Kapitel 16: Übergang zur Kultur des Schenkens

Im Kapitalismus beutet der Mensch den Menschen aus.
Im Kommunismus ist es genau umgekehrt.

(John Kenneth Galbraith)

Bei den hier diskutierten neuen Modellen für den Austausch verschwimmt die Grenze zwischen der Geldsphäre und der geldlosen Sphäre ebenso wie die konventionelle Definition für “Ökonomie”. Was ist denn eigentlich Ökonomie? Wenn die Wirtschaft wächst oder schrumpft, was ändert sich denn jenseits von kurzlebigen Papierstückchen und Computerbits? Wie würden wir das messen, wenn es keine einheitliche Verrechnungseinheit gäbe? Was die Ökonomen indirekt über das Geld zu messen versuchen, ist ja die Gesamtheit all dessen, was Menschen füreinander herstellen und tun.

Dass wir überhaupt versuchen, das zu messen, ist eigentlich ziemlich seltsam. Ich habe schon ausgiebig kritisiert, dass die Wirtschaftswissenschaften „Geld“ mit „Gut“ gleichsetzen. Indes sind alternative Maße für den wirtschaftlichen Fortschritt wie der Genuine Progress Indicatoroder das Bruttonationalglück auf einer subtileren Ebene nicht weniger problematisch. Zweifellos stellen sie Verbesserungen im Vergleich zum BIP dar, weil bei ihnen Gefängnisse, Rüstungsgüter und Ähnliches nicht mehr als positive Beiträge gewertet und andererseits beispielsweise Freizeit als wirtschaftliches Gut mit in die Bilanz aufgenommen werden. Dennoch beruhen sie auf der Annahme, dass wir das Gute zählbar machen können und sollten, und dass daher alles in eine Standardeinheit umrechenbar gemacht werden muss.

Geld und der Anspruch, etwas zu messen, sind sehr eng miteinander verknüpft. Geld entstand ja sogar als Maßeinheit: als standardisierte Einheit erst von Warengeld und dann von Metall. Das Zeitalter des Geldes fällt mit dem Programm von Reduktionismus und Objektivität zusammen, mit dem die Wissenschaft die Herrschaft über die Welt anstrebte. Was gemessen werden kann, kann beherrscht werden – nach Menschenmaß, wie wir zu sagen pflegen. Die Wissenschaft, und ebenso die Wirtschaft klammern das Unmessbare aus – “werft es ins Feuer” hatte Hume gesagt. Daher geschah es, dass sich der Lebensstandard und die Lebensqualität auseinanderentwickelten. Ersterer ist eine zählbare Größe, letztere nicht.

Doch es sind es gerade die nicht zählbaren Dinge unter all dem, was Menschen füreinander herstellen und tun, die am meisten zum Glück beitragen. Man könnte zum Beispiel Freizeit messen, ihr einen Wert in Dollar zuweisen, und das Wohlbefinden der Gesellschaft berechnen. Aber wie wird diese Freizeit verbracht? In den Fängen einer Sucht, mit hirnloser Unterhaltung, intim mit einem anderen Menschen, oder Kindern eine Geschichte erzählend… Und selbst wenn wir diese Unterschiede irgendwie erfassen könnten, wären wir damit in der Lage zu messen, wie präsent jemand ist, wenn er den Kindern diese Geschichte erzählt? Können wir quantifizieren, unter welchem Druck jemand an seinem Arbeitsplatz steht? Wenn sich die Politik von der Maximierung einer Maßzahl – sei es das BIP oder eine andere – leiten lässt, bleiben die wichtigsten Dinge garantiert unberücksichtigt.

Quantifizierbare Bedürfnisse sind außerdem endlich – ein weiterer Grund, ein Geldsystem in Frage zu stellen, das sich dem unendlichen Wachstum einer endlichen Nachfrage nach endlichen Ressourcen verschrieben hat. Qualitative Bedürfnisse sind anders: Sie sind weder zählbar noch endlich. In dieser Sphäre liegt die wahre spirituelle Motivation für die Ideologie vom Aufstieg. Auf einer Ebene wird das Wachstum enden – das Wachstum der Geldsphäre, das Wachstum unserer Besitzergreifung der Natur – aber eine andere Art von Entwicklung wird weitergehen: Der menschliche Geist mit seinem grenzenlosen Bedürfnis nach Schönheit, Liebe, Verbundenheit und Wissen wird weiterwachsen. Eine Zukunft ohne Wirtschaftswachstum wird keine stagnierende sein; so wenig, wie ein Menschenleben stagniert, wenn ein junger Mensch mit 16 Jahren die letzten Zentimeter gewachsen ist.

Geld, das die Befriedigung unserer mit Zahlen fassbaren Bedürfnisse erleichtert, wird noch für viele Jahrhunderte eine Rolle im Leben der Menschen spielen. Aber es wird einen geringeren Platz einnehmen, wie ich im Kapitel über die Wachstumsrücknahme beschrieben habe. Statt wie besessen unsere endlichen Bedürfnisse im heutigen Ausmaß obszöner Hypertrophie überzuerfüllen, werden wir unsere Energien den ungestillten qualitativen Bedürfnissen widmen, deren Nichterfüllung uns heute so arm macht.

Um unsere Bedürfnisse zu stillen, die nicht in Zahlen ausgedrückt werden können, brauchen wir einen Kreislauf, der nicht auf Geld beruht. Man kann dem Qualitativen nicht gerecht werden, wenn man versucht, es zählbar zu machen, wenn man das Unendliche durch das Endliche auszudrücken versucht. Der Tausch Schönheit für Geld, Intimität für Geld, Aufmerksamkeit für Geld riecht nach Prostitution. Wenn die Künstlerin die Kommerzwelt verachtet, dann ist das nicht nur ein Ausdruck von Selbstgefälligkeit, mit dem sie suggeriert, dass sie über all dem steht. Bei dem Versuch, Schönheit, Liebe, Wissen, Verbundenheit und so weiter mit Geld zu kaufen, wird sich entweder der Käufer eine Fälschung einhandeln, oder der Verkäufer verliert, weil er etwas unendlich Wertvolles für eine zählbare Summe hergegeben hat. Es ist ganz einfach, wie schon die Beatles sangen: “Money can’t buy you love” („Mit Geld kannst Du keine Liebe kaufen“, Anm. d. Ü.).

Darum brauchen wir andere Mittel, um unsere Gaben und Fähigkeiten zirkulieren zu lassen. Die Sache wird jedoch dadurch verkompliziert, dass das Zählbare oft ein Vehikel für das Unzählbare ist. Ich schlage nicht vor, dass wir die beiden Sphären, Geld und Geschenke, trennen sollten. Ich stelle mir ein gemischtes System vor, in dem das Geld mehr die Eigenschaften eines Geschenks annimmt, und Strukturen entstehen, welche die Vermittlung von Geschenken erleichtern und teilweise die Rolle von Geld übernehmen.

Ob nun mit Geld oder ohne, die grundlegenden Fragen der Wirtschaft – was Menschen füreinander herstellen und tun – sind folgende: (1) Wie vermittelt man zwischen einem Geschenkgeber und der Person, die dieses Geschenk braucht? (2) Wie würdigt und ehrt man jene, die ihre Gaben großzügig weiterschenken? (3) Wie koordiniert man die Fähigkeiten vieler Menschen über Zeit und Raum hinweg, sodass auch Dinge geschaffen werden können, die die Bedürfnisse und Fähigkeiten Einzelner übersteigen? Es ist vielleicht nicht offensichtlich, aber diese Ziele entsprechen in etwa den drei Kardinalfunktionen des Geldes als Tauschmittel, Recheneinheit, und Wertspeicher.

Viele quasi-monetären und nicht-monetären Möglichkeiten, diese drei Ziele zu erreichen, sind heute im Entstehen. Peer-to-peer (P2P) Technologien in der Welt der Open Source Software erlauben es zum Beispiel einer Community von Programmierern, ganz ohne Geld Projekte zu planen, Talente zu koordinieren und die Beiträge ihrer Mitglieder zu würdigen. Die Wertschätzung der Gruppenmitglieder, die auf der Art und Häufigkeit der früheren Beiträge einer Person beruht, ist eine Form von “Währung”, die es manchen Mitgliedern erlaubt, einen größeren Einfluss auf Gruppenentscheidungen zu nehmen als anderen. Trotzdem ist die Wertschätzung nicht beziffert, und sie ist auch nicht zählbar, ohne etwas von ihrem Wesenskern zu verlieren. Wir können Wertschätzung und Prestige auf Zahlen reduzieren, müssen aber anerkennen, dass es eben eine Reduktion ist. So wie analoge Aufnahmen, wenn sie in digitale Formate übertragen werden, etwas von ihrer Wärme, ihrer Menschlichkeit und der Vielschichtigkeit des Originals verlieren.

Im Internet werden allerdings das Ansehen und die Beiträge einer Person in Zahlen dargestellt. Die Benutzerbewertungssysteme von Websites wie Amazon oder eBay sind eine solche quasi-Währung. Benutzer können nicht nur Produkte bewerten und rezensieren, sie können auch die Bewertungen andere Nutzer bewerten, wodurch ein sich selbst überwachendes System entsteht. Was im Grunde eine Schenkökonomie ist (keiner bekommt irgendeine direkte Vergütung dafür, dass er Rezensionen schreibt), bildet Strukturen aus, die den Vermittlungsfunktionen des Geldes gleichen.

Timothy Wilken, ein Arzt, Philosoph und Aktivist für die Schenkökonomie, ist mit seinem Programm GIFTegrity, zur Zeit in der Beta Version, einen Schritt weiter gegangen. Jedes Mitglied listet in seinem Profil auf, was er oder sie geben und erhalten möchte. Wer ein Geschenk erhält, bewertet die Transaktion, und diese Bewertung bestimmt, wie der Schenkende als potentieller Empfänger eines Geschenks gereiht wird. Wenn Sie eine Menge hergeschenkt haben, wird Ihr Name weit oben stehen, wenn jemand einen Empfänger für das Geschenk sucht, das er anzubieten hat. Wenn Sie dann ein Geschenk bekommen, wird Ihre Punktezahl ein bisschen sinken, um anzuzeigen, dass sich bei Ihnen das Verhältnis zwischen Geben und Bekommen wieder mehr ausgeglichen hat. Diese Bewertungen sind in ihrer Funktion dem Geld sehr ähnlich.

In einer traditionellen Gemeinschaft wären solche Bewertungssysteme nicht notwendig, weil alle darüber Bescheid wüssten, wer wem was gegeben hat, und wer was braucht. Softwareprogramme wie GIFTegrity scheinen eine Möglichkeit zu bieten, wie geschenkbasierte Beziehungen in einer größeren Gruppe funktionieren können. Sie umgehen aber nicht die Notwendigkeit von Geld, sondern erschaffen es wieder neu, wenn auch als etwas, das der ursprünglichen Funktion von Geld als einem Zeichen der Dankbarkeit näher steht. Die Bewertungen in GIFTegrity und ähnlichen Systemen sind Geld. Man erhält Punkte, wenn man etwas hergibt; man gibt die Punkte aus, wenn man etwas bekommt. Solche Systeme unterliegen genau wie das Geld der fundamentalen Beschränkung, dass nämlich das Qualitative sich nicht auf einer linearen Skala quantifizieren lässt. Gewiss sind sie dem heutigen auf Wucher-Geld überlegen, aber so genial sie auch sein mag, kann diese technokratische Alternative trotzdem nicht ausgleichen, was durch das Zählbarmachen der Welt verlorengeht. Wir möchten das Unendliche wiedererlangen. Bewertungen und Punkte erfüllen nicht unser tiefes Bedürfnis nach persönlichen Banden, nach Dankbarkeit und vielschichtigen Erzählungen, die eine Kultur des Schenkens ausmachen.

Widerspreche ich mir selbst, wenn ich sage, dass Geld einerseits als Symbol für Dankbarkeit und andererseits als ein Maß entstand? Geld war gewissermaßen schon zu Beginn von zwei Geistern beseelt. Es erlaubte einerseits die Weiterentwicklung der Schenkökonomie (die einst praktisch die einzige Wirtschaftsform war) für eine Massengesellschaft, und andererseits hielt dadurch das Messen, Zählen, Halten und Kontrollieren in die ursprünglich offene Mentalität des Schenkens Einzug. Aber wenn ich von Geld als einem Symbol für Dankbarkeit spreche, dann beziehe ich mich nicht auf seinen Ursprung in der Zeit, sondern – mangels einer besseren Formulierung – seinen Ursprung in der göttlichen Vorsehung. Ich spreche über seinen teleologischen Ursprung, den Zweck, für den es auf dieser Welt entstand.

Die Messfunktion von Geld hat ein Gegenstück in der Schenkökonomie. Denn selbst wenn Geschenke nicht mit einer speziellen Erwartung für eine Gegenleistung verbunden sind, so werden sie dennoch von der Gemeinschaft gesehen. Das anonyme Schenken, das wir heute zur edelsten Form der Großzügigkeit überhöhen, hatte und hat in Schenkkulturen einen geringen Stellenwert. Die Gemeinschaft wusste meist genau Bescheid über die Bedürfnisse, Fähigkeiten und die Großzügigkeit ihrer Mitglieder. Geld ist ein Ersatz für dieses Gewahrsein: Zumindest in der Theorie überträgt es jenen Menschen gesellschaftliche Anerkennung, die einen Beitrag leisten. In der Praxis wurden aber nur Beiträge zum “Aufstieg” der Menschheit, zur Ausweitung der menschlichen Sphäre, belohnt. Aber selbst mit einer Währung, die den Wachstumsrückgang, fördert, bliebe das zugrundeliegende Problem bestehen, dass Geld von Natur aus nur dort funktioniert, wo gezählt wird. Wir stehen vor der Herausforderung, eine Möglichkeit zu finden, wie das Unzählbare über die großen sozialen Distanzen einer Massengesellschaft hinweg fließen kann. In der hunderttausende Jahre langen Menschheitsgeschichte ist dies ein noch nie dagewesenes Problem.

Vielleicht können wir die Schenkökonomie von Grund auf wiedererrichten. Heutzutage hat sich das Geld selbst in kleinen Zusammenhängen durchgesetzt, wo formlose Übereinkünfte und das gesellschaftliche Gewahrwerden von Großzügigkeit die drei oben erwähnten Funktionen von Geld – Geschenke zu verbinden, wertzuschätzen und zu koordinieren – ersetzen könnten. Jetzt, wo immer mehr Menschen die soziale Verarmung durch die Umwandlung von persönlichen Beziehungen in Beziehungen zwischen Käufer und Verkäufer erkennen, und das Geldsystem zusammenbricht, finden Menschen Wege, diese Funktionen zurückzuerobern. Eine meiner Lieblingslösungen sind die von Alpha Lo entwickelten Gift Circles (Schenkkreise), die sich jetzt im ganzen Land verbreiten. Bei diesen wöchentlichen Versammlungen nennen die Teilnehmer ein oder zwei Dinge, die sie geben und ein oder zwei Dinge, die sie haben möchten. Oft zeigt sich eine fast magisch anmutende Übereinstimmung der Bedürfnisse und Gaben. “Du brauchst einen Kartoffelstampfer? Wir haben drei.” Oder: “Du musst am Freitag zum Flughafen? Mein Mann fliegt auch an diesem Tag.” Die Teilnehmenden erleben die Großzügigkeit der anderen mit, und es fällt ihnen mit der Zeit immer leichter, die anderen im Kreis um etwas zu bitten und ihnen etwas zu geben. Hilfe ist immer nur einen Anruf entfernt. Wenn jemand unter der Woche einer anderen Teilnehmerin hilft, ihr Auto zu reparieren, kann sie im nächsten Schenkkreis davon erzählen, damit die anderen von diesem Geschenk erfahren. Mit dem Wissen, dass man als ein Gebender wahrgenommen wird, wenn man andere beschenkt, und dass die Menschen einem dann auch im Gegenzug etwas schenken wollen, wächst das Gemeinschaftsgefühl.

Eine andere Möglichkeit, etwas Ähnliches zu erreichen, ist eine Website, über die Geschenke und Anfragen bekannt gemacht werden, und auf der sichtbar ist, wer was geschenkt hat. Wenn das in einem größeren Maßstab abläuft, werden die Mittel, über welche diese Funktionen erfüllt werden, dem Geld jedoch immer ähnlicher. Wenn die Teilnehmenden nicht persönlich miterleben, was jemand gibt oder bekommt, wird ein Mittel zur Normierung notwendig. Im kleineren Kreis reicht es jedoch meist, wenn Menschen den Fluss der Geschenke entweder direkt oder über Erzählungen mitbekommen. Ohne dieses Zeugnis tragen Geschenke weniger wirkungsvoll zur Gemeinschaftsbildung bei. Das ist der Nachteil an Systemen wie Freecycling und Craigslist. (Die Tatsache, dass Menschen trotzdem solche Angebote nutzen, beweist unsere angeborene Großzügigkeit.) Neuere Systeme wie Giftflow, NeighborGoods, Shareable, GIFTegrity und viele andere berücksichtigen das und umgehen diesen Nachteil.

Beachten Sie, dass alles, was ich bisher beschrieben habe, den Wachstumsrückgang der Wirtschaft beschleunigt. Wenn wir einander zum Flughafen mitnehmen, statt ein Taxi zu rufen, wenn wir Werkzeuge teilen, statt uns eigene zu kaufen, oder wenn wir jemandem unsere überzähligen Kartoffelstampfer geben, verringern wir die Konsumnachfrage und beschneiden damit das ökonomische Wachstum. Das Schrumpfen der Geldsphäre beschleunigt den Niedergang der alten Ordnung und den Übergang in eine Gleichgewichtswirtschaft. Es macht diesen Übergang auch viel weniger angsteinflößend. Wenn wir in Schenkgemeinschaften Zuflucht nehmen können, in denen Großzügigkeit gewürdigt und erwidert wird, dann sind wir weniger vom Geld abhängig und assoziieren es weniger mit unserem Überleben.

Könnte die Idee der Schenkkreise über die Ebene von Gemeinschaften hinausgehend, in denen die Menschen einander direkt oder aus zweiter Hand kennen, ausgeweitet werden? Auf sehr lange Sicht mag es uns vielleicht gelingen, eine geldlose Gesellschaft zu errichten, die auf dem Modell “Kreise-von-Kreisen” aufgebaut ist. Es scheint, dass Geld notwendig ist, um Arbeitskraft auf globaler Ebene zu koordinieren, aber wenn wir diese globale Koordination näher betrachten, ist die tatsächliche Anzahl der Personen, mit denen jemand zu tun hat, gar nicht so groß. Wenn mehr als ein paar hundert Menschen zusammenarbeiten müssen, um etwas herzustellen, löst sich die gesamte Produktionsgemeinschaft von Natur aus in kleinere Untereinheiten und Unter-Untereinheiten auf, bis zu einer Ebene, auf der eine Schenkökonomie funktioniert. Menschen innerhalb eines Kreises könnten einander beschenken, und jeder Kreis als eine integrierte Einheit könnte innerhalb eines größeren Kreises andere Kreise beschenken, und dann könnte jeder dieser Kreise von Kreisen andere Kreise von Kreisen beschenken. Diese Vision erfordert eine Neugliederung der Gesellschaft: bottom-up, peer-to-peer, autopoietisch und selbstorganisierend.

Im meta-humanen Körper, den wir Gesellschaft nennen, ist das Geld wie ein Signalmolekül, das Ressourcen dorthin leitet, wo sie gebraucht werden. Es vermittelt wirtschaftliche Beziehungen zwischen den weit voneinander entfernten Teilen unseres kollektiven Körpers. Es ist eines von vielen symbolischen Systemen, das unsere “Organe” – Regierungen, Institutionen und Organisationen aller Art – ausformt und miteinander koordiniert. Leider transportiert Geld nur bestimmte Informationen (hauptsächlich über zählbare Fähigkeiten, Bedürfnisse und Wünsche). Für unsere Gesundheit brauchen wir daher auch noch andere Möglichkeiten, uns zu “organ”-isieren und unser Tun zu koordinieren.

Heute explodieren regelrecht die Innovationen für dezentralisierte, nicht-hierarchische Formen von Zusammenarbeit und Besitz. Sie bilden eine Art Substruktur für eine zukünftige Schenkökonomie der Kreise-von-Kreisen. Am eher konservativen Ende des Spektrums liegen Betriebe im Besitz der Mitarbeiter mit traditionellen Managementstrukturen, von denen es mehrere hundert mittlere und große Unternehmen in den USA gibt. Etwas radikaler sind Unternehmen, die sich mit demokratischen oder gemeinschaftlichen Methoden selbst verwalten: verschiedene Kollektive und Genossenschaften. Vielleicht die bedeutendste unter ihnen ist die Mondragón Genossenschaft in Spanien, die mit über 250 Firmen und etwa 90 000 Beschäftigten/Genossenschaftern eine der größten Firmen Spaniens ist. Mondragón wurde während der Herrschaft des faschistischen Diktators Franco gegründet, und der Genossenschaft gelang es, das Prinzip der “Souveränität der Arbeit” und andere Werte der partizipativen Demokratie explizit zu verfechten und umzusetzen. Ich überlasse es dem Leser, sich näher mit diesem faszinierenden Pionierunternehmen für partizipative Verwaltung und genossenschaftlichen Besitz zu befassen.

Bei der Suche nach neuen Formen der Organisation, in denen auch das Unzählbare seinen Platz hat, stehen wir gerade am Beginn der Experimentalphase. Viele dieser Experimente sind fehlgeschlagen und werden noch fehlschlagen, zum Beispiel die erzwungene Kollektivierung unter einer zentralen Verwaltung durch Bürokraten im kommunistischen Block. Zweifellos werden viele neue Formen von Zusammenarbeit entstehen, wenn wir aus den vergangenen und gegenwärtigen Versuchen lernen.1

Die Ideen für neue Formen von Geld, die ich in diesem Buch beschreibe, werden nicht-traditionelle Strukturen von Besitz und Verwaltung fördern. So wie sie verhindern, dass man vom passiven Besitz von Geld, Land und den Commons allgemein profitieren kann, werden sie auch Profit durch passives Eigentum an Konzernen verhindern, das heute ein Vehikel für die Kontrolle über die genannten Ressourcen ist.

Das Aufkommen kollaborativer Schenkstrukturen wird die Arbeitswelt grundsätzlich verändern. Heute sind die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber diametral entgegengesetzt. Es liegt im Interesse der Arbeitgeber, dass die Arbeitnehmer so viel Arbeit wie möglich für so wenig Geld wie möglich machen. Im Interesse jedes einzelnen Arbeitnehmers liegt es hingegen, möglichst viel Geld für möglichst wenig Arbeit zu bekommen. Ein gutes Management kann diesen grundsätzlichen Interessenskonflikt abmildern, indem es einerseits die Bezahlung an “Leistung” knüpft und andererseits an den Berufsstolz, an Loyalität und Teamgeist appelliert, aber der zugrundeliegende Widerspruch bleibt bestehen. Meist werden Angestellte eher für Bürointrigen als für echte Beiträge belohnt, während “Teamgeist” als die interne PR Maßnahme entlarvt wird, die sie meist auch ist. „Wenn wir wirklich alle gemeinsam in diesem Boot sitzen”, fragen sich die Angestellten, „wie kann es dann sein, dass ich jederzeit gekündigt werden kann, aber die Eigentümer nicht? Jeder dauerhafte Wert, den ich schaffe, gehört ihnen.” In dieser Welt ist jeder Angestellte, der sich wirklich mit seinem Arbeitgeber identifiziert, der Betrogene. Das wird offensichtlich, wenn ein Unternehmen Jobs streicht. “Ich habe Ihnen 20 Jahre lang treue Dienste geleistet, wie können Sie mich entlassen?” Wie es ein Versicherungsmanager einem Angestellten erklärte: “Wenn Sie Loyalität suchen, dann legen Sie sich einen Hund zu.” Selbstverständlich sind nicht alle Arbeitgeber so hartherzig, aber das Marktprinzip verhärtet ein weiches Herz.

Nun ja, das Marktprinzip wird sich ändern. Wenn Geld im Einklang mit dem sozial und ökologisch Guten steht, und sich neue Strukturen bilden, die die Beiträge zum Gemeinwohl belohnen, werden die Arbeitsbeziehungen ihren ausbeuterischen Charakter verlieren. Der Daseinszweck von Unternehmen wird sich wandeln. Quantifizierbare Beiträge zum Wohl der Gesellschaft und des Planeten werden mit Geld belohnt, und nicht-quantifizierbare Beiträge werden mit Ansehen, Dankbarkeit und Wohlwollen über die neuen symbolischen und sozialen Strukturen, die heute entstehen, belohnt.

Solchen Innovationen gehört die Zukunft. Statt dass sich Wohlstand durch Eigentum definiert, wird er sich in Zukunft auf allen Ebenen durch das Geben manifestieren. Das Verlangen, zu besitzen und zu kontrollieren, ist das Verlangen des Selbst in Getrenntheit, das versucht, die anderen zu seinem eigenen Vorteil zu manipulieren, und der Natur, den Menschen und allem, was ihm fremd ist, Reichtum abzupressen. Das Selbst in Verbundenheit hingegen wird reich, wenn es schenkt. Es entfaltet sein volles Potential, wenn es über seine Grenzen hinauswächst. Unser Hineinwachsen in dieses Selbst in Verbundenheit lässt Organisationsstrukturen entstehen, die auf derselben Wellenlänge schwingen. Sie bringen das Eigeninteresse des Individuums mit jenem der Organisation in Einklang, und das Interesse der Organisation deckt sich mit jenem der Gesellschaft und des Planeten. Anders als klassische kollektivistische Modelle erlauben sie, dass Einzelne ihre Begabungen in ihrer ganzen Fülle entfalten können, und zwar so, dass sie allen nutzen.

Die offenen kollaborativen Strukturen einer erweiterten Schenkökonomie begraben den alten Konflikt zwischen dem Einzelnen und der Gruppe. Wenn ich sage, dass außergewöhnliche individuelle Gaben so eingesetzt werden, dass sie zum Wohl aller beitragen, protestieren vielleicht manche Lesenden: “Aber sollte nicht auch individuelle Leistung belohnt werden?” Besonders meinen konservativen Freunden sind solche Ideen sofort verdächtig. Sie befürchten, dass sich die Einzelnen unterordnen müssten. Sie denken, es gäbe keinen Anreiz und keine Belohnung für außergewöhnliche Leistungen, wenn ein System die Akkumulation zu verhindern versucht und Leistung für das Wohl aller nutzen möchte. Die traditionelle Linke akzeptiert wiederum diese Grundprämissen und unterscheidet sich in ihrer Sichtweise nur dadurch, dass sie die Unterwerfung der Einzelnen für gut und notwendig hält. Nach dieser Vorstellung müht sich ein rechtschaffener Mensch in edler Selbstaufopferung für das Gemeinwohl ab und verschmäht jede Art der Erwiderung oder Belohnung.

Beide Sichtweisen beruhen auf dem Paradigma der Getrenntheit, das besagt: “mehr für dich ist weniger für mich.” Mehr für die Gruppe ist weniger für den Einzelnen. Aber in einer Kultur des Schenkens stimmt das einfach nicht. Jemand, der großzügig wertvolle Geschenke verteilt, kann zu höchsten Ruhm gelangen und alles genießen, was ihm die Menschen an Ehre erweisen. Solcherart ist die Natur und die Macht der Dankbarkeit. Leider sind uns jetzt die Sichtweisen einer Kultur des Schenkens fremd, denn obwohl sie tief in unseren Herzen glimmen, fehlen sie in den wirtschaftlichen und ideologischen Strukturen unserer Gesellschaft. Im nächsten Teil dieses Buches beschreibe ich, von der persönlichen Ebene ausgehend, wie wir diese Anschauungen und Bräuche einer Kultur des Schenkens wiedererlangen können.

Der Bankrott der Wirtschaft aus der Geisteshaltung des Selbst in Getrenntheit ist jetzt offen sichtbar. In der kapitalistischen Welt, in der die persönliche Bereicherung erlaubt war, erlebten wir nie die überschwängliche Äußerung unsere Fähigkeiten. Im Gegenteil, sie wurden unterdrückt, versklavt und pervertiert, um dem Nehmen und der Kontrollausübung zu dienen. Denn das ist es, was das herrschende System erzwingt und belohnt. Schlimmer noch, die vorgeblichen Belohnungen waren eine Täuschung: Das Anhäufen von Geld und was man damit kaufen kann, war der Ersatz für Verbundenheit, Liebe, Schönheit, Bedeutung und Sinn. Die nicht-kapitalistische Welt hat auch nicht besser abgeschnitten. Selbstverleugnung, sei sie nun durch die kommunistische Ideologie oder die Religion motiviert, ist lebensverachtend; das verleugnete Leben drückt sich stets in Schattenformen aus, die nicht minder schwere, wenn nicht gar noch schlimmere Konsequenzen als die offene Verherrlichung des Selbst in Getrenntheit anrichten.

Aber das Zeitalter der Getrenntheit nähert sich seinem Ende, und wir beginnen wieder zu lernen, wie wir unsere wahre Verbundenheit leben können. Alles, was ich in diesem Buch bisher dargelegt habe, geht von einem Bewusstseinswandel aus (und stärkt ihn), ohne den die heilige Ökonomie nicht umsetzbar wäre. Ich rufe aber nicht zu einem solchen Wandel auf – ich beobachte ihn und trage dazu bei, wie ich hoffe. Er findet statt, wenn Sie diese Worte lesen, und er wird immer rascher fortschreiten, je eher die multiplen Krisen, Ausgeburten der Getrenntheit, über uns hereinbrechen. Die Welt verändert sich, und wir verändern uns mit ihr. Wir müssen nicht nur ökonomische Strukturen schaffen, durch die das Selbst in Verbundenheit in einer ko-kreativen Partnerschaft mit der Erde leben kann, wir können auch gleich jetzt lernen, wie man in ihnen denkt und lebt.

1 Ein beachtenswertes Modell ist Better Means (www.bettermeans.com ), das sich als ein “offenes Unternehmensmodell” versteht. Strategische Entscheidungen, Arbeitsschritte, Entlohnung und Anteilskapital werden alle durch sich selbst korrigierende Bewertungs- und Wahlprozesse festgesetzt. Die, die am meisten Wert beitragen – was jene beurteilen, die am selben Projekt mitarbeiten, und jene, die das Projekt zu Beginn ins Leben gerufen haben – erhalten Gutpunkte, die sie in Geld einlösen können. Punkte verleihen den Beitragenden auch temporäre Kapitalbeteiligung an der Firma, die so lange gilt, bis die Punkte in Geld eingetauscht werden. Eigentümer sind also jene, die beitragen, und wenn jemand aufhört beizutragen, schwindet auch langsam sein Eigentum. Sowohl Unternehmen als auch Nonprofitorganisationen wenden heute das offene Unternehmensmodell Better Means an. Es wird laufend weiterentwickelt und baut auf Schlüsselkonzepten aus den Open Source und P2P Bewegungen auf wie “lazy consensus“, “Agiles Projektmanagement”, peer evaluation („Beurteilung unter Gleichrangigen”), reputation feedback und vielen anderen.

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