Kapitel 6: Die Ökonomie des Wuchers

 

Trotz der heiligen Versprechen der Völker, den Krieg für alle Zeiten zu ächten, trotz der Rufe der Millionen: “Nie wieder Krieg”, entgegen all den Hoffnungen auf eine schönere Zukunft muss ich sagen: Wenn das heutige Geldsystem, die Zinswirtschaft, beibehalten wird, so wage ich es, heute schon zu behaupten, dass es keine 25 Jahre dauern wird, bis wir vor einem neuen, noch furchtbareren Krieg stehen. Ich sehe die kommende Entwicklung klar vor mir. Der heutige Stand der Technik lässt die Wirtschaft rasch zu einer Höchstleistung steigern.

Die Kapitalbildung wird trotz der großen Kriegsverluste rasch erfolgen und durch Überangebot [an Geld] den Zins drücken [bis die Geldspekulanten sich weigern, ihre Zinsraten weiter zu senken]. Das Geld wird dann gehamstert werden [und eine Deflation erzeugen]. Der Wirtschaftsraum wird einschrumpfen, und große Heere von Arbeitslosen werden auf der Straße stehen. […] In den unzufriedenen Massen werden wilde, revolutionäre Strömungen wach werden, und auch die Giftpflanze Übernationalismus wird wieder wuchern. Kein Land wird das andere mehr verstehen, und das Ende kann nur wieder Krieg sein.

(Silvio Gesell 1918)

Wir stehen vor einem Paradox. Einerseits ist Geld ein geeignetes Symbol für Dankbarkeit und Vertrauen, ein Medium für das Aufeinandertreffen von Gaben und Bedürfnissen, es ermöglicht Austausch zwischen jenen, die sonst nicht tauschen könnten. Als solches sollte es uns reicher machen. Aber das tut es nicht. Statt dessen hat es Unsicherheit, Armut und die Tilgung unserer kulturellen und natürlichen Commons gebracht. Warum?

Die Ursache dafür liegt tief im Innersten des heutigen Geldsystems. Es ist die Art und Weise, wie unser Geld heute geschaffen wird und zirkuliert. Das Herzstück dieses Systems ist der Wucher, besser bekannt als Zins. Wucher ist das Gegenteil des Geschenks: Hat man mehr als man braucht, gibt man nicht anderen etwas davon, sondern man nützt im Gegenteil die mit Eigentum einhergehende Macht dazu, noch mehr zu bekommen – Wucher heißt von anderen zu nehmen, statt ihnen zu geben. Und wie wir sehen werden, ist Wucher nicht nur in seiner Wirkung sondern auch von seiner Motivation her das Gegenteil eines Geschenks.

Wucher ist von Anfang an Teil unseres heutigen Geldes. Geld entsteht, wenn die Federal Reserve (oder die EZB oder eine andere Zentralbank) auf dem freien Markt verzinste Sicherheiten ankauft (herkömmlicherweise Staatsanleihen, aber in jüngerer Zeit auch alle möglichen hypothekarisch gesicherten Wertpapiere und anderen Finanzmüll). Die Fed oder Zentralbank erzeugt dieses neue Geld aus der Luft, mit einem Federstrich (oder dem Druck auf eine Computertaste). Als die Fed zum Beispiel für 290 Milliarden Dollar hypothekarisch gesicherte Wertpapiere von der Deutschen Bank kaufte, verwendete sie dafür kein schon existierendes Geld. Sie schuf neues Geld durch eine Buchungszeile am Konto der Deutschen Bank. Das ist der erste Schritt in der Geldschöpfung. Was immer die Fed oder Zentralbank kauft, es sind immer verzinste Wertpapiere. Also ist das erzeugte Geld immer von einer entsprechenden Schuld begleitet, und die Schuld ist immer höher als die Summe des geschöpften Geldes.

Das Geld, das ich gerade beschrieben habe, kennt man als die “Geldbasis” oder M0. Sie besteht aus Bankrücklagen (und Bargeld). Der zweite Schritt in der Geldschöpfung ist, dass die Bank Kredite an Firmen oder Einzelpersonen vergibt. Auch hier wird neues Geld durch eine Buchungszeile am Konto des Kreditnehmers geschaffen. Stellt die Bank einem Unternehmen einen Kredit in der Höhe von einer Million Dollar aus, schuldet sie niemandem diesen Betrag. Sie schreibt diesen Betrag einfach ins Dasein. Eine Million neuer Dollars wurde geschaffen – und zugleich mehr als eine Million Dollars an Schulden.1 Dieses neue Geld kennt man als M1 und M2 (je nach Darstellung). Das ist das Geld, das tatsächlich für Waren und Leistungen, Investitionsgüter, Gehälter und so weiter ausgegeben wird.

Diese Beschreibung der Geldschöpfung ist zwar weithin akzeptiert aber nicht ganz richtig. Ich diskutiere die Feinheiten im Anhang. Für hier reicht sie einmal, weil sie ausreichend genau ist, um die Auswirkungen des Wuchers zu veranschaulichen.

6.1 Eine wirtschaftliche Parabel

Wucher verursacht die heute herrschende Knappheit, und er ist der Motor für die weltverschlingende Maschinerie, die ewiges Wachstum verlangt. Um zu veranschaulichen, wie das passiert, möchte ich mit einer Geschichte beginnen. Bernard Lietaer, dieser außerordentliche Wirtschaftsvisionär, erzählt in seinem Buch Das Geld der Zukunft2 die Parabel “Das elfte Lederstück”:

Es war einmal ein kleines Dorf im australischen Busch. Dort bezahlten die Menschen alles mit Naturalien. An jedem Markttag spazierten sie mit Hühnern, Eiern, Schinkenkeulen und Broten herum und verhandelten lange miteinander über den Tausch der Güter, die sie brauchten. In wichtigen Zeiten im Jahr, etwa zur Ernte oder wenn jemand nach einem Unwetter seinen Stall reparieren musste, erinnerten sich die Menschen wieder an die Tradition, einander zu helfen, die sie aus der alten Heimat mitgebracht hatten. Jeder wusste, wenn er einmal in Schwierigkeiten geraten sollte, würden die anderen ihm helfen.

An einem Markttag tauchte ein Fremder auf. Er trug glänzende schwarze Schuhe und einen eleganten weißen Hut und beobachtete das Treiben mit einem sardonischen Lächeln. Beim Anblick eines Farmers, der verzweifelt versuchte, die sechs Hühner einzufangen, die er gegen einen großen Schinken eintauschen sollte, konnte er sich das Lachen nicht verkneifen. „Die armen Leute«, stieß er hervor, »wie primitiv sie leben.“

Die Frau des Farmers hörte seine Worte und sprach ihn an. „Meinen Sie, Sie kämen mit den Hühnern besser zurecht?“ fragte sie ihn. „Mit den Hühnern nicht“, erwiderte der Fremde, „aber es gibt einen viel besseren Weg, sich den ganzen Ärger zu ersparen.“ „Ach ja, und wie soll das gehen?“ „Sehen Sie den Baum dort?“ sagte der Fremde. „Ich gehe jetzt dorthin und warte, bis einer von euch mir eine große Kuhhaut bringt. Dann soll jede Familie zu mir kommen. Ich werde euch den besseren Weg erklären.“

Und so geschah es. Er nahm die Kuhhaut, schnitt gleichmäßige runde Stücke davon ab und drückte auf jedes Stück einen kunstvoll gearbeiteten, hübschen kleinen Stempel. Dann gab er jeder Familie ein rundes Stück und erklärte, dass es den Wert von einem Huhn habe. „Jetzt könnt ihr mit den Lederstücken Handel treiben anstatt mit den widerspenstigen Hühnern.“ Das leuchtete den Farmern ein. Alle waren sehr beeindruckt von dem Mann mit den glänzenden Schuhen und dem interessanten Hut.

Ach, übrigens“, meinte er noch, nachdem jede Familie ihre zehn runden Lederstücke entgegengenommen hatte, „in einem Jahr komme ich zurück und sitze wieder unter diesem Baum. Ich möchte, dass jeder von euch mir elf Stücke zurückgibt. Das elfte Stück ist ein Unterpfand der Wertschätzung für die technische Neuerung, die ich in eurem Leben eingeführt habe.“ „Aber wo soll das elfte Stück denn herkommen?“ fragte der Farmer mit den sechs Hühnern. „Das werdet ihr schon sehen“, erwiderte der Mann und lächelte beruhigend.

Angenommen die Bevölkerungszahl und die Produktion bleiben im folgenden Jahr genau gleich, was, glauben Sie, wird geschehen? Bedenken Sie, dass das elfte Lederstück gar nicht abgeschnitten wurde. Darum, so lautet die Schlussfolgerung, muss jede elfte Familie ihre gesamten Lederstücke verlieren, auch wenn alle gut wirtschaften, den nur so können die übrigen zehn ihr elftes Stück bekommen.

Als das nächste Mal ein Unwetter die Ernte einer Familie bedrohte, waren die Menschen nicht so schnell bei der Hand mit dem Angebot, beim Einbringen der Ernte zu helfen. Zwar war es wirklich sehr viel bequemer, an Markttagen nur die Lederstücke auszutauschen und nicht die Hühner, aber die neue Sitte hatte die unbeabsichtigte Nebenwirkung, dass sie die traditionelle spontane Hilfsbereitschaft im Dorf hemmte. Stattdessen entwickelte das neue Geld einen systembedingten Sog zum Wettbewerb zwischen allen Beteiligten.

In dieser Parabel zeichnet sich ab, wie über die Zinsen Konkurrenz, Unsicherheit und Gier mit unserer Wirtschaft verwoben sind. Sie werden nie verschwinden, solange die Lebensgrundlagen einen Preis in verzinstem Geld haben. Aber verfolgen wir die Geschichte weiter, um zu sehen, wie Zinsen auch einen unglaublichen Druck für das endlose Wachstum erzeugen.

Es gibt drei Möglichkeiten, wie die Geschichte von Lietaer enden könnte: Kreditausfall, Wachstum der Geldmenge oder Umverteilung des Reichtums. Eine von elf Familien könnte bankrott gehen, und die müssten ihre Farmen dem Mann mit dem Hut (dem Bänker) überlassen. Oder er könnte eine weitere Kuhhaut besorgen und mehr Geld machen. Oder die Dorfbewohner könnten den Bänker teeren und federn und sich weigern, die Lederstücke zurückzuzahlen. Diese Wahlmöglichkeiten bestehen in jeder Wirtschaft, die auf Wucher basiert.

Stellen wir uns also vor, dass sich die Dorfbewohner um den Mann mit dem Hut versammeln und sagen: “Könnten Sie uns bitte mehr Lederstücke geben, damit keiner von uns bankrott gehen muss?”

Der Mann sagt: “Das will ich tun, aber nur für jene, die mir versichern können, dass sie mir diese auch zurückzahlen werden. Jedes Lederstück ist ein Huhn wert. Ich werde den Menschen neue Lederstücke leihen, die mehr Hühner haben, als sie mir jetzt schon an Lederstücken schulden. So kann ich ihre Hühner pfänden, für den Fall dass sie mir die Lederstücke nicht zurückzahlen. Oh, und weil ich so ein netter Kerl bin, werde ich auch neue Lederstücke für Leute machen, die jetzt nicht genug Hühner haben, wenn sie mich überzeugen können, dass sie dafür in Zukunft mehr Hühner züchten werden. Zeigen Sie mir Ihren Businessplan! Zeigen Sie mir, dass Sie vertrauenswürdig sind (einer von Ihnen kann eine „Kreditauskunft“ machen, um Ihnen dabei zu helfen). Ich werde zu 10% verleihen – wenn Sie ein kluger Züchter sind, können Sie sogar 20% mehr Hühner pro Jahr züchten. Dann zahlen Sie mir die Schuld zurück und können auch noch selbst damit reich werden.”

Die Dorfbewohner entgegnen: “Das kling gut, aber wenn Sie die neuen Lederstücke wieder zu einer Zinsrate von 10% machen, werden am Ende wieder nicht genug Lederstücke da sein, die wir Ihnen zurückzahlen können.”

“Das macht nichts,” sagt der Mann. “Sehen Sie, wenn diese Zeit kommt, werde ich noch mehr Lederstücke gemacht haben, und wenn diese fällig werden, werde ich noch einmal mehr davon machen. Ich werde immer bereit sein, neue Lederstücke zu verleihen. Natürlich werden Sie mehr Hühner produzieren müssen, aber solange Sie die Hühnerproduktion weiter steigern, wird es nie ein Problem geben.”

Ein Kind kommt zu ihm und sagt: “Mein Herr, entschuldigen Sie! Meine Familie ist krank, und wir haben nicht genug Lederstücke, um Essen zu kaufen. Können Sie mir neue Lederstücke geben?”

“Tut mir leid,” sagt der Mann, “aber das kann ich nicht tun. Schau, ich mache nur für die Leute neue Lederstücke, die sie mir zurückzahlen werden. Hat deine Familie Hühner, die sie mir als Kreditsicherheit zusichern kann? Oder kannst du mir beweisen, dass du im Stande bist, ein bisschen härter zu arbeiten, um mehr Hühner zu züchten? Dann gebe ich dir natürlich gerne Lederstücke.”

Mit einigen bedauerlichen Ausnahmen funktionierte das System eine Zeit lang gut. Die Dorfbewohner züchteten Hühner schnell genug, um die zusätzlichen Lederstücke zu erhalten, die sie brauchten, um dem Mann mit dem Hut die alten Schulden zurückzuzahlen. Einige gingen aus verschiedenen Gründen (sei es Pech oder Ungeschick) tatsächlich bankrott. Ihre Nachbarn, die mehr Glück gehabt hatten und effizienter arbeiteten, übernahmen deren Farmen und stellten sie als Arbeiter an. Insgesamt nahmen die Hühnerbestände um 10% pro Jahr zu, wie auch die Geldmenge. Das Dorf und seine Hühner wuchsen so stark, dass bald viele andere Männer mit Hüten kamen. Sie alle schnitten eifrig runde Lederstücke aus, die sie jedem gaben, der eine gute Idee hatte, wie er mehr Hühner züchten könnte.

Von Zeit zu Zeit kam es zu Problemen. Erstens wurde bald klar, dass keiner wirklich alle diese Hühner brauchte. “Wir können schon keine Eier mehr sehen,” nörgelten die Kinder. “In jedem Zimmer im Haus steht schon ein Daunenbett,” beschwerten sich die Hausfrauen. Um den Konsum von Hühnerprodukten weiterhin anzukurbeln, ließen sich die Dorfbewohner allerlei einfallen. Es wurde schick, sich jeden Monat eine neue Federmatratze zu kaufen. Und man baute größere Häuser für die vielen Federmatratzen, und um mehr Höfe für die vielen Hühner zu haben. Konflikte mit anderen Dörfern wurden mit Ei-Schlachten geregelt. “Wir müssen die Nachfrage für Hühner steigern!” rief der Bürgermeister – er war der Schwager des Mannes mit dem Hut. “So werden wir alle immer reicher.”

Eines Tages machte ein alte Frau aus dem Dorf auf ein anderes Problem aufmerksam. Früher waren die Felder rund ums Dorf grün und fruchtbar gewesen, jetzt waren sie braun und kahl. Die gesamte Vegetation war gerodet worden, um Getreide für die Hühner anzubauen. Die Teiche und Flüsse hatten einst von Fischen gewimmelt, aber jetzt waren sie Kloaken aus stinkender Gülle. Sie sagte: “Das muss aufhören! Wenn wir noch mehr Hühner züchten, werden wir bald in Hühnerscheiße ersticken!”

Der Mann mit dem Hut nahm sie zur Seite und sagte zu ihr in beruhigendem Tonfall: “Keine Sorge, in der Nähe gibt es ein anderes Dorf, das viele fruchtbare Felder hat. Die Männer aus unserem Dorf planen, die Hühnerproduktion an sie abzugeben. Und wenn sie nicht zustimmen… nun, dann werden wir in der Überzahl sein. Außerdem können Sie doch nicht ernsthaft wollen, dass das Wachstum enden soll. Warum denn? Wie würden Ihre Nachbarn ihre Schulden zurückzahlen? Wie könnte ich sonst neue Lederstücke machen? Selbst ich würde bankrott gehen.”

Und so verwandelten sich eines nach dem anderen all diese Dörfer in stinkende Jauchegruben voll von riesigen Hühnerherden, die keiner wirklich brauchte. Die Dörfer kämpften miteinander um die wenigen restlichen grünen Stellen, die noch für ein paar weitere Jahre ein Wachstum ermöglichten. Aber trotz ihrer größten Bemühungen das Wachstum beizubehalten, verlangsamte es sich. Als sich das Wachstum abschwächte, begann die Schuld im Verhältnis zum Einkommen zu steigen, bis die Menschen all ihre verfügbaren Lederstücke dafür verwenden mussten, um dem Mann mit dem Hut ihre Schulden zurückzuzahlen. Viele gingen bankrott und mussten sich am Lohnminimum für Arbeitgeber abrackern, die selbst kaum ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Mann mit dem Hut nachkommen konnten. Immer weniger Menschen konnten sich Hühnerprodukte leisten, was es immer schwieriger machte, die Nachfrage und das Wachstum aufrechtzuerhalten. Mitten im umweltzerstörenden Überfluss an Hühnern hatten die Menschen immer öfter kaum genug zum Überleben, was zu einer paradoxen Knappheit inmitten dieses Überflusses führte.

Und so stehen die Dinge heute.

6.2 Der Wachstumsimperativ

Ich hoffe, es ist klar, wie diese Geschichte unsere reale Wirtschaft abbildet. Aufgrund der Zinsen ist zu jedem beliebigem Zeitpunkt die Menge des geschuldeten Geldes größer, als die Menge des tatsächlich vorhandenen Geldes. Um das neue Geld zu erzeugen, das nötig ist, damit das ganze System weiter funktioniert, müssen wir mehr Hühner züchten – mit anderen Worten: Wir müssen mehr “Waren und Dienstleistungen” schaffen. Meist geschieht das, indem man beginnt, etwas zu verkaufen, das vorher gratis war. Man verwandelt Wälder in Holz, Musik in ein Produkt, Ideen in geistiges Eigentum, gesellschaftliches Geben und Nehmen in bezahlte Dienstleistungen.

In den vergangenen Jahrhunderten begünstigte und beschleunigte der technologische Fortschritt die Umwandlung von Werten, die einst keinen Preis hatten, in Waren und Dienstleistungen. Heute ist schließlich kaum etwas übrig geblieben, das nicht der Geldsphäre angehört. Die unermesslichen Gemeingüter, sei es Land oder Kultur, wurden eingezäunt und verkauft – nur um Schritt zu halten mit dem exponentiellen Wachstum der Geldmenge. Das ist der wahre Grund, warum wir Wälder in Holz, Lieder in geistiges Eigentum und so weiter umwandeln. Deswegen werden mittlerweile zwei Drittel der Mahlzeiten in Amerika nicht mehr zuhause zubereitet. Deswegen wurden Heilkräuter von pharmazeutischen Medikamenten verdrängt, deswegen wurde Kinderbetreuung zu einer bezahlten Dienstleistung, deswegen konnte Trinkwasser zur größten Wachstumssparte bei den Getränkeverkäufen avancieren.

Das einem verzinsten Geld innewohnende Gebot des ewigen Wachstums treibt die unerbittliche Umwandlung von Leben, Welt und Geist in Geld voran. Der Teufelskreis schließt sich, denn je mehr wir zu Geld machen, desto mehr brauchen wir das Geld, um zu leben. Wucher, nicht Geld, ist die sprichwörtliche Wurzel allen Übels.

Untersuchen wir nun ein bisschen detaillierter, wie das geschieht. Wie der Mann mit dem interessanten Hut wird Ihnen auch eine Bank oder ein anderer Kreditgeber normalerweise Geld leihen, wenn eine vernünftige Aussicht darauf besteht, dass Sie es zurückzahlen werden. Diese Aussicht könnte auf zu erwartenden zukünftigen Einnahmen beruhen, auf Kreditsicherheiten oder auf einer guten Bonitätsbewertung. Schwerwiegende Konsequenzen für den Fall einer Zahlungsunfähigkeit verleihen dieser Erwartung Nachdruck. Die Schuldenrückzahlung hängt nicht nur davon ab, ob jemand zurückzahlen kann, sondern auch von verschiedenen Formen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und gesetzlichen Drucks. Gerichte können die Pfändung von Vermögenswerten anordnen, damit die vertraglichen Schuldverpflichtungen erfüllt werden. Wir haben zwar keine Schuldgefängnisse mehr,3 aber säumige Schuldner müssen fortwährende Schikanen durch Inkassobüros ertragen, und ihnen wird womöglich noch die Wohnung oder die Arbeit entzogen, oder es wird ihnen die Unbedenklichkeitsbescheinigung aberkannt. Viele Menschen empfinden es als moralische Verpflichtung, ihre Schulden zurückzuzahlen. Das ist ganz natürlich – auch in Schenkökonomien sind jene, die beschenkt wurden, unter gesellschaftlichem und moralischem Druck, jetzt ihrerseits etwas zu schenken.

Das Geld für die Rückzahlung der Kreditsumme und für die Zinsen kommt aus dem Verkauf von Waren und Dienstleistungen, oder es könnte auch aus einer weiteren Kreditaufnahme stammen. Jedes Mal, wenn Sie Geld verwenden, bescheinigen Sie damit im Grunde: “Ich habe um den gleichen Wert, um den ich jetzt etwas kaufe, einen Dienst geleistet oder eine Ware bereitgestellt.” Immer wenn Sie sich Geld leihen, sagen Sie, dass Sie in Zukunft eine gleichwertige Ware oder Dienstleistung bereitstellen werden. Theoretisch sollte das für alle von Nutzen sein, weil auf diese Weise Fähigkeiten und Bedürfnisse miteinander nicht nur orts- und berufsübergreifend, sondern auch zeitübergreifend in Beziehung gesetzt werden können. Das ist den Prinzipien der Schenkökonomie nicht unähnlich. Ich erhalte jetzt etwas, dafür gebe ich später etwas.

Das Problem beginnt bei den Zinsen. Weil zu jedem Zeitpunkt alles neue Geld von einer verzinsten Schuld begleitet ist, übersteigt die Höhe der Schuld immer die vorhandene Geldmenge. Der Geldmangel treibt uns in die Konkurrenz und versetzt uns in einen ständigen Zustand einer systemimmanenten Knappheit.

Es ist wie beim Spiel “Reise nach Jerusalem”, bei dem nie genug Stühle da sind, damit sich jeder in Sicherheit fühlen kann. Der Schuldendruck ist im System allgegenwärtig. Während es manchen gelingt, ihre Schulden zurückzuzahlen, erzeugt das System einen generellen und wachsenden Zustand der Verschuldung.

Ein ständig lastender Schuldendruck bedeutet, dass es immer unsichere und verzweifelte Menschen geben wird: Menschen mit Existenzängsten, die dazu bereit sind, den letzten Baum zu fällen, den letzten Fisch zu fangen, jemandem einen Turnschuh zu verkaufen, oder was auch immer an sozialem, natürlichem, kulturellem oder spirituellem Kapital noch vorhanden ist, zu vernichten. Es wird nie der Zeitpunkt kommen, an dem wir “genug” haben, weil in einem verzinsten Schuldsystem ein Kredit nicht bedeutet, dass “Waren jetzt für Waren in der Zukunft”, sondern dass “Waren jetzt für mehr Waren in der Zukunft” getauscht werden. Um Ihre Schulden zu bedienen oder um einfach nur zu leben, nehmen Sie entweder jemand anderem etwas weg (Konkurrenz), oder Sie erzeugen “neuen” Reichtum, indem Sie sich an den Commons schadlos halten.

Hier ein konkretes Beispiel, um zu veranschaulichen, wie das funktioniert: Nehmen wir an, Sie gehen zur Bank und sagen: “Herr Bänker, ich möchte einen Kredit von einer Million Dollar, damit ich diesen Wald kaufen kann, um ihn vor der Abholzung zu bewahren. Ich werde so kein Einkommen aus dem Wald erwirtschaften, also werde ich nicht in der Lage sein, die Schulden zurückzuzahlen. Aber wenn Sie einmal das Geld zurückhaben wollen, kann ich den Wald verkaufen und Ihnen die Million zurückzahlen.” Bedauerlicherweise wird der Bänker Ihren Vorschlag ablehnen müssen, selbst wenn sein Herz ja sagen möchte. Aber wenn Sie zur Bank gehen und sagen: “Ich hätte gern eine Million Dollar, um diesen Wald zu kaufen, Bulldozer zu mieten, ihn zu roden und das Holz für eine Gesamtsumme von zwei Millionen Dollar zu verkaufen, von denen ich Ihnen 12% Zinsen bezahlen und selbst auch einen sauberen Gewinn machen werde,” dann wird eine Bänkerin, wenn sie schlau ist, Ihrem Vorschlag zustimmen. Im ersten Fall werden keine neuen Waren erzeugt, also lässt sich damit auch kein Geld machen. Geld fließt zu jenen, die neue Waren und Dienstleistungen erzeugen. Darum gibt es viele lukrative Jobs, die zur Umwandlung von natürlichem und sozialem Kapital in Geld beitragen und wenige Arbeitsplätze, bei denen es darum geht, die Commons wieder aufzubauen und unsere natürlichen und kulturellen Schätze zu bewahren.

Allgemein gesprochen ist der unbarmherzige Druck auf die Schuldner, Waren und Dienstleistungen bereitzustellen, ein systematischer Druck auf das Wirtschaftswachstum (definiert als Wachstum aller Waren und Dienstleistungen, die für Geld getauscht werden). Man kann das auch so sehen: Weil die Schuld immer größer als die Geldmenge ist, erzeugt jede Geldschöpfung ein zukünftiges Bedürfnis nach noch mehr Geld. Die Geldmenge muss über die Zeit wachsen. Neues Geld fließt zu denen, die Waren und Dienstleistungen erzeugen werden, daher muss auch das Volumen an Waren und Dienstleistungen über die Zeit zunehmen.

Es ist also nicht nur die schon im antiken Griechenland beobachtete scheinbare Grenzenlosigkeit von Geld, die uns an die Möglichkeit eines endlosen Wachstums glauben lässt. Unser Geldsystem erfordert und erzwingt dieses Wachstum. Die meisten Ökonomen betrachten diesen allgegenwärtigen Wachstumsdruck als etwas Gutes. Sie sagen, das sei ein Ansporn für Innovation, Fortschritt und für die immer effizientere Erfüllung von immer mehr Bedürfnissen. Eine zinsbasierte Wirtschaft ist grundsätzlich und unabänderlich eine Wachstumswirtschaft, und vom radikalen Flügel abgesehen, betrachten die meisten Ökonomen und wahrscheinlich alle Politiker das Wirtschaftswachstum als Zeichen des Erfolges.

Das ganze System des verzinsten Geldes funktioniert gut, solange die Menge an Waren und Dienstleistungen, die für Geld getauscht werden, mit seinen Wachstumsraten Schritt halten können. Aber was geschieht, wenn sie das nicht können? Anders gesagt: Was geschieht, wenn das Wirtschaftswachstum unter der Zinsrate bleibt? Wie die Menschen in der Parabel müssen wir das beachten in einer Welt, die dabei ist, die Grenzen des Wachstums zu erreichen.

6.3 Die Vermögenskonzentration

Es ist kein Geheimnis, was passiert, wenn die Wirtschaftswachstumsrate unter dem Zinssatz liegt – denn das ist beinahe immer der Fall. Wenn die Schuldner im Ganzen ihre Zinsen nicht mit neu geschaffenen Werten bezahlen können, müssen sie immer mehr von ihrem bestehenden Besitz an ihre Gläubiger abtreten und/oder sich verpflichten, einen immer größeren Anteil an ihrem gegenwärtigen und künftigen Einkommen in den Schuldendienst zu stellen. Wenn ihre Vermögenswerte und ihr verfügbares Einkommen aufgebraucht sind, müssen sie Konkurs anmelden. Das muss so sein, wenn die durchschnittliche Kapitalrendite unter dem durchschnittlichen Zinssatz für aufgenommenes Kapital liegt. Kreditausfälle sind dann für einen bestimmten Anteil der Kreditnehmer unvermeidlich.

Zumindest in der Theorie sind Kreditausfälle nicht notwendigerweise schlecht: Sie zeigen, welche Entscheidungen das Allgemeinwohl nicht fördern, also nicht dazu führen, dass Güter, für die es eine Nachfrage gibt, effizienter produziert werden. Kreditgeber werden sich hüten, jemandem Geld zu leihen, von dem nicht zu erwarten ist, dass er zur Wirtschaft etwas beitragen wird. Und die Kreditnehmer werden unter Druck sein, so zu handeln, dass sie einen Beitrag zur Wirtschaft leisten. Selbst in einem System ohne Zinsen könnten Menschen Bankrott gehen, wenn sie dumme Entscheidungen treffen, aber es bestünde dann keine systemimmanente Notwendigkeit für Zahlungsausfälle.

Abgesehen von den Ökonomen mag niemand Zahlungsausfälle – am wenigsten die Kreditgeber, weil es ihr Geld ist, das verschwindet. Eine Möglichkeit, einen Kreditausfall zu verhindern (zumindest eine Zeit lang), ist, der Schuldnerin noch mehr Geld zu leihen, damit sie weiterhin die Zahlungen für den ursprünglichen Kredit leisten kann. Das mag gerechtfertigt sein, wenn die Schuldnerin gerade ein vorübergehendes Problem hat, oder wenn es Grund zur Annahme gibt, dass sie demnächst ihre Produktivität ausreichend erhöhen kann, damit dann die Schulden zurückgezahlt werden können. Aber oft werden die Kreditgeber dem schlechten Geld gutes hinterherwerfen, nur weil sie die Verluste aus den Kreditausfällen nicht wahr haben wollen – was sie letztlich selbst in den Bankrott führen kann. Solange der Kreditnehmer weiterhin zahlt, kann sich der Kreditgeber vormachen, dass alles normal läuft.

Das ist im Grunde die Lage, in der sich die Weltwirtschaft in den letzten Jahren befand. Nach Jahren oder gar Jahrzehnten, in denen die Zinssätze das Wirtschaftswachstum bei weitem überstiegen, ohne kompensatorischen Anstieg bei den Kreditausfällen, stehen wir vor einem enormen Schuldenüberhang. Auf Drängen der Finanzindustrie (also der Kreditgeber, der Geldbesitzer) tat die Regierung ihr Bestes, um Kreditausfälle zu verhindern und die volle Höhe der Schulden in den Bilanzen zu behalten, in der Hoffnung, dass einmal erneutes Wirtschaftswachstum es erlauben würde, die Schulden zu bedienen.4 Sie hoffen, dass wir „aus den Schulden herauswachsen”.

Auf der politischen Ebene herrscht also derselbe Druck, “wirtschaftliches Wachstum” zu erzeugen, wie auf der individuellen oder der Unternehmensebene. Der Kreditnehmer ist unter Druck, irgendetwas zu verkaufen, sei es auch nur seine Arbeitskraft, um Geld zu erhalten, mit dem er die Schulden zurückzahlen kann. Das verfolgen im Grunde auch wachstumsfreundliche politische Konzepte: Sie machen es leichter, “etwas zu verkaufen“, sprich, sie erleichtern die Umwandlung von natürlichem, sozialen und anderem Kapital in Geld. Wenn wir die Umweltschutzbestimmungen lockern, erleichtern wir die Umwandlung der lebenserhaltenden Atmosphäre in Geld. Wenn wir die Errichtung von Straßen zur Erschließung von Urwäldern subventionieren, erleichtern wir die Umwandlung von Ökosystemen in Geld. Wenn der Internationale Währungsfonds (IWF) Regierungen dazu drängt, Sozialleistungen zu privatisieren und Ausgaben zu kürzen, forciert er die Umwandlung von sozialem Kapital in Geld.

Darum sind in Amerika Demokraten und Republikaner in gleicher Wiese darauf erpicht, “neue Märkte zu erschließen”, “geistiges Eigentum zu schützen” und so weiter. Darum ist auch jede Form von Gemeingütern, die für die Ausbeutung noch nicht verfügbar ist, wie das Öl im staatlichen Wildtierschutzgebiet von Alaska, zollgeschützte regionale Nahrungsmittelversorgung oder Naturreservate in Afrika, den Übergriffen durch Politiker, Unternehmen oder Wilddiebe ausgesetzt. Wenn die Geldsphäre aufhört zu wachsen, wird der Mittelweg zwischen Kreditausfällen einerseits und der Ungleichverteilung von Reichtum andererseits unendlich schmal, was zu sozialen Unruhen und schließlich zur Revolution führt. Ohne Wachstum bleibt keine Alternative, wenn Schulden in einer begrenzten Welt exponentiell wachsen.

Wenn dieses Wachstum, diese Umwandlung von Commons in Geld, in einem Ausmaß stattfindet, das die Zinssätze übersteigt, ist alles gut (zumindest aus der Perspektive der Finanzwelt, wenn schon nicht aus der menschlichen oder ökologischen Perspektive). Wenn die Nachfrage nach Hühnern groß genug ist, und es ausreichend natürliche Ressourcen gibt, um sie zu füttern, können die Dorfbewohner Geld zu 10% Zinsen leihen und ihre Herden um 20% vergrößern. In der gebräuchlichen Sprache: Die Kapitalinvestition bringt Überschusserträge, daher erzielt der Kreditnehmer einen Gewinn, der die Zahlungen an den Kreditgeber übersteigt. So war das im Wilden Westen , als vieles noch nicht Eigentum war, und man es sich einfach nahm. Das ist immer noch der Fall in Gesellschaften, in denen soziale Beziehungen noch nicht vollständig zu Geld gemacht worden sind – in der Wirtschaftssprache sind das “unterentwickelte Märkte”. Nur wenn die Wirtschaft wächst, “steigen alle Boote” – die Kreditgeber werden immer reicher, und den Schuldnern geht es auch gut.

Aber selbst in guten Zeiten ist das Wachstum nur selten hoch genug, um mit den Zinsen Schritt zu halten. Angenommen, die Dorfbewohner können ihre Hühnerbestände nur um 5% pro Jahr vergrößern. Statt dass sie nur einen Teil des neuen Wachstums an den Bänker zahlen, müssen sie nun (im Durchschnitt) alles davon und noch zusätzlich einen Teil ihres bestehenden Vermögens und/oder zukünftige Erträge zahlen. Vermögenskonzentration (sowohl bei Einkommen als auch bei Vermögenswerten) ist eine unausweichliche Konsequenz, wenn die Schuld schneller wächst, als die Zahl an Waren und Dienstleistungen zunimmt.

Seit Aristoteles haben ökonomische Theoretiker dieses Grundproblem erkannt. Aristoteles bemerkte, das es ungerecht sei, Geld mit Zinsen zu verleihen, weil es “unfruchtbar” ist (es bringt also keinen Nachwuchs hervor wie Vieh oder Weizen). Die daraus resultierende Vermögenskonzentration war schon um 350 v. Chr. keine Neuigkeit, und sie sollte auch noch viele Male danach beschrieben werden. Auch in der Römerzeit kam es dazu. Solange das Reich rasch expandierte, als neue Länder erobert und neuer Tribut gefordert wurde, lief alles recht gut, und es gab keine extreme Vermögenskonzentration. Erst als sich das Wachstum des Reiches verlangsamte, verstärkte sich die Vermögenskonzentration, und die einst stattliche Klasse der Kleinbauern, das Rückgrat der Legionen, wurde zu Schuldsklaven. Das war nicht lange, bevor das Reich zu einer Sklavenwirtschaft wurde.

Ich muss hier nicht auf den Parallelen zwischen Rom und der heutigen Welt herumreiten. Weil sich das Wachstum verlangsamt hat, sind heute viele, Einzelne und Nationen, dabei, in einen Zustand zu geraten, der der Römischen Schuldsklaverei nicht unähnlich ist. Ein immer größerer Teil der Einkommen fließt in die Schuldenrückzahlung, und wenn das nicht reicht, werden bestehende Vermögenswerte besichert und dann gepfändet, bis nichts mehr übrig ist. So kam es, dass der Eigenkapitalanteil an Eigenheimen in den USA ohne Unterbrechung seit einem halben Jahrhundert sinkt, von 85% im Jahr 1950 auf etwa 40% heute (das Drittel derer inbegriffen, die ihre Häuser ohne laufende Kredite besitzen). Mit anderen Worten: Den Leuten gehören ihre eigenen Häuser nicht mehr. Den meisten Menschen, die ich kenne, gehören nicht einmal ihre Autos; sie mieten diese im Grunde nur von Banken über Autokredite. Selbst Unternehmen leiden unter einem bisher ungekannten Grad an Verschuldung, sodass ein Großteil ihrer Erträge an die Banken und Anteilsinhaber geht. Dasselbe gilt sogar für Nationen, deren Schulden im Verhältnis zum BIP immer stärker steigen. Auf jeder Ebene sind wir zusehends Sklaven von Schulden, während die Früchte unserer Arbeit unseren Gläubigern zugute kommen.

Selbst wenn Sie keine Schulden haben, sind in fast allen Preisen Schuldenkosten enthalten. Zum Beispiel fließen etwa 10% der US Staatsausgaben (und Steuereinnahmen) in die Bedienung der Zinsen für Staatsschulden. Wenn Sie eine Wohnung mieten, deckt ein Großteil der Mietkosten die höchsten Ausgaben des Vermieters: die Hypothek auf das Eigentum. Wenn Sie in einem Restaurant essen, spiegeln die Preise teilweise die Kapitalkosten des Restaurantbetreibers wider. Außerdem beinhalten die Kosten für den Strom, die Nahrungsmittellieferungen und die Raummiete auch jene Kosten, die diese Zulieferer für Kapital zahlen müssen, und das geht immer so weiter. All dieses Geld ist eine Art Tribut an die Geldbesitzer, eine Steuer auf alles, was wir kaufen.

Zinsen setzen sich aus sechs Komponenten z usammen: der Risikoprämie, den Kosten für den Kredit, einer Inflationsprämie, einer Liquiditätsprämie, einer Laufzeitrisikoprämie und einem Aufschlag für den risikofreien Anteil.5 Eine anspruchsvollere Erörterung der Folgen von Zinsen würde zwischen diesen Komponenten unterscheiden und zu dem Schluss kommen, dass nur die letzten drei (und besonders die letzte) Wucher sind. Ohne diese muss es nicht zwingend zu einer Vermögenskonzentration kommen, weil dieser Teil des Geldes nicht in den Händen der Kreditgeber verbleibt. (Ein Wachstumsdruck bestünde aber dennoch weiterhin.) In unserem jetzigen System tragen jedoch alle sechs zu den herrschenden Zinssätzen bei. Das bedeutet, dass jene, die Geld besitzen, ihren Wohlstand einfach dadurch vergrößern können, dass sie Geld besitzen. Wenn Schuldner ihren Gewinn nicht ebenso schnell vergrößern können (was nur in einer expandierenden Wirtschaft möglich ist), wird sich das Vermögen in den Händen der Gläubiger konzentrieren.

Einfach ausgedrückt: ein Teil des Zinssatzes besagt: “Ich habe Geld, das du brauchst, also werde ich dir für den Zugang zu Geld etwas verrechnen – einfach weil ich es kann, einfach weil ich es habe, und du nicht.” Um die Polarisierung von Reichtum zu vermeiden, muss dieser Teil unter der wirtschaftlichen Wachstumsrate bleiben. Andernfalls erlaubt einem der reine Besitz von Geld, schneller noch reicher zu werden, als durch Investitionen in produktives Kapital. Man wird also schneller reich, wenn man besitzt, als wenn man produziert. In der Praxis ist das beinahe immer der Fall, weil die Verantwortlichen die Zinsraten anheben, wenn sich das Wirtschaftswachstum beschleunigt. Sie begründen das damit, dass Inflation verhindert werden muss, aber es ist auch ein Trick, mit dem der Reichtum und die Macht der Geldbesitzer vergrößert werden können.6 Ohne Umverteilungsmaßnahmen verstärkt sich die Vermögenskonzentration sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten.

Als allgemeine Regel gilt: „Je mehr Geld du hast, desto weniger dringend musst du es ausgeben.“ Daher hatten die Menschen schon seit dem antiken Griechenland das, was Keynes “Liquiditätspräferenz” nannte: Man hat lieber Geld als Waren, außer man braucht die Waren gerade dringend. Diese Präferenz ist unvermeidlich, wenn Geld zu einem universellen Mittel und einem universellen Zweck wird. Zinsen verstärken die Liquiditätspräferenz und regen an, dass die, die schon Geld haben, es behalten. Wer Geld jetzt braucht, muss denen, die im Augenblick kein Geld brauchen, etwas für die Benutzung ihres Geldes bezahlen. Diese Zahlung (Zinsen für einen Kredit) müssen aus künftigen Erträgen kommen. Das ist eine andere Möglichkeit zu verstehen, wie Zins das Geld von den Armen zu den Reichen schwemmt. Es mag angehen, dass man Zinsen für Investitionen rechtfertigen kann, die langfristig, nicht flüssig und riskant sind, weil solche Zinsen eigentlich eine Kompensation für die entgangene Liquidität sind. Das ist im Einklang mit den Prinzipien des Schenkens: Wenn man etwas schenkt, bekommt man oft ein noch größeres Geschenk zurück (aber nicht immer, und nie mit absoluter Sicherheit, also mit Risiko). Aber im derzeitigen System tragen selbst staatlich gesicherte Sichteinlagen und kurzzeitige risikofreie Staatspapiere Zinsen, was den “Investoren” einen Profit ermöglicht, obwohl sie praktisch das Geld für sich behalten. Die risikofreie Komponente wird bei allen anderen Krediten als versteckter Aufschlag dazugerechnet und garantiert, dass die Besitzenden mit der Zeit immer mehr bekommen.7

Der von mir beschriebene zweifache Druck – auf die Ausweitung der Geldsphäre und auf die Polarisierung von Reichtum – beruht auf zwei Aspekten derselben Kraft. Entweder wächst das Geld, indem es den noch nicht vom Geld beherrschten Bereich verschlingt, oder es frisst sich selbst auf. Wenn ersteres nicht mehr geht, verstärkt sich der Druck auf letzteres, und die Vermögenskonzentration nimmt zu. Wenn das passiert, erhöht sich ein anderer Druck, um das System zu retten: der Ruf nach Vermögensumverteilung. Denn eine sich immer weiter verschärfende Polarisierung von Reichtum und Elend geht nicht lange gut.

6.4 Vermögensumverteilung und Klassenkampf

Ohne eine Umverteilung des Reichtums ist bei einem Geldsystem, das auf Zinsen und Schulden basiert, soziales Chaos unvermeidlich – besonders, wenn sich das Wachstum abschwächt. Doch findet die Umverteilung des Reichtums immer gegen den Widerstand der Wohlhabenden statt, weil es ja ihr Reichtum ist, der umverteilt wird. Daher stellt die Wirtschaftspolitik einen Balanceakt zwischen der Umverteilung und dem Erhalt von Reichtum dar. Über die Zeit tendiert sie dazu, die Umverteilung möglichst gering zu halten, gerade hoch genug, um die soziale Ordnung zu wahren.

Regierungen, die in der linken Tradition stehen, versuchen üblicherweise, der Vermögenskonzentration durch Umverteilungsmaßnahmen entgegenzuwirken, zum Beispiel durch progressive Einkommenssteuern, Erbschaftssteuern, Sozialhilfeprogramme, hohe Mindestlöhne, öffentliche Gesundheitsversorgung, freie höhere Bildung und andere Sozialprogramme. Diese Maßnahmen haben eine umverteilende Wirkung, weil die Reichen unverhältnismäßig höher besteuert werden, aber die Ausgaben und Programme allen gleich nutzen oder sogar die Armen begünstigen. Sie wirken der in einem zinsbasierten System natürlichen Tendenz zur Vermögenskonzentration entgegen. Auf kurze Sicht zumindest laufen sie wider die Interessen der Reichen, und deshalb werden solche Maßnahmen im gegenwärtigen konservativen politischen Klima als Klassenkampf bezeichnet.

Bei Umverteilungsmaßnahmen in die andere Richtung scheinen die konservativen Regierungen Vermögenskonzentration als etwas Gutes zu sehen. Vielleicht sehen Sie das auch so , wenn Sie wohlhabend sind, weil Vermögenskonzentration dann mehr für Sie und weniger für alle anderen bedeutet: Die Angestellten sind billiger, und Ihr relativer Wohlstand, Ihre Macht und Ihre Privilegien sind größer.8 Regierungen, die den (kurzfristigen) Interessen der Reichen dienen, fordern daher das Gegenteil der zuvor erwähnten Maßnahmen: Einheitssteuer für Einkommen, Reduktion der Erbschaftssteuern, Kürzungen der Sozialprogramme, Privatisierung der Gesundheitsversorgung und so weiter.

In den 1930ern standen die USA und andere Länder vor der Wahl: entweder den Wohlstand durch Sozialausgaben und Reichensteuern sanft umzuverteilen oder die Vermögenskonzentration fortschreiten zu lassen bis an den Punkt, an dem die Revolution ausbricht, und es durch Gewalt zur Umverteilung kommt. Bis in die 1950er hatten die meisten Länder einen sozialen Kompromiss gefunden, der als New Deal bekannt wurde: Die Reichen konnten an der Spitze bleiben, aber sie mussten über Steuern einen Teil abgeben, der den Gewinn aus Kapitaleigentum ausgleichen sollte. Der Kompromiss funktionierte eine Zeit – solange nämlich das Wachstum hoch blieb, wie das bis in die 1970er der Fall war.

Diese sanfte Lösung brachte jedoch viele unerwünschte Folgen. Hohe Einkommenssteuern bestrafen jene, die viel verdienen, und nicht jene, die einfach nur viel besitzen. Sie führen auch zu einem ewigen Kampf zwischen den Steuerbehörden und den Bürgern, die meist irgendwelche Wege finden, um zumindest einigen Steuern zu entgehen und dafür zehntausende Rechtsanwälte und Steuerberater beschäftigen. Ist das eine sinnvolle Nutzung der menschlichen Ressourcen? Darüber hinaus ist es ein System, in dem wir mit einer Hand den Geldbesitzern geben, und ihnen mit der anderen wieder etwas wegnehmen.

In einem zinsbasierten System ist der Klassenkampf (unterdrückt oder offen ausgefochten) unvermeidlich. Die kurzfristigen Interessen der Eigentümer stehen im Widerspruch zu den Interessen der Schuldnerklasse. Zur Stunde, wo ich diese Zeilen schreibe, hat das Pendel zugunsten der Reichen ausgeschlagen. In den meisten westlichen Ländern haben ihre politischen Repräsentanten das in den 1930ern ausgearbeitete Gebilde aus Umverteilungsmaßnahmen und Sozialprogrammen auseinandergenommen. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verschleierte das hohe Wachstum eine Weile den inhärenten Klassenkampf, aber diese Zeiten sind vorbei. Solange sich das Geldsystem nicht grundlegend ändert, können wir davon ausgehen, dass sich der Klassenkampf in den kommenden Jahren verschärfen wird. Dieses Buch möchte dazu beitragen, dass sich die Regeln verändern, und dass die Grundlagen für den Klassenkampf endgültig abgeschafft werden.

Jetzt, wo der Gesellschaftsvertrag aus den 1930ern zusammenbricht, und die Schulden krisenhafte Dimensionen annehmen, werden radikalere Maßnahmen notwendig. In alten Zeiten wurde in manchen Gesellschaften mit periodischen Schuldenerlässen der Polarisierung von Reichtum entgegengewirkt. Beispiele sind unter anderem die von Solon veranlasste Seisachtheia, das “Abschütteln der Lasten”, durch das Schulden annulliert und Schuldsklaverei abgeschafft wurden, und das Jubeljahr bei den Hebräern.

“Alle sieben Jahre sollst du ein Erlassjahr halten. Also sollen aber zugehen mit dem Erlassjahr: wenn einer seinem Nächsten etwas borgte, der soll’s ihm erlassen und soll’s nicht einmahnen von seinem Nächsten oder von seinem Bruder; denn es heißt das Erlassjahr des Herrn.” (Deuteronomium 15:1-2).

Beide alten Bräuche waren radikaler als ein Konkurs, weil der Schuldner seinen Besitz und seine Sicherheiten behalten durfte. Unter Solon wurde das Land sogar seinen ursprünglichen Besitzern zurückgegeben.

Ein jüngeres Beispiel der Annullierung von Schulden war der teilweise Erlass der Auslandsschulden von verarmten, vom Unheil heimgesuchten Nationen. Beispielsweise strichen im Jahr 2008 der IWF, die Weltbank und die Interamerikanische Entwicklungsbank die Auslandsschulden von Haiti. Jahrzehntelang gab es auch eine breitere Bewegung, die sich für den generellen Schuldenerlass der Länder der Dritten Welt einsetzte, aber sie entwickelte bis jetzt wenig Zugkraft.

Eine verwandte Form von Umverteilung ist der Konkurs, bei dem einem Schuldner die Verpflichtungen erlassen werden, gewöhnlich nachdem das meiste seines Besitzes an die Gläubiger gefallen ist. Dennoch ist das ein Nominaltransfer des Vermögens vom Gläubiger an den Schuldner, weil dessen Eigentum geringer ist als die Schuld. In jüngster Zeit ist es in den USA immer schwieriger geworden, wirklichen Privatkonkurs anzumelden, weil die Gesetze (auf das Geheiß derjenigen, die die Kreditkarten ausgeben) umgeschrieben wurden, und die Schuldnerin jetzt in einen Zahlungsplan zwingen, der einen Teil ihres Einkommens der Kreditgeberin bis in ferne Zukunft überträgt.9 Zunehmend kann man den Schulden nicht mehr entkommen, es besteht eine lebenslange Forderung auf die Arbeit des Schuldners, der regelrecht zum Schuldsklaven wird. Anders als bei der Seisachtheia und beim Jubeljahr transferiert ein Konkurs Vermögen an den Gläubiger, der dann sowohl das materielle als auch das finanzielle Kapital kontrolliert. Der ehemalige Schuldner hat kaum eine andere Wahl, als weitere Schulden aufzunehmen. Konkurse sind nur ein Schluckauf im Prozess der Vermögenskonzentration.

Noch extremer ist die Ausschlagung von Schulden – also schlichtweg die Weigerung, eine Schuld zu bezahlen, oder Sicherheiten an den Gläubiger auszuliefern. Normalerweise kann der Gläubiger klagen und mit Hilfe der Staatsgewalt den Besitz des Schuldners pfänden lassen. Nur wenn das Rechtssystem und die Legitimität des Staates zu zerbröseln beginnen, ist die Ausschlagung von Schulden möglich.10 Solch ein Zusammenbruch entlarvt Geld und Eigentum als die sozialen Konventionen, die sie sind. Ohne die herkömmliche Interpretation von Symbolen ist Warren Buffett nicht reicher als ich, außer dass sein Haus ziemlich sicher größer ist. Und sogar das ist eine Frage der Konventionen, weil es ihm aufgrund eines Vertrags gehört.

Während ich das schreibe, ist die Ausschlagung von Schulden eigentlich keine Option für Privatpersonen. Für souveräne Staaten scheint die Sache ganz anders zu liegen. Theoretisch wäre es Ländern mit einer stabilen heimischen Wirtschaft und mit Ressourcen, die sie mit ihren Nachbarn tauschen können, möglich, einfach ihre Auslandsschulden ausfallen lassen. In der Praxis machen sie das selten. Demokratische oder nicht-demokratische Herrscher bilden meist Allianzen mit der globalen Finanzelite und werden dafür reichlich belohnt. Wenn sie sich widersetzen, müssen sie mit allen erdenklichen Feindseligkeiten rechnen. Die Presse wendet sich gegen sie, die Aktienmärkte wenden sich gegen sie, sie werden als “unverantwortlich”, “links” oder “undemokratisch” bezeichnet. Ihre politische Opposition erfährt Unterstützung durch die globalen Machthaber, und sie könnten sogar zum Ziel eines Staatsstreichs oder einer Invasion werden. Jede Regierung, die sich der Umwandlung ihres sozialen und natürlichen Kapitals in Geld widersetzt, wird unter Druck gesetzt und abgestraft. Das passierte in Haiti, als Aristide sich den neoliberalen Maßnahmen widersetzte und 1991 und nochmals 2004 geputscht wurde. Es passierte 2009 in Honduras. Es ist viele hunderte Male passiert, rund um die Welt. (Es scheiterte in Kuba und zuletzt in Venezuela, die bis jetzt vor einer Invasion gefeit blieben.) Erst vor kurzem, im Oktober 2009, konnte in Ecuador ein Staatsstreich nur knapp vereitelt werden. Ecuador – das Land, das sich 2008 weigerte, 3,9 Milliarden Dollar zu zahlen, und das die Schulden danach zu 35 Cents pro Dollar restrukturierte. Das ist das Schicksal jeder Nation, die der Schuldenherrschaft die Stirn bietet.

Der Ex-Ökonom John Perkins beschreibt die Grundstrategie in Bekenntnisse eines Economic Hit Man11: erst Bestechung der Herrschenden, dann Drohungen, dann ein Putsch, und wenn alles andere scheitert, eine Invasion. Ziel ist es, das Land dazu zu bringen, Kredite aufzunehmen und diese zurückzuzahlen – es soll sich verschulden und verschuldet bleiben. Bei Einzelpersonen und Staaten beginnen die Schulden oft mit einem Großprojekt (einer Hausrenovierung, einer Universitätsausbildung oder einem Flughafen, einer Autobahn, einem Hochhaus etc.), das große künftige Erträge verspricht, aber in Wirklichkeit nur außenstehende Kräfte bereichert und die Schuldenfalle zuschnappen lässt. Die Herrschaftsinstrumente in früheren Zeiten waren Militärmacht und erzwungene Abgaben. Heute ist es die Schuld. Schuld zwingt Nationen und Einzelne dazu, ihre Produktivität dem Geld zu unterwerfen. Einzelne verraten ihre Träume und rackern sich in irgendwelchen Jobs ab, um mit ihren Schulden Schritt halten zu können. Staaten zerstören vorhandene Subsistenzlandwirtschaft und lokale autonome Strukturen (die keine Devisen bringen) und forcieren statt dessen den Export von Futtermitteln und Agrarerzeugnissen und die Produktion von Massenwaren in Sweatshops (was Devisen bringt).12 Haiti ist seit 1825 verschuldet. Damals verlangte Frankreich eine Entschädigung für den Verlust von Eigentum (sprich: von Sklaven) während des Sklavenaufstands 1804. Wann wird Haiti seine Schuld abgezahlt haben? Nie.13 Wann wird eines der Dritte Welt Länder seine Schulden abbezahlt haben und seine Produktivität für seine eigene Bevölkerung verwenden? Nie. Wann werden die meisten von Ihnen ihre Studienkredite, Kreditkartenschulden und Hypotheken abbezahlt haben? Nie.

Die Zeit der Ausschlagung von Schulden (sei es auf persönlicher oder staatlicher Ebene) könnte näher sein, als wir denken. Die Rechtmäßigkeit des Status quo wird wird immer fragwürdiger, und wenn sich erst einmal einige wenige Schuldner weigern, zurückzuzahlen, wird der Rest geschlossen folgen. Es gibt sogar eine solide gesetzliche Basis für die Ausschlagung: das Prinzip der Odious Debts (deutsch: „verabscheuungswürdige Schulden“, auch „Diktatorenschulden“, Anm. d. Ü.) welches besagt, dass betrügerische Schulden ungültig sind. Staaten können Schulden anfechten, die von Diktatoren aufgenommen wurden, welche mit Kreditgebern konspirierten, um sich selbst und ihre Kumpanen zu bereichern, und nutzlose Großprojekte anordneten, die dem Land nicht nutzten. Einzelpersonen können Konsum- und Hypothekenkredite anfechten, die ihnen durch eine irreführende Kreditvergabepraxis verkauft wurden. Vielleicht kommt bald die Zeit, in der wir alle unsere Lasten abschütteln.

6.5 Inflation

Ein letzter Weg der Vermögensumverteilung ist die Inflation. Dem Schein nach ist Inflation eine Form von versteckter partieller Schuldentilgung, weil sie ermöglicht, dass Schulden in einer Währung zurückgezahlt werden, die weniger wertvoll ist, als sie es zu dem Zeitpunkt war, als der Kredit aufgenommen wurde. Sie ist eine ausgleichende Kraft, die sowohl den Wert von Geld als auch jenen der Schuld über die Zeit verkleinert. Die Dinge liegen aber nicht ganz so einfach. Erstens wird die Inflation meist von steigenden Zinssätzen begleitet, weil sowohl die Währungsbehörden die Zinsraten erhöhen, um “die Inflation zu bekämpfen”, und weil potentielle Kreditgeber sonst eher in inflationsgesicherte Waren investieren würden, als ihr Geld zu Zinssätzen zu verleihen, die unter der Inflationsrate liegen.14

Die gängige Wirtschaftswissenschaft besagt, dass ein Zuwachs der Geldmenge ohne ein entsprechendes Wachstum des Warenangebots zu Inflation führt. Wie soll aber sonst die Geldmenge erhöht werden? Zwischen 2008 und 2009 senkte die Federal Reserve die Zinssätze fast auf null und erhöhte drastisch die Geldbasis, ohne irgendeine wahrnehmbare Inflation zu verursachen. Das lag daran, dass die Banken nicht mehr Kredite vergaben, durch die das Geld erst in die Hände von Menschen und Unternehmen gelangt, die es ausgeben. Statt dessen lag das ganze neue Geld als Überschussreserven in den Banken oder schwappte auf die Aktienmärkte. Daher stiegen die Aktienpreise zwischen März und August 2009.15

Kein Wunder, dass ohne kreditwürdige Schuldner und ohne Wirtschaftswachstum auch die niedrigen Zinssätze die Kreditvergabe kaum ankurbeln konnten. Selbst wenn die Fed jede Staatsanleihe am Markt aufgekauft und dadurch die Geldmenge auf das Zehnfache erhöht hätte, wäre es dennoch zu keiner Inflation gekommen. Damit es zur Inflation kommen kann, muss das Geld in den Händen derer liegen, die es ausgeben. Ist Geld, das keiner ausgibt, immer noch Geld? Ist Geld, das ein Geizkragen in einem Loch vergräbt und vergisst, immer noch Geld?16 Unsere nach abstrakten Gesetzen funktionierenden Institutionen sehen Geld als ein Ding. Eigentlich ist Geld eine Beziehung. Wenn es sich in wenigen Händen konzentriert, verlieren wir an Beziehungen und sind weniger mit den Dingen verbunden, die das Leben ermöglichen und bereichern.

Im Sanierungsprogramm der Fed wurde das Geld überwiegend in die Hände der Banken gelegt, wo es auch blieb. In Zeiten wirtschaftlicher Rezession ist es notwendig, die private Kreditschöpfung nach dem Motto “Du sollst nur dann Zugang zu Geld haben, wenn du noch mehr davon produzierst” zu umgehen, damit das Geld zu denjenigen gelangt, die es ausgeben. Das wird hauptsächlich über Steueranreize, also Staatsausgaben erreicht. Diese Ausgaben wirken in der Tat potentiell inflationär. Warum ist Inflation schlecht? Keiner sieht gern die Preise steigen, aber was schadet das, wenn die Einkommen gleich schnell steigen? Den Schaden haben nur jene Menschen, die Ersparnisse haben; wer Schulden hat, profitiert sogar. Was die Menschen fürchten, ist Preisinflation ohne Lohninflation. Wenn sowohl die Preise als auch die Gehälter steigen, dann ist die Inflation eigentlich eine Steuer auf untätiges Geld und führt zur Umverteilung von Wohlstand weg von den Reichen – ein Gegenspieler der Zinsen.17 Wir werden später auf diesen nützlichen Aspekt von Inflation zurückkommen, wenn wir uns die Negativzinsgeldsysteme ansehen.

Die Standardtheorie besagt, dass der Staat Inflationsausgaben entweder über Besteuerung oder öffentliche Verschuldung finanzieren kann. Warum sollten steuerfinanzierte Ausgaben inflationär wirken? Durch sie wird doch nur Geld von manchen Menschen genommen und anderen gegeben. Sie wirken nur dann inflationär, wenn Geld von den Reichen zu den Armen (also zu denen, die es schnell ausgeben) transferiert wird. Aus dem selben Grund wirkt auch öffentliche Verschuldung nur dann inflationär, wenn das Geld an jene geht, die es ausgeben, und nicht an jene, die das nicht tun (zum Beispiel die großen Banken). In beiden Fällen ist Inflation mehr eine Folge oder ein Symptom der Umverteilung des Reichtums, als ein Mittel, um diese zu erreichen.18

Inflation ist also auch eine Form der Umverteilung von Reichtum und muss wie die anderen, offensichtlicheren, auch als solche gesehen werden. Es ist kein Zufall, dass die politisch Konservativen – traditionell die Hüter der Reichen – die eifrigsten Bekämpfer von Defiziten sind. Sie sind gegen Defizitfinanzierung, die das Geld in die Hände derer legt, die schulden, nicht derer, die besitzen. Gelingt ihnen das nicht, und hat eine Defizitfinanzierung schon stattgefunden, dann fordern sie Einsparungen, die Anhebung der Zinssätze und die Rückzahlung öffentlicher Schulden, was im Grunde eine Umverteilung in die andere Richtung ist. Sie argumentieren mit dem drohenden Gespenst der Inflation, selbst wenn es gar keine Anzeichen für Inflation gibt.

Im Prinzip kann jede Regierung mit einer unabhängigen Währung ohne Besteuerung unbegrenzte Mengen an Geld schöpfen, einfach, indem sie es druckt oder die Zentralbank zwingt, Anleihen ohne Zinsen aufzukaufen. Ja, das wäre inflationär: Gehälter und Preise würden ansteigen, und der relative Wert von verwahrtem Reichtum würde sinken. Dass Regierungen statt dessen verzinste Wertpapiere verwenden, um Geld zu schöpfen, ist ein Schlüsselindikator für die Natur unseres Geldsystems. Hier im Herzen der souveränen Macht einer Regierung wird Tribut an die Geldbesitzenden gezollt.

Warum sollte eine Regierung den Wohlhabenden für das souveräne Privileg, eine Währung auszugeben, Zinsen zahlen? Seit alten Zeiten wurde das Recht, Münzen auszugeben, als eine heilige oder politische Funktion betrachtet, die eine Position von gesellschaftlicher Macht etablierte. Es ist klar, wo diese Macht heute ruht. “Gebt mir die Kontrolle über die Währung einer Nation, und es ist mir gleichgültig, wer die Gesetze macht!” sagte Mayer Amschel Rothschild. Heute dient das Geld dem Privatvermögen. Genau das ist das fundamentale Prinzip von Wucher. Aber das Zeitalter des Wuchers neigt sich dem Ende zu. Bald soll Geld einem anderen Herrn dienen.

6.6 Mehr für dich ist weniger für mich

Die systemischen Ursachen für die in unserer Zeit so allgegenwärtige Gier, Konkurrenz und Angst widersprechen so manchen esoterischen Lehren, über die ich immer wieder stolpere: dass “Geld nur eine Form von Energie” sei, dass “jeder Geld im Überfluss“ haben könne, wenn er nur „eine Geisteshaltung der Fülle“ einnähme. Wenn uns New-Age-Lehrer auffordern, „die uns einschränkenden Glaubenssätze rund ums Geld aufzugeben“, “das Mangelbewusstsein abzuschütteln”, “uns dem Fluss der Fülle zu öffnen”, oder wenn sie uns erzählen, dass wir durch die Kraft positiven Denkens reich werden können, vergessen sie eine wichtige Sache. Ihre Ideen haben einen berechtigten Kern: die Erkenntnis, dass die Knappheit in unserer Welt ein Artefakt unseres kollektiven Glaubens und keine unumstößliche Wahrheit ist. Aber das ist grundsätzlich nicht mit dem heutigen Geldsystem vereinbar.

Hier ein eloquentes Beispiel für diese Denkweise aus dem Buch Die Seele des Geldes von Lynne Twist:

Geld ist weder schlecht noch gut, Geld an sich hat weder Macht, noch hat es keine. Es ist unsere Interpretation von Geld, unserer Art damit umzugehen, die ins Verderben führt. Darin liegt für uns eine reale Möglichkeit, uns selbst kennenzulernen und eine persönliche Transformation zu vollziehen.19

Lynne Twist ist eine visionäre Philanthropin, die Viele dazu angeregt hat, Geld für gute Zwecke zu verwenden. Aber können Sie sich vorstellen, wie diese Worte für jemanden klingen, der ganz verzweifelt dringend Geld braucht? Ich erinnere mich noch gut daran, wie ärgerlich ich war, als ich vor ein paar Jahren pleite war und mir wohlmeinende Freunde erzählten, dass mein Problem das “Mangelbewusstsein” sei. Wenn die Wirtschaft eines ganzen Landes wie in Lettland oder Griechenland zusammenbricht, und Millionen in Konkurs gehen, sollen wir dann alles auf ihre innere Einstellung schieben? Was ist mit armen, hungernden Kindern – haben auch sie ein Mangelbewusstsein?

Später in ihrem Buch beschreibt Twist schädliches Knappheitsdenken wie folgt:

“Es ist wie bei dem Kinderspiel ‘Die Reise nach Jerusalem’, wo es immer einen Stuhl weniger als Mitspielende gibt. Du konzentrierst dich darauf, nicht zu verlieren und nicht derjenige zu sein, der am Ende der Rauferei ohne Sitz übrig bleibt.”20

Aber wie ich beschrieben habe, ist das Geldsystem ein Reise-nach-Jerusalem-Spiel, ein verrücktes Gerangel, in dem einige notwendigerweise leer ausgehen. Auf einer tieferen Ebene liegt Twist aber richtig. Sie hat insofern recht, als das Geldsystem ein Auswuchs unserer Geisteshaltung der Knappheit ist – einer Einstellung, die auf einem noch tiefer liegenden Fundament beruht: den Gründungsmythen und Ideologien unserer Zivilisation, die ich Die Geschichte des Selbst und Die Geschichte der Welt nenne. Aber wir können nicht nur unsere Einstellungen über Geld ändern, wir müssen auch das Geld selbst ändern, das doch materieller Ausdruck unserer Geisteshaltung ist. Schließlich ist die Arbeit an uns selbst nicht zu trennen von der Arbeit an der Welt. Das eine spiegelt sich im anderen, und jedes ist ein Vehikel für das andere. Wenn wir uns selbst ändern, müssen sich auch unsere Werte und unser Tun ändern. Wenn wir an der Welt arbeiten, steigen auch innere Angelegenheiten herauf, denen wir uns stellen, oder mit denen wir umzugehen lernen müssen. So kommt es, dass an der planetarischen Krise auch eine spirituelle Dimension erkennbar wird, die, wie Andrew Harvey es nennt, einen „Heiligen Aktivismus“ erfordert.

Unser heutiges Geldsystem ist Ausdruck des Mangelbewusstseins, das in unserer Zivilisation jahrhundertelang vorherrschte. Wenn sich unsere Einstellung ändert, wird sich auch das Geldsystem ändern, um das neue Bewusstsein zu repräsentieren. In unserem momentanen Geldsystem ist es mathematisch unmöglich, dass mehr als ein kleiner Teil der Menschen in Fülle lebt, weil die Geldschöpfung eine systemische Knappheit aufrechterhält. Der Reichtum des einen ist die Armut des anderen.

Eines der Prinzipien von “prosperity programming21 ist es, das Schuldgefühl loszulassen, das entsteht, wenn man denkt, dass man selbst nur reich sein kann, wenn ein anderer arm ist („mehr für mich ist weniger für dich“). Das Problem: Im heutigen Geldsystem ist das so! Mehr für mich ist weniger für dich. Die Geldsphäre wächst auf Kosten der Natur, der Kultur, der Gesundheit und der Spiritualität. Unser Schuldgefühl im Zusammenhang mit dem Geld ist durchaus berechtigt. Gewiss, wir können mit Geld schöne Dinge machen, würdige Organisationen unterstützen und edle Zwecke fördern, aber wenn wir es mit diesen hehren Absichten im Kopf darauf anlegen, Geld zu verdienen, geben wir gewissermaßen mit der einen Hand, was wir mit der anderen Hand weggenommen haben.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich will Sie nicht davon abhalten, sich dem Fluss der Fülle zu öffnen. Ganz im Gegenteil, denn wenn das genug Menschen tun, wird sich das Geldsystem ändern, um der neuen Sichtweise zu entsprechen. Das heutige Geldsystem beruht auf der Basis von Getrenntheit. Das ist zugleich Auswirkung und Ursache unserer Selbstwahrnehmung als einzelne und getrennte Subjekte in einem Universum des Anderen. Uns der Fülle zu öffnen kann nur funktionieren, wenn wir diese Identität loslassen, und uns dem Reichtum unserer wahren, Existenz in Verbundenheit öffnen. Diese neue Identität will nichts mit Wucher zu tun haben.

Hier ein extremes Beispiel, das den Fehler im “prosperity programming” und indirekt im gegenwärtigen Geldsystem zeigt. Vor einigen Jahren stellte mir eine Frau eine ganz besondere Organisation namens “Gifting” (“Schenken”) vor, der sie beigetreten war. Das funktionierte so: Sie “schenken” der Person, die Sie eingeladen hat, $10 000. Dann finden Sie vier Menschen, die Ihnen jeder $10 000 “schenken”, und dann geht jeder von ihnen hinaus und stellt vier weiteren das “Geschenk-” Konzept vor, welche jeder dann jene mit $10 000 “beschenken”. Am Schluss hat also jeder $30 000. In der Broschüre wurde erklärt, dass dies eine Manifestation der universellen Fülle sei. Sie erforderte nichts weiter als die richtige expansive Geisteshaltung. Ich brauche nicht zu sagen, dass ich mir diese Gelegenheit natürlich nicht entgehen ließ. War nur ein Scherz. Stattdessen fragte ich die Frau: “Aber nimmst du damit nicht nur deinen Freunden Geld weg?”

“Nein,” antwortete sie, “weil die ja auch am Ende $30 000 haben werden – solange sie auch fest an die Prinzipien des `Schenkens´ glauben.”

“Aber auch sie werden das Geld wieder von ihren Freunden nehmen. Am Ende werden uns die Leute ausgehen, und der letzte, der dazugekommen ist, wird $10 000 verlieren. Du nimmst es ihnen im Grunde weg, stiehlst es ihnen, und verwendest schöne Worte dafür.”

Sie mögen jetzt überrascht sein, aber ich habe von dieser Frau nie wieder etwas gehört. So wie sie sich empörte und meinen Vorwurf bestritt, verhalten sich auch die Nutznießer der Geldökonomie im Ganzen, die eine strukturelle Ähnlichkeit zu diesem Pyramidenspiel aufweist. Um das zu veranschaulichen: Stellen Sie sich vor, dass jede Eintrittsgebühr von $10 000 als verzinste Schuld erzeugt worden ist (was sie eigentlich auch stimmt). Sie müssen mehr Menschen unter sich bringen, oder Sie verlieren Ihren Besitz. Der einzige Weg, wie diejenigen, die „ganz unten“ sind, Armut vermeiden können, ist, dass sie noch mehr Menschen finden, um Geld in die Wirtschaft zu ziehen, zum Beispiel durch Kolonialisierung – ähem, ich wollte sagen: durch „die Öffnung neuer Märkte für den Freihandel” – und durch Wirtschaftswachstum (die Umwandlung von Beziehungen, Kultur, Natur und so weiter in Geld). Das verzögert das Unvermeidliche, und das Unvermeidliche – eine verstärkte Ungleichverteilung von Reichtum – zeigt seine hässliche Fratze, wann immer sich das Wachstum verlangsamt. Die Menschen, die am Schluss Schulden haben, müssen sie abbezahlen: es gibt keinen, dem sie das Geld nehmen können und nichts, das in Geld umgewandelt werden kann. Das ist, wie wir sehen werden, die Wurzel der ökonomischen, sozialen und ökologischen Krise, die unsere Zivilisation heute zu meistern hat.

1Ich habe bewusst Mechanismen ausgelassen, die die Fähigkeit der Banken begrenzen, Darlehen zu verlängern (wie die Hinterlegungs pflicht, Eigenkapitalanforderungen und so weiter), weil die nicht unmittelbar für die Erörterung von Zinsen in diesem Kapitel relevant sind.

2Bernard A. Lietaer: Das Geld der Zukunft – Über die destruktive Wirkung des existierenden Geldsystems und die Entwicklung von Komplementärwährungen. Riemann, München 1999

3Sie erleben eigentlich gerade ein verdecktes Comeback in den USA, weil Menschen ins Gefängnis geschickt werden, wenn sie einer Gerichtsladung wegen der Nichtbezahlung von Schulden nicht Folge leisten. Siehe Martha C. White “America’s New Debtor Prison: Jail Time Given to Those Who Owe.” www.walletpop.com/blog/2010/07/15/americas-new-debtor-prison-jail-time-being-given-to-those-who/.

4Selbst nachdem es offensichtlich wurde, dass diese auf Schulden basierenden Vermögenswerte Müll sind, und dass die Schulden niemals zurückgezahlt werden, tun die Obrigkeiten ihr Bestes, diese Tatsache zu verschleiern und sie zum Nominalwert beizubehalten.

5Eigentlich besteht Zins nicht aus “Komponenten” (das ist eine analytische Annahme), aber wir können so tun als ob. Meistens werden nur drei oder fünf Komponenten angegeben. Ich werde hier nur für die wichtigste, den Aufschlag für den risikofreien Zinssatz, eine Definition geben (die anderen können Sie selbst nachschlagen). Dieser entspricht dem Zinssatz von US Staatsanleihen mit kurzer Laufzeit (“T-Bills”), die eigentlich kein Risiko haben, und volle Liquidität sichern. Man könnte natürlich sagen, dass es hier auch ein Risiko gibt, aber wenn die Dinge so schlimm stehen, dass sogar die US Regierung kein Geld mehr drucken kann, dann ist kein Anlagenwert mehr sicher.

6Das neue Instrument, mit dem die Zinsrate über der Wachstumsrate gehalten wird, ist die neue Befugnis der Fed, Zinsen auf Bankreserven anzubieten. Jetzt sind sie zwar fast null, aber die Fed plant diese Sätze später anzuheben, wenn die Wirtschaft zu wachsen beginnt (siehe z.B.: Todd Keister und James McAndrews: Why Are Banks Holding So Many Excess Reserves? Federal Bank of New York Staff Report no. 380, Juli 2009). Das wird sicherstellen, dass jedes durch Wirtschaftswachstum neu geschaffene Vermögen eben den Banken und Wertpapierinhabern zugute kommen wird, die von den großzügigen Liquiditätsspritzen der Fed profitierten.

7In den vergangenen Jahren hat sich die Situation verschlimmert, weil die Kategorie der risikofreien Investitionen stark expandiert ist und nun alle Arten von Finanzmüll umfasst, den zu decken die Regierung beschlossen hat. Indem die Regierung für die Zahlungsfähigkeit der Finanzinstitutionen und die Liquidität ihrer finanziellen Angebote garantiert, hat sie effektiv die risikofreien Prämien für Geldbesitz erhöht und die Vermögenskonzentration beschleunigt. Jetzt ist nicht mehr die Federal Funds Rate oder die T-Bills Rate der Richtwert für risikofreie Zinsen. Das Konzept von Moral Hazard ist im Zusammenhang mit den Finanzinstitutionen aufgekommen, die systemrelevant sind (“too big to fail”), aber es ist nicht nur eine Frage der Moral. Wenn riskante hochverzinste Wetten eigentlich gar nicht riskant sind, dann werden jene, die das Geld haben, diese abschließen und ihr Vermögen viel schneller vermehren, als jeder andere (und auf deren Kosten). Moral Hazard steht für den kürzesten Weg zu extremer Vermögenskonzentration.

8Man müsse das Geld nur in die Hände der Wohlhabenden geben, um mehr Investitionen, mehr Jobs und Wohlstand für alle zu erreichten – dieses Argument der Konservativen stimmt nur dann, wenn die Gewinne auf so investiertes Kapital größer sind, als die aktuelle Zinsrate auf risikofreie Finanzinvestments. Wie die unaufhörliche Vermögenskonzentration in Abwesenheit von Umverteilungsmaßnahmen zeigt, sind solche Umstände selten, und sie werden immer seltener, wenn wir uns den Grenzen des Wachstums nähern.

9Darüber hinaus wird man von manchen Schulden (wie Studienkrediten oder Steuerschulden) auch durch einen Konkurs nicht entbunden.

10Es gibt Anzeichen für einen solchen Zusammenbruch, und zwar 2010 in der Krise der Hypothekendokumentation. Hier wurden die Übereinkünfte, die einer Hypothek zugrunde liegen, in Frage gestellt. Hypotheken waren in so viele kleine Stücke zerschlagen worden, dass es schwierig wurde, zu beweisen, wer eigentlich der Eigentümer des Grundstücks war. Das Gebäude aus Verträgen, Gesetzen, Regulierungen und der Dokumentationspraxis begann unter der Last seiner eigenen Komplexität zusammenzubrechen.

11John Perkins: Bekenntnisse eines Economic Hit Mann – Unterwegs im Dienst der Wirtschaftsmafia. Verlag Riemann, München 2005.

12Nicht zufällig vergibt die Weltbank landwirtschaftliche Kredite nur für den Ausbau von Exporterzeugnissen. Agrarprodukte für den heimischen Konsum bringen keine Devisen, mit denen Schulden bedient werden können.

13Nachdem dieses Kapitel geschrieben war, wurden die Auslandsschulden von Haiti von einer Welt annulliert, die mit der Misere infolge des Erdbebens Mitleid hatte. Jetzt hat das Land ungebundene Einkommen und Vermögen – das perfekte Ziel für die Absicherung neuer Kreditschulden.

14Außerdem haben viele Kredite heute variable Zinssätze, die oft der Inflation angepasst werden (es gibt jetzt sogar inflationsgesicherte Staatsanleihen.)

15Zwischen Juli und August 2009 verdoppelte sich die Geldbasis von $838 Milliarden auf $1.6 Billiarden, aber M1 stieg um weniger als 20%, und M2 um weniger als 10%. M1 und M2 sind eigentlich ein recht genaues Maß für die Geldmenge, aber die Fed veröffentlicht keine Statistiken über die umfassendere M3. Manche außenstehenden Ökonomen versuchen immer noch, sie zu messen. John Williams (www.shadowstats.com ) zum Beispiel schätzt das Wachstum von M3 auf etwa 5% in der selben Zeit. Bis heute, wo ich dieses Kapitel schreibe (2010), macht die Stagnation des Geldmengenwachstums keine Anstalten, nachzulassen.

16Ökonomen versuchen dieser Frage mit dem Konzept der “Umlaufgeschwindigkeit” von Geld beizukommen. Wie im Anhang erklärt, kann die Unterscheidung zwischen Geldmenge und Umlaufgeschwindigkeit bei genauerer Untersuchung nicht aufrechterhalten werden.

17Inflation hat manch andere negativen Effekte, wie zum Beispiel den Speisekarteneffekt (weil Preise ständig verändert werden müssen), buchhalterische Schwierigkeiten und anderes. Eine sehr hohe Inflation bei vergleichsweise niedrigen Lagerkosten für Waren kann zum Horten führen. Diese Überlegungen spielen eine Rolle bei der Diskussion über Negativzinsgeldsysteme.

18Die einzige nicht aus Reichtumsumverteilung resultierende Art von Inflation entsteht, wenn es im Krieg oder durch ein Embargo zu Engpässen von Waren kommt. In diesem Fall – der manchmal zu Hyperinflation führt – gibt es keinen ausgleichenden Effekt, weil die Reichen einfach inflationssichere Waren horten.

19Lynne Twist: Die Seele des Geldes – Verwandle deine Beziehung zum Geld und zum Leben! Verlag am Goetheanum, 2005.

20Ebd.

21Anm. d. Ü. auf Deutsch in etwa: „Wohlstand/Erfolg Programmieren“

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