger zu einem Geschenk. Sie sind ein Zeichen der Dankbarkeit. Aus dieser Perspektive ist leicht nachzuvollziehen, warum manche nicht zwischen Kaufen und Verkaufen, Borgen und Leihen unterscheiden. Das sind überhaupt keine gegensätzlichen Vorgänge. Alle Geschenke kehren in einer anderen Form zum Schenkenden zurück. Käufer und Verkäufer sind gleich.

In kommerziellen Transaktionen heute herrscht eine Asymmetrie: Der Käufer gibt Geld und erhält Waren, und der Verkäufer erhält Geld und gibt Waren. Aber wir könnten ebenso sagen, der “Käufer” verkauft Geld für Waren und der “Verkäufer” kauft Geld mit Waren. Linguistische und anthropologische Hinweise deuten darauf hin, dass diese Asymmetrie neu ist, weit neuer als Geld. Was passierte denn mit dem Geld, dass diese Asymmetrie entstehen konnte? Geld unterscheidet sich von jeder anderen Ware auf der Welt, und wie wir sehen werden, war dieser Unterschied ausschlaggebend dafür, dass es zu etwas Profanem werden konnte.

Geschenke hingegen erkennen wir intuitiv als etwas Heiliges, deswegen überreichen wir auch heute Geschenke in einem zeremoniellen Rahmen. Geschenke haben jene Schlüsselqualitäten des Heiligen, über die ich in der Einleitung geschrieben habe. Erstens sind sie einzigartig: Im Gegensatz zu den standardisierten Waren, die in geschlossenen Transaktionen mit Geld gekauft werden und aus ihrem Entstehungszusammenhang gerissen wurden, sind Geschenke einzigartig, weil sie auch in gewissem Maße den Schenkenden miteinbeziehen. Zweitens sind sie ganzheitlich, ineinandergreifend: Geschenke weiten das Selbst auf die gesamte Gemeinschaft aus. Während Geld heutzutage nach dem Prinzip „Mehr für dich ist weniger für mich“ funktioniert, gilt in einer Schenkökonomie : „mehr für mich ist auch mehr für dich“, weil jene, die haben, das geben, was andere gerade brauchen. Geschenke bestärken die mystische Erkenntnis, Teil von etwas zu sein, das größer ist als man selbst, und das dennoch nicht von einem selbst getrennt ist. Die Maxime vom rationalen Eigeninteresse verändert sich, weil sich das Selbst ausgedehnt hat, um etwas vom Anderen mit einzuschließen.

Die gängige Erklärung der Geldentstehung, wie sie in ökonomischen Texten steht, stellt den Tauschhandel an den Anfang. Seit jeher versuchen konkurrierende Einzelne, ihr rationales Eigeninteresse zu maximieren. Diese idealisierte Beschreibung kann die Anthropologie nicht belegen. Der Naturalientausch sei laut Mauss in Polynesien und Melanesien selten und im Nordwesten des Pazifiks überhaupt unbekannt gewesen. Der Wirtschaftsanthropologe George Dalton bestätigt es nachdrücklich: „Soweit wir über gesicherte Informationen verfügen, war der Tauschhandel – im strengen Sinn des bargeldlosen Austausches – in keinem der vergangenen oder gegenwärtigen Wirtschaftssysteme ein quantitativ wichtiges oder dominierendes Modell für Transaktionen.”8 Wenn es zum Naturalientausch kam, dann, so Dalton, handelte es sich meist um unbedeutende, seltene oder Notfallstransaktionen – so wie es heute der Fall ist. Abgesehen davon entsprachen die geldlosen Transaktionen kaum den ökonomischen Fantasien von unpersönlichen, Nutzen-maximierenden Transaktionen. Vielmehr erforderten sie tendentiell „dauerhafte (und manchmal ritualisierte) persönliche Beziehungen, die auf Bräuchen basierten und von Gegenseitigkeit gekennzeichnet waren“.9 Solche Transaktionen sollten nicht als Warentausch, sondern eher als ritualisierter Geschenkaustausch bezeichnet werden.

Heute schreiben wir Geschenke und Käufe separaten, einander ausschließenden Kategorien zu, und eindeutig gilt für sie eine unterschiedliche Ökonomie und Psychologie. In sehr alten Zeiten gab es weder einen solchen Zwiespalt, noch herrschte die heutige Trennung zwischen Geschäftsbeziehungen und persönlichen Beziehungen. Ökonomen tendieren dazu, diese moderne Unterscheidung und damit einige wichtige Annahmen über die Natur des Menschen, das Selbst und den Sinn des Lebens in die Vergangenheit zu projizieren, wenn sie die Geschichte des Geldes erzählen: wir wären eigenständige, getrennte Individuen, die miteinander im Wettstreit um knappe Ressourcen stünden und nur die Maximierung des Eigeninteresses anstrebten. Ich behaupte nicht, dass diese Annahmen unwahr sind. Sie sind ein Teil der Ideologie, die unsere Zivilisation definiert, Teil einer Geschichte über die Menschen, die nun an ein Ende gelangt. Dieses Buch ist Teil einer neuen Geschichte über die Menschen. Die Transformation des Geldes ist Teil einer umfassenderen Transformation, die auf ganz anderen Grundannahmen über das Selbst, das Leben und die Welt beruht.

Unsere Wirtschaft ist nicht sehr weit von der Kosmologie, der Religion und der Psyche entfernt. Nicht nur vergangene Wirtschaftssysteme basierten auf Gaben, sondern auch die frühe Kosmologie und die Religionen. Auch heute hat unsere alltägliche Erfahrungswelt viel mit den Eigenschaften des Geldes, mit Standardisierung, Abstraktion und Anonymität, gemein. Welche neuen wissenschaftlichen, religiösen oder psychologischen Paradigmen könnten wohl im Kontext einer neuen Art von Geld entstehen?

Wenn Geld nicht wie in der Fantasie der Ökonomen aus kalkuliertem, interessens-maximierendem Tauschhandel hervorging, wie entstand es dann? Ich schlage vor, dass es entstand, um das Schenken, Teilen und die Großzügigkeit zu erleichtern, oder, dass es zumindest etwas von diesem Geist in sich barg. Um wieder eine heilige Ökonomie zu schaffen, ist es notwendig, dem Geld diesen ursprünglichen Geist zurückzugeben.

Im Kern ist Geld ein wunderbares Konzept. Lassen Sie mich für einen Moment sehr naiv sein, um diesen Kern, diese spirituelle (wenn nicht sogar historische) Essenz zu enthüllen. Ich habe etwas, das Sie brauchen, und ich möchte es Ihnen geben. Also tue ich es, und Sie sind dafür dankbar und möchten mir etwas zurückgeben. Aber Sie haben nichts, was ich gerade brauche. Deshalb geben Sie mir einen Gegenstand, um Ihre Dankbarkeit auszudrücken, ein nutzloses, hübsches Ding wie eine Wampum Halskette oder ein Stück Silber. Dieses Ding besagt: „Ich habe das Bedürfnis eines anderen gestillt und seine Dankbarkeit erworben”. Später, wenn ich ein Geschenk von jemanden anderem erhalte, gebe ich ihm diesen Gegenstand. Geschenke können über große soziale Distanzen zirkulieren, und ich kann sie von Leuten erhalten, denen ich nichts zu geben habe. Und trotzdem kann ich ihnen meine Dankbarkeit für ihr Geschenk zum Ausdruck bringen.

In einer Familie, einem Clan oder einer Jäger-und-Sammler Gesellschaft braucht eine Schenkökonomie kein Geld. Es wird auch nicht in der nächstgrößeren Einheit der sozialen Organisation gebraucht: im Dorf oder Stamm mit ein paar hundert Mitgliedern. Wenn ich gerade nichts von Ihnen brauche, werden Sie mir entweder (aus Dankbarkeit) etwas geben, das ich in näherer Zukunft brauche, oder Sie werden jemand anderem etwas geben, der jemand anderem etwas gibt, der wiederum mir etwas gibt. Das ist der Kreis des Schenkens, die Basis der Gesellschaft. In einem Stamm oder einem Dorf ist das soziale Gefüge klein genug, dass jene, die mir etwas geben, auch sehen, was ich anderen gebe. Das ist in Massengesellschaften wie unserer nicht möglich. Wenn ich dir großzügig schenke, wird das der Bauer in Hawaii, der meinen Ingwer anbaut, oder der Ingenieur in Japan, der das Display meines Telefons entworfen hat, nicht wissen. An Stelle der persönlichen Anerkennung von Geschenken verwenden wir deshalb Geld: das Symbol für Dankbarkeit. Die gesellschaftliche Bezeugung von Geschenken wird anonym.

Geld wird notwendig, wenn die Reichweite unserer Geschenke über den Kreis der uns bekannten Personen hinaus geht. Dies ist der Fall, wenn der ökonomische Rahmen und das Ausmaß der Arbeitsteilung den Rahmen einer Stammes- oder Dorfgesellschaft überschreitet. Tatsächlich tauchte das erste Geld in den frühen agrarischen Zivilisationen auf, die über ein neolithisches Dorf hinaus gewachsen waren: Mesopotamien, Ägypten, China und Indien. Hier verwandelten sich traditionell dezentralisierte Geschenknetzwerke in zentralisierte Systeme der Umverteilung. Der Tempel – und später auch der königliche Palast – war das Drehkreuz. Sie könnten aus Potlatch-ähnlichen Traditionen entstanden sein, in denen Geschenke zum Häuptling und anderen Anführern flossen, und die von dort aus wieder zurück zu deren Familien und dem Stamm wanderten.

Diese zentralen Knotenpunkte eines Geschenkflusses im großen Maßstab, führten bald zu Abweichungen von der Schenkmentalität, als Beiträge erzwungen und quantifiziert und die Rückflüsse immer ungleicher wurden. Schon alte sumerische Dokumente bezeugen eine ökonomische Polarisierung, es gab schon damals die Habenden und die Habenichtse und Einkünfte, die nahe am Existenz-Minimum lagen.10Während zentralisierte Weisungen und nicht der Markthandel die Bewegung von Gütern beherrschten,11 verwendeten frühe agrarwirtschaftliche Reiche etwas, das manche als Geld bezeichnen: landwirtschaftliche Erzeugnisse und Metallgegenstände in standardisierten Einheiten, die als Tauschmedium, als Rechungseinheiten und als Wertanlage verwendet wurden. Also entsprach Geld schon vor 4000 Jahren nicht mehr meiner naiven Erwartung, dass es größeren Reichtum für alle ermöglichen würde, indem es das Aufeinandertreffen von Fähigkeiten und Bedürfnisse koordiniert.

Geld soll das Leben bereichern, indem es Handel erleichtert, effiziente Produktion anregt und die nötige Kapitalakkumulation ermöglicht, um große Projekte durchzuführen: es sollte uns Leichtigkeit, Muße und Freiheit von Angst bescheren, und eine angemessene Verteilung des Reichtums. Tatsächlich sagt die konventionelle Wirtschaftstheorie all diese Resultate voraus. Dass Geld das Gegenteil bewirkt hat – Angst, schwierige Umstände und Polarisierung von Reichtum – stellt uns vor ein Paradox.

Wenn wir eine Welt mit Technologie, dem Kino und mit Symphonieorchestern, mit Telekommunikation und großartiger Architektur, mit kosmopolitischen Städten und Weltliteratur wollen, braucht es Geld oder etwas dergleichen, um die menschliche Aktivität in diesem enormen Rahmen zu koordinieren, dass solche Dinge entstehen können. Um ein System zu beschreiben, welches dem Geld die Heiligkeit eines Geschenkes zurück gibt, habe ich dieses Buch geschrieben. Ich sage „zurück gibt“, da das Geld seit frühester Zeit heilige oder magische Konnotationen hatte. Ursprünglich wurden die Agrarüberschüsse in den Tempeln aufbewahrt und umverteilt: Die Zentren des religiösen Lebens waren also auch Zentren des ökonomischen Lebens. Einige Autoren meinen, dass das erste symbolische Geld (im Gegensatz zum Warengeld) von Tempeln ausgegeben wurde und gegen heiligen Sex mit Tempelprostituierten eingelöst werden konnte;12 In jedem Fall gilt als gesichert, dass Tempel eine wichtige Rolle bei der frühen Münzausgabe spielten. Auf vielen der Münzen waren heilige Tiere und Gottheiten abgebildet. Diese Praxis wird bis heute weitergeführt, wenn Banknoten und Münzen das Bildnis von vergötterten Präsidenten zeigen.

Vielleicht brauchen wir eines Tages Geld nicht mehr, um eine Schenkökonomie zu haben, die Milliarden von Menschen umfasst. Vielleicht ist das Geld, das ich in diesem Buch beschreiben werde, eine Übergangslösung. Ich bin kein „Primitivist“, ich befürworte nicht, dass wir unsere Zivilisation, Technologie und Kultur, das, was uns zu Menschen macht, aufgeben sollten. Ich sage voraus, dass die Menschheit wieder zu einem heiligen Zustand zurückfinden wird, in dem sich die Ganzheit und Harmonie mit der Natur zur Zeit der Jäger-Sammler auf einer höheren Ebene der Organisation darstellt. Nicht den Verzicht, sondern die Vollendung der Gaben unserer Hände und unseres Geistes, die uns menschlich machen, sage ich voraus.

Wie natürlich es doch ist, unsere einzigartigen menschlichen Fähigkeiten als Geschenk zu betrachten. Indem auch wir die universellen Prinzipien des Schenkens befolgen, trägt unser menschlichens Potential auch etwas zu der Quelle bei, aus der es uns geschenkt wurde. Mit anderen Worten: es ist ein göttliches Geschenk. Auch in der Mythologie wird diese Ahnung bestärkt: Prometheus schenkte uns Menschen das Feuer, Apollon die Musik, und nach der chinesischen Tradition schenkte der mythologische Herrscher Sheng Nong uns die Landwirtschaft. Und in der Bibel wird uns nicht nur die Welt geschenkt, sondern auch der Atem des Lebens und unsere schöpferische Fähigkeit, denn der Schöpfer schuf uns „nach seinem Ebenbild“.

Auf der persönlichen Ebene spüren wir alle, dass uns unsere persönlichen Begabungen aus einem Grund, zu einem Zweck geschenkt wurden. Darüber hinaus haben wir ein unbändiges Verlangen, diese Begabungen weiterzuentwickeln und damit dann unsere eigenen Geschenke an die Welt zu machen. Jeder hat schon einmal die Freude am Geben und die selbstlose Großzügigkeit von Fremden erfahren. Fragen Sie in einer Stadt nach dem Weg, und die meisten werden sich gerne die Zeit nehmen um zu helfen. Es liegt in keines Menschen rationalem Eigeninteresse, einem Fremden den Weg zu weisen; das ist ein einfacher Ausdruck unserer angeborenen Großherzigkeit.

Es ist paradox, dass gerade das Geld – ursprünglich ein Mittel, um Geschenke und Bedürfnisse zueinander zu führen, entstanden aus einer heiligen Schenkökonomie – heutzutage die Ursache dafür ist, dass wir unser Bedürfnis, zu geben, nicht ausleben; dass es uns aus reiner ökonomischer Notwendigkeit in abstumpfende Jobs zwingt und unseren großzügigsten Impulsen zuvorkommt, weil wir uns das ja „nicht leisten können“. Wir leben in allgegenwärtiger Beklemmung, weil das Geld knapp ist, von dem aber unser Leben abhängt – „Lebenshaltungskosten“, dieses Wort allein! Unser Lebenszweck, die Verfeinerung und die volle Entfaltung unserer Möglichkeiten sind den Ansprüchen des Geldes unterworfen, wir müssen uns unseren Lebensunterhalt verdienen, um zu überleben. Egal wie reich, abgesichert oder komfortabel ein Leben sein mag, kein Mensch wird es als erfüllt empfinden, wenn seine Talente unausgeschöpft bleiben. Selbst der bestbezahlte Job fühlt sich bald dumpf an, wenn er uns nicht fordert, und wir denken bei uns: „Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um das hier zu tun.“

Und wenn eine Tätigkeit unsere Fähigkeiten fordert, es dabei aber um ein Ziel geht, mit dem wir uns nicht identifizieren, entsteht das selbe dumpfe Gefühl; das Gefühl, dass wir nicht unser eigenes Leben führen, sondern eines, für das wir bezahlt werden. „Herausfordernd“ und „interessant“ ist nicht genug, denn unser Talent ist etwas Heiliges und deshalb für einen heiligen Zweck bestimmt.

Die Idee, dass wir auf der Erde sind, um etwas zu tun, ist eigentlich eine religiöse, denn die konventionelle Biologie lehrt, dass es das Ziel unserer Entwicklung gewesen sei, überlebensfähig zu sein, und dass jegliche über das Überleben und die Reproduktion hinausgehenden Ambitionen unserer genetischen Programmierung widersprächen. Dem könnte man das nicht weniger überzeugende neo-Lamark´sche Argument entgegenhalten, dass die biologische Sichtweise, die Vorstellung von unzähligen vereinzelten, eigenständigen, konkurrierenden Egos (Organismen oder „egoistischen Genen“) eher eine Projektion unserer heutigen Kultur ist, als eine exakte Beschreibung der Natur.13Ohne dabei außer Acht zu lassen, dass es Konkurrenz offensichtlich gibt, kann man die Natur jedoch auch anders verstehen: indem man der Kooperation, der Symbiose, und den Zusammenschlüssen von Organismen zu größeren Einheiten das Hauptaugenmerk schenkt. Dieses neue Naturverständnis ist eigentlich schon sehr alt, spiegelt es doch die indigene Sichtweise auf die Natur als Geschenknetzwerk wider.

Jeder Organismus und jede Spezies trägt essentiell zur Gesamtheit des Lebens auf der Erde bei, und dieser Beitrag muss nicht – im Gegensatz zum gängigen Verständnis der Evolutionsbiologie – einen direkten Vorteil für den einzelnen Organismus bedeuten. Bakterien, die Stickstoff aus der Luft fixieren, haben nicht direkt etwas davon, dass sie das tun. Aber der Stickstoff, den sie an den Boden weitergeben, lässt Pflanzen wachsen, an deren Wurzeln Pilze wachsen, die wiederum Nährstoffe für die Bakterien bereitstellen.

Pionierarten bereiteten den Weg für Schlüsselarten vor, diese stellen Mikro-Nischen für weitere Arten bereit, welche wiederum andere Arten ernähren, die in diesem Netzwerk des Gebens zirkulieren und schließlich zurückfließen, um den Pionierarten zugute zu kommen. Bäume pumpen Wasser für andere Pflanzen herauf, Algen produzieren Sauerstoff, damit Tiere atmen können. Entferne eines dieser Wesen und die Gesundheit aller ist bedroht.

Sie mögen meine „damit“- Schlussfolgerungen für naiv halten, mögen einwenden, es seien glückliche Umstände, dass die Dinge so gut laufen: Bäume kümmern sich nicht um die Wasserversorgung der umgebenden Pflanzen – sie machen es für sich selbst, um ihre Überlebens- und Reproduktionschancen zu maximieren. Es sei ein unbeabsichtigter Nebeneffekt, dass sie andere Wesen ernähren. Das gleiche gelte für Algen, für stickstoffbindende Bakterien und für die Bakterien im Darm von Wiederkäuern, die ihnen ermöglichen, Zellulose zu verdauen. In dieser Welt, mögen Sie denken, ist jeder auf sich selbst gestellt. Natur bedeutet mörderischen Wettbewerb, und eine Ökonomie nach demselben Prinzip ist daher natürlich.

Ich denke nicht, dass das natürlich ist. Ich glaube es ist eine Abweichung, eine eigenartige aber notwendige Phase, die ihr Extrem erreicht hat und nun den Weg für eine neue Phase freigibt. In der Natur ist überstürztes Wachstum und kompromissloser Wettbewerb Zeichen eines unreifen Ökosystems. Diese Phase wird dann aber von komplexen Abhängigkeitsverhältnissen, Symbiosen, Kooperation und Ressourcenkreisläufen abgelöst. Die nächste Phase unserer Wirtschaft wird sich parallel zu unserem wachsenden Verständnis der natürlichen Abläufe entwickeln. Sie wird die Talente in jedem von uns wecken, sie wird Kooperation über Konkurrenz stellen, sie wird das Fließen statt des Hortens fördern, und sie wird zyklisch statt linear sein. Geld mag in nächster Zeit nicht verschwinden, aber es wird eine geringere Rolle spielen, selbst wenn es wieder mehr die Eigenschaften eines Geschenks, einer Gabe annehmen wird. Die Wirtschaft wird schrumpfen, und unser Leben wird wachsen.

Geld wie wir es kennen ist schädlich für eine Ökonomie, die den Geist der Gabe manifestiert, eine Ökonomie, die wir eine Heilige nennen mögen. Wenn wir wissen, welche Art von Geld eine heilige Währung sein könnte, werden wir besser verstehen, was Geld heute zur Triebkraft für Gier, Übel, und für das Plündern der Natur gemacht hat.

So wie die Wissenschaft oft Kultur in die Natur hineinprojiziert, so betrachtet die Ökonomie kulturell geprägte Bedingungen als unumstößlich. Da wir in einer Kultur der Knappheit leben (wie sonst soll man es nennen, wenn wir unsere Begabungen einzig im „Bestreiten unseres Lebensunterhalts” zum Ausdruck bringen können), gehen wir davon aus, dass das die Basis der Wirtschaft sei. Wie in der Biologie haben wir die Welt als Austragungsort für den Kampf einzelner Lebewesen um begrenzte Ressourcen erlebt. Wie wir sehen werden, verkörpert unser Geldsystem diesen Glauben auf einer tiefen, strukturellen Ebene. Aber stimmt diese Überzeugung? Leben wir in einer Welt, einem Universum von elementarer Knappheit? Und wenn nicht, wenn Fülle und Geschenke die wahre Natur des Universums sind, wie konnteGeld so unnatürlich werden?

1Die Leser von Die Renaissance der Menschheit wissen, dass ich Kosmologien ohne Urknall bevorzuge, wie das von Halton Arp beschriebene Universum in einem dynamischen Gleichgewichtszustand, in welchem Materie ununterbrochen entsteht, altert und stirbt. Aber auch hier entsteht sie spontan aus dem Nichts, wie ein Geschenk.

2Mauss, Marcel. The Gift: The Form and Reason for Exchange in Archaic Societies. Trans. W.D. Halls. W. W. Norton and Co., 2000. Seite 29

3Ebd., 30.

4Hyde, Lewis. The Gift: Imagination and the Erotic Life of Property. New York: Vintage Books, 2007. Seite 23

5Mauss, The Gift, 32.

6Seaford, Richard. Money and the Early Greek Mind. Cambridge: Cambridge University Press, 2004. S.323

7Die chinesischen Worte für kaufen und verkaufen werden beinahe identisch ausgesprochen und besitzen ähnliche Ideogramme. Das Zeichen für kaufen, , entstand als eine Darstellung einer Kaurimuschel, einer frühen Form von Geld, während das Zeichen für verkaufen, , später entwickelt wurde, was eine frühere Nichtunterscheidung suggeriert.

8Dalton, George “Barter”, Journal of Economic Issues, Bd. 16, Nr. 1, 1982, S.182

9Seaford, Money and the Early Greek Mind, S.292

10Nemat-Nejat, Karen Rhea. Daily Life in Ancient Mesopotamia. Westport, CT: Greenwood Press, 1988. S.263

11Seaford, Money and the Early Greek Mind, 123. Seaford erbringt überzeugende Beweise für seine Behauptung: frühe listenähnliche Dokumente, Kunstgegenstände, die Menschen bei Geschenks-Prozessionen darstellen etc.

12Bernard Lietaer behauptet dies in “Das Geld der Zukunft” von einem Bronze-Schekel aus dem Jahr 3000 v. Chr. Er bezeichnet ihn als die älteste bekannte Münze. Ich habe bei meiner Recherche keine weitere Erwähnung darüber gefunden. Meines Wissens tauchten die ersten Münzen ungefähr zur gleichen Zeit im 7. Jhdt. v. Chr. in Lydien und China auf.

13Ich fasse dieses Argumentation im Kapitel 7 von “Die Renaissance der Menschheit” zusammen, wo ich mich auf die Arbeit von Lynn Margulis, Bruce Lipton, Fred Hoyle, Elisabet Sahtouris, und anderen stütze.

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