Würden jene, die zuerst in den Himmel kommen, auch dort so wie auf der Erde alles zum Privateigentum erklären und es sich als Parzellen untereinander aufteilen – wäre das dann noch der Himmel?
(Henry George)
Der Mensch ist nicht der Schöpfer der Erde. Obwohl er natürlich das Recht hat, sie zu bewohnen, hat er jedoch nicht das Recht, einen Teil davon als sein Eigentum bis in alle Ewigkeit zu beanspruchen: Der Schöpfer der Erde hat ja auch kein Landvergabebüro eröffnet, um dort die ersten Besitzurkunden auszustellen.
(Thomas Paine)
Hinter uns liegt das Zeitalter der Getrenntheit. Unsere Verbindungen zu Gemeinschaft, Natur und Umgebung sind verloren gegangen, und hier stehen wir jetzt, allein in einer fremden Welt. Der Verlust dieser Beziehungen ist mehr als eine Einschränkung unseres Reichtums, er beeinträchtigt unser Sein schlechthin. Die Verarmung, die wir fühlen, so abgeschnitten von der Gemeinschaft und abgeschnitten von der Natur, ist eine Verarmung unserer Seelen. Das liegt daran, dass wir eben nicht einzelne und voneinander unabhängige Wesen sind, die nur Beziehungen zueinander haben. Von dieser Annahme gehen zwar Wirtschaft, Biologie, politische Philosophie, Psychologie und institutionalisierte Religionen aus, tatsächlich aber sind wir Beziehung.
Einmal hörte ich Martin Prechtel über sein Dorf in Guatemala erzählen. Er erklärte: “Wenn du in meinem Dorf mit einem kranken Kind zum Medizinmann gehst, würdest du niemals sagen: `Ich bin gesund, aber mein Kind ist krank.´ Du würdest sagen: `Meine Familie ist krank.´ Oder wenn es dein Nachbar wäre, würdest du sagen: `Mein Dorf ist krank.´” Zweifellos wäre es undenkbar in einer solchen Gesellschaft zu sagen: “Ich bin gesund, aber der Wald ist krank.” Zu glauben, irgend jemand könnte gesund sein, während ihre Familie, ihr Dorf, oder im Grunde auch das Land, das Wasser oder der Planet es nicht sind, wäre genauso absurd wie zu sagen: “Ich habe eine tödliche Lebererkrankung, aber das ist nur meine Leber – ich bin gesund!” So wie mein Selbstverständnis auch meine Leber einschließt, umfasst das Selbstverständnis der Menschen in Guatemala auch ihre Gemeinschaft mit den Mitmenschen und ihrer Umwelt.
Im Gegensatz dazu ist das moderne Individuum ein eigenständiges und abgegrenztes Subjekt umgeben von einem Universum bestehend aus dem Anderen, dem Fremden. Dieses Individuum ist bei Adam Smith der homo oeconomicus, in der Religion die Seele, die den Körper bewohnt, und in der Biologie das egoistische Gen. Das ist es, was den konvergierenden Krisen unserer Zeit zugrunde liegt. Sie sind allesamt Variationen über das Thema Getrenntheit – Getrenntheit von der Natur, von der Gemeinschaft, von verlorenen Teilen unserer selbst. Sie ist es, die all den üblichen Verdächtigen wie der Gier oder dem Kapitalismus zugrundeliegt, die wir üblicherweise als Ursachen für die fortlaufende Zerstörung der Umwelt und des Gemeinwesens verantwortlich machen. Zu unserem Selbstverständnis gehört die Denkhaltung “mehr für mich ist weniger für dich”, also haben wir ein zinsbasiertes Geldsystem, das genau nach diesem Prinzip funktioniert. In älteren Gesellschaften, die auf Schenkwirtschaft basierten, war das Gegenteil der Fall.
Das Verlangen zu besitzen, entsteht als eine natürliche Reaktion auf eine Ideologie der Entfremdung, die unsere Verbundenheit durchtrennt und uns allein im Universum zurücklässt. Wenn wir in unserem Selbstverständnis die Welt um uns herum ausschließen, dann hat das winzige, einsame Ich, das übrig bleibt, ein unstillbares Bedürfnis danach, so viel wie möglich von dieser verlorenen Seinsweise für sich zu fordern. Wenn die ganze Welt, wenn alles Leben, alles Land nicht länger Teil von mir ist, kann ich das zumindest kompensieren, indem ich es zu meinem Eigentum mache. Andere verstümmelte Ichs machen dasselbe, und so kommt es, dass wir in einer Welt der Konkurrenz und der allgegenwärtigen Angst leben. Das ist Teil einer solchen Art von Selbstverständnis. Das ist die Unvollständigkeit unserer Existenz, das Defizit unserer Seele, in das wir hineingeboren werden.
Im Spiegelkabinett der Logik von “ich” und “mein” versuchen wir zumindest einen kleinen Teil unseres verlorenen Reichtums zurückzugewinnen, indem wir danach trachten, das vereinzelte Ego und seine materiellen Auswüchse – Geld und Eigentum – zu erweitern und zu schützen. Wer nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten hat, sein Ego aufzublähen, bläht oft seine körperlichen Dimensionen auf; das ist einer der Gründe, warum Fettleibigkeit überproportional häufig die unteren Schichten betrifft. Kaufsucht oder Sucht nach Geld haben dieselbe Grundursache wie die Sucht nach Essen: Sie entstehen aus Einsamkeit und aus dem Schmerz nur noch vor uns hin zu existieren und von fast allem abgeschnitten zu sein, was uns eigentlich ausmacht.
Angesichts der Minenfelder, Rodungen, Todeszonen, Genozide, der minderwertigen Konsumkultur… was ist der Ursprung dieser monströsen Maschine, die Schönheit verschlingt und Geld ausspuckt? Das eigenständige und abgegrenzte Ich, das einem fundamental fremden Universum gegenübersteht, behandelt automatisch die Natur und die Mitmenschen als Ansammlung zufällig vorhandener, verwertbarer Objekte. Der Rest der Welt ist grundsätzlich „Nicht-Ich“.1 Warum sollten wir uns in einem Ausmaß darum kümmern, das über die potentielle Nützlichkeit für uns selbst hinausgeht? So kam es auch, dass Descartes, ein Pionier unseres modernen Selbstverständnisses, das Ziel formulierte, dass wir die “Herren und Eigner” der Natur werden sollten. Das zweite Wort zeigt klar, dass die Idee von Eigentum ganz natürlich auftaucht, wenn sich das Ich als getrennt von der Welt begreift.
Unsere starre, enge Unterscheidung zwischen selbst und fremd hat ihr Ende erreicht, sie fällt ihren eigenen Voraussetzungen zum Opfer. Die Mystiker erkannten schon, dass das abgetrennte Ich nur eine Zeit lang und mit großen Kosten aufrecht erhalten werden kann. Und wir haben es eine lange Zeit aufrechterhalten. Wir haben sogar eine Zivilisation auf diesem Konzept aufgebaut, deren Ziel die Eroberung der Umwelt und der Natur des Menschen ist. Die gegenwärtige Konvergenz der Krisen zeigt wie aussichtslos dieses Unterfangen ist. Sie zeigt, dass das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen, erreicht ist. Eine neue Form der menschlichen Existenz ist im Entstehen, die durch ein fließenderes und umfassenderes Selbstverständnis gekennzeichnet ist.
Wo liegt der Ursprung von Besitzdenken? Einer Theorie zufolge haben sich aus dem gemeinschaftlichen Denken, das in den Stammesgesellschaften vorherrschte, erst langsam Ideen von Autonomie oder Souveränität des Individuums entwickelt. Charles Avila beschreibt die zugrunde liegende Logik so: “Wenn ich mein eigener Herr bin und selbst über meine Arbeitskraft verfüge, dann gehört mir auch, was ich produziere.“2 Die ideologische Voraussetzung für jedes Besitzdenken ist, dass “ich mir gehöre”. Diese Vorstellung ist keineswegs selbstverständlich in menschlichen Gemeinschaften. In anderen Gesellschaften wird dem Clan, dem Stamm, dem Dorf oder sogar der Gesamtheit allen Lebens größere Bedeutung zugeschrieben als dem Individuum. In diesem Fall gehört deine Arbeitskraft nicht dir, sondern etwas Größerem.3 Also ist das Besitzdenken nicht die Wurzel unseres gegenwärtigen Übels, sondern nur ein Symptom unserer mangelnden Verbundenheit, unserer Isoliertheit. Dieses Buch soll daher nicht zur Abschaffung von Eigentum aufrufen (damit würde man nur ein Symptom, nicht aber die Ursache bekämpfen) sondern Eigentum neu definieren im Zuge einer größeren Transformation des menschlichen Seins an sich.
Andere Denker, besonders Wilhelm Reich und Genevieve Vaughan, sehen eine Verbindung zwischen dem Ursprung von Eigentum und dem Auftauchen männlich dominierter und patriarchaler Gesellschaften.4 Ich halte diese Argumente für berechtigt, aber ich habe mich entschieden, an dieser Stelle die sexuelle Dimension von Geld und Eigentum nicht zu untersuchen. Dieses Thema verdient eine eigene Abhandlung. Jeder Aspekt unseres Zeitalters der Getrenntheit steht mit allen anderen im Zusammenhang. Der Verlust unserer Beziehung zur Natur, zum Körper und zur heiligen Weiblichkeit spiegelt die Entfremdung wider, die in einer Welt vorherrscht, in der das Besitzdenken dazu geführt hat, dass die Dinge aus ihrem Zusammenhang gelöst und zu kommerziellen Objekten gemacht wurden.
Der Drang zu besitzen wird schwächer, wenn unser Gefühl der Verbundenheit und Dankbarkeit wächst; wenn wir erkennen, dass unsere Arbeitskraft nicht uns allein gehört, und was ich mache nicht nur für mich ist. Ist nicht meine Arbeitsfähigkeit, ja überhaupt mein Leben selbst, auch ein Geschenk? Wenn wir das erkennen, wünschen wir uns doch, dass unser Tun all jenen zugute kommt, die dazu beigetragen haben, dass wir sein können, und die uns das Geschenk des Lebens gemacht haben.
Manche sozialistischen Philosophen verkehrten diesen Wunsch, der aus der Dankbarkeit entspringt, in eine Verpflichtung und in eine Rechtfertigung für Enteignung der Arbeitskraft des Einzelnen durch den Staat. Wir “schulden der Gesellschaft”, was der Staat einfordert. In einer weniger extremen Form wird so die Einkommenssteuer gerechtfertigt, die auch eine Form der Enteignung individueller Arbeitsleistung ist. In beiden Fällen werden wir gewaltsam gezwungen, zu geben. Können wir statt dessen ein Wirtschaftssystem entwerfen, welches das angeborene Bedürfnis, zu geben, befreit, feiert und belohnt? Das versucht dieses Buch zu beschreiben: ein System, in dem das Fließen und nicht das Horten, das Schaffen und nicht das Besitzen, das Geben und nicht das Haben belohnt wird.
4.2 Der ursprüngliche Raub
Die Souveränität des Individuums war nur ein erster Schritt auf dem Weg zum modernen Verständnis von Eigentum, aber das meiste auf dieser Erde ist ja kein Produkt menschlicher Arbeit. Nach der Logik “was ich produziere, gehört mir”, konnte alles, was nicht auf menschlicher Leistung beruhte, keinem Menschen gehören. Es wäre demnach Diebstahl, Eigentumsansprüche auf Land, Flüsse, Tiere, Bäume etc. zu stellen – genauso wie ich ein Dieb bin, wenn ich von etwas Besitz ergreife, das Sie gemacht haben.
Aus dieser Erkenntnis entwickelte sich eine eigene Denkschule, deren bekannteste Vertreter Pierre-Joseph Proudhon, Karl Marx, Henry George und Silvio Gesell waren. “Eigentum ist Diebstahl”, verkündete Proudhon: Verfolgt man die Reihe “legitimer” Übergaben eines beliebigen Grundstücks bis zum Ursprung zurück, gelangt man zum ersten Eigentümer – dem Menschen, der das Land einfach genommen hat. Das, was zuvor “uns” oder “Gott” gehörte, hat er zu “seinem” gemacht. Gewöhnlich wurde das mit Gewalt durchgesetzt, wie zum Beispiel im Zuge der Landnahme von ganz Nordamerika in den vergangenen drei Jahrhunderten. Diese Geschichte hat sich in verschiedenen Formen seit Jahrtausenden auf der ganzen Welt abgespielt. Vor der Römerzeit gab es jedoch keine besiegelten Urkunden. Land war wie Luft und Wasser – niemand konnte es besitzen. Daher ist es nicht möglich, dass die ersten Besitzer es rechtmäßig erworben haben. Sie müssen es sich genommen haben.
Oft wird argumentiert, dass Grundbesitz eine natürliche Konsequenz von Landwirtschaft sei. Während Jäger und Sammler noch wenig in ihr Land investierten, mussten Bauern Arbeit aufwenden, um es produktiver (als Quelle für Nahrungsmittel für die Menschen) zu machen. Es wäre offensichtlich ungerecht für den Bauern, das ganze Jahr am Feld zu arbeiten, nur damit dann zur Erntezeit “Sammler” kommen und sich an der Ernte gütlich tun. Privateigentum soll also ein Ansporn sein, damit Menschen das Land verbessern. Aber wäre es nicht gerechter, wenn es die Möglichkeit gäbe, nur die am Land vorgenommenen Verbesserungen, nicht aber das Land selbst zu besitzen?
Ursprünglich lagen die Rechte für das Land bei den Gemeinschaften; es kam dem ganzen Dorf oder Stamm und nicht Einzelpersonen zugute. In den großen agrarischen Zivilisationen, in Ägypten, Mesopotamien und in der Zhou Dynastie in China existierte die Vorstellung von privatem Landeigentum kaum. Alles Land gehörte dem König, und weil der König der Repräsentant des göttlichen Prinzips auf der Welt war, war alles Land das Eigentum von Gott.
Eine gewaltige konzeptuelle Kluft liegt zwischen dem Recht auf die Früchte der eigenen Arbeit und dem Recht darauf, das Land selbst zu besitzen. Im Westen scheint die Idee vom Landeigentum auf die Römer zurückzugehen, die wiederum unter dem Einfluss der griechischen Idee vom Individuum standen. In Rom wurde Land das erste Mal der Kategorie “dominium” zugeschrieben. Dominium nannten sie “das äußerste Recht, das Recht, welches kein Recht hinter sich hatte; das Recht, welches alles andere legitimierte, während es selbst keiner Legitimation bedurfte… das Recht `zu verwenden, zu genießen und zu missbrauchen´ – ius utendi, fruendi, abutendi.“5
Im Osten tauchte expliziter Landeigentum etwas früher auf, zumindest als Konzept. In China reicht es mindestens bis in die Zeit des Herrschers Shang Yang 400 v. Chr. zurück, wenn nicht noch früher, weil selbst damals eine Zeit vor dem Landeigentum nur geschichtlich überliefert wurde. Davon zeugt jener Ausspruch von Konfuzius, dass es “in alten Zeiten” unrecht gewesen wäre, Land zu verkaufen.6 Auch in Indien kannte man wahrscheinlich schon im sechsten Jahrhundert vor Christus das Konzept von Landeigentum, wenngleich die Belege etwas widersprüchlich sind.7 Jedenfalls war der Großteil der Landflächen in Indien bis zur Zeit der britischen Herrschaft im gemeinschaftlichen Eigentum.8
Im mittelalterlichen Europa befand sich der Großteil der Landflächen im Gemeinbesitz oder gehörte Feudalherren, die das Land aber nicht im umfassenden heutigen Sinn des Wortes als veräußerbare Ware, die frei gekauft und verkauft werden konnte, “besaßen”. Sie hatten gewisse Rechte auf das Land, die sie auf Vasallen übertragen konnten, welche dafür verschiedene Dienste leisteten oder Ernteanteile abtraten und schließlich dann auch Geld dafür bezahlten. In England war die freie Veräußerung von Land erst ab dem fünfzehnten Jahrhundert möglich.9 In der Folge wurden aufgrund des “Enclosure Act”10 die riesigen gemeinschaftlich genutzten Landflächen Englands rasch in Privateigentum überführt. Dieses Vorgehen wiederholte sich auf dem ganzen europäischen Kontinent, beispielsweise durch die “Emanzipation” der Leibeigenen. Lewis Hyde schreibt:
Während ein Mann zuvor in jedem Fluss fischen und in jedem Wald jagen durfte, stellten sich ihm jetzt Personen in den Weg, welche behaupteten, die Eigentümer dieser Gemeingüter zu sein. Das Grundverständnis von Landeigentum hatte sich geändert. Der Leibeigene im Mittelalter war quasi das Gegenteil von einem Landeigentümer: er gehörte dem Land. Er durfte sich nicht frei von einem Ort zum anderen bewegen, und doch hatte er unveräußerliche Rechte auf das Land, dessen Teil er war. Nun behaupteten Männer, das Land zu besitzen und boten es gegen eine Gebühr zur Pacht an. Während ein Leibeigener an sein Land gebunden war, konnte ein Pächter vom Grundstück vertrieben werden, und zwar nicht nur, wenn dieser seine Miete nicht gezahlt hatte; er war den Launen des Grundherren ausgeliefert.11
Wie so viele andere soziale Reformen war auch die Befreiung der Leibeigenen ein Schritt zur Festigung der wirtschaftlichen und politischen Macht in den Händen der schon bisher Mächtigen. Durch diese Maßnahmen konnten Menschen, die seit Generationen in der Umgebung ihre Herden geweidet, Feuerholz gesammelt und gejagt hatten, dies nicht länger tun.12 Dieses Land war Allmende, Gemeingut, gewesen, es war das Eigentum von allen und keinem. Nun war es für immer zum Eigentum geworden.
Wenn Eigentum Diebstahl ist, dann führt ein Rechtssystem, das dem Schutz der Rechte von Privateigentum dient, dieses Verbrechen fort. Indem wir Eigentum unantastbar machen, bestätigen wir den ursprünglichen Diebstahl. Das sollte nicht zu sehr überraschen, wo doch die Gesetze von den Dieben selbst gemacht wurden, um ihre unrechtmäßig erworbene Beute zu legitimieren. Das war auch der Fall: In Rom und anderswo waren es die Reichen und Mächtigen, die sowohl das Land in Besitz nahmen als auch die Gesetze verfassten.
Für den Fall, dass der Leser jetzt denkt, ich würde eine marxistische Hetzrede vom Stapel lassen, möchte ich schleunigst hinzufügen, dass ich nicht für die Abschaffung des Privateigentums bin. Erstens bedingt die ganze Mentalität von Abschaffung eine hitzige, abrupte, schrille Veränderung, die den Unwilligen gewaltsam aufgezwungen wird. Zweitens ist Privateigentum nur das Symptom einer zugrundeliegenden Krankheit (der Getrenntheit). Und wenn wir uns dem Symptom mit der Absicht annähern, das Böse zu überwinden und zu bezwingen, dann ist das genau die Denkart, die der Getrenntheit zugrunde liegt, und wir werden damit am Schluss nur dieselben Ungerechtigkeiten in anderer Form bewirken. Schließlich ist selbst auf der wirtschaftlichen Ebene Privateigentum per se nicht falsch, sondern die unfairen Vorteile, die es mit sich bringt. Es ist zwar falsch, wenn etwas, das zuvor Gemeingut war, zum Eigentum einer Einzelperson wird, und diese allein durch das Eigentum Profit macht; aber es nützt allen, wenn Ressourcen von jenen Menschen genützt werden, die sie am sinnvollsten zu gebrauchen wissen.
Auch Land, Boden, Mineralien, Wasserläufe und die Kapazität der Atmosphäre, Abgase zu absorbieren, sind Ressourcen. Wir brauchen ein Wirtschaftssystem, das Profit durch Eigentum verbietet aber den Unternehmergeist (im Sinne von: “Ich weiß einen Weg es besser zu nutzen”) belohnt. Diesem Geist soll es erlaubt sein, frei zu herrschen. Marxistische Systeme verhindern zwar, dass durch die ausschließliche Kontrolle über Kapital und knappe Ressourcen Profit gemacht werden kann, aber sie verhindern auch, dass Ressourcen effektiv verwendet werden. Daraus folgen Ineffizienz und Stagnation. Können wir den optimalen Gebrauch von Ressourcen belohnen, nicht aber das Eigentum an sich? In diesem Buch wird ein Geldsystem beschrieben, das die Freiheiten von Privateigentum beibehält, es jedoch den Eigentümern nicht ermöglicht, sich unlautere Vorteile zu verschaffen.
Die Privatisierung von Land, wo und wann immer sie eingeführt wurde, brachte eine Konzentration von Eigentum mit sich. Im Alten Rom war Land gemeinsamer (nicht persönlicher) Besitz, bis auf einen kleinen eigenen Garten: “Das Land für Getreide unterlag dem öffentlichen Recht.”13 Als sich im Zuge der Eroberungen das Römische Reich ausdehnte, blieben die neuen Landgebiete nicht sehr lange öffentlich, sondern wanderten schnell in die Hände der wohlhabendsten Familien, der Patrizier – was für viele nachfolgenden Jahrhunderte so blieb. Die patrizischen Ländereien wuchsen auf Kosten der Plebejer, die oft zum Dienst in den Legionen abkommandiert wurden, und die ohnehin auch wirtschaftlich nicht mit der billigen Arbeitskraft der Sklaven auf den patrizischen Ländereien mithalten konnten. Sie verschuldeten sich hoffnungslos, und man vertrieb sie von ihren Siedlungen, weil das Land zur veräußerlichen Ware geworden war. Sie wurden zu Bettlern, Banditen oder, wenn sie Glück hatten, zu Handwerkern in den Städten.
Als sich das Schicksal des Römischen Reichs wendete, und der Nachschub an Sklaven versiegte, suchten sich viele großen Landeigentümer Pachtbauern, die coloni, welche ihre Felder bestellten. Durch Schulden an sie gebunden wurden diese Pächter schließlich zu den Leibeigenen des Mittelalters. Man kann es auch so sehen: Wenn Sie bei mir hoffnungslos verschuldet sind, dann sind Sie zumindest dazu verpflichtet, an Schulden abzubezahlen, so viel Sie können. Also gehören die Einkünfte aus Ihrer Arbeit für alle Zeit mir.
Wie ähnlich ist das doch den Gesetzen, die 2005 in der Konkurs-”Reform” in den Vereinigten Staaten beschlossen wurden. Sie zwingen die Person, die in Konkurs geht, dazu, einen Teil ihres zukünftigen Gehalts an die Schuldner abzutreten14. Wie sehr ähnelt das auch der Verpflichtung von Ländern der Dritten Welt, die gezwungen werden, ihre Wirtschaft neu zu strukturieren und ihren gesamten wirtschaftlichen Überschuss in den Dienst der nie enden wollenden Schuldenrückzahlung zu stellen. Das ist die moderne Leibeigenschaft: Menschen müssen für jene arbeiten, die das Geld haben, so wie die Leibeigenen früher für jene arbeiten mussten, denen das Land gehörte.
Die Parallelen zwischen dem alten Rom und unserer Zeit sind offensichtlich. Heute wie damals konzentriert sich der Reichtum immer stärker in den Händen einiger Weniger. Heute wie damals müssen sich Menschen lebenslang verschulden, nur damit sie sich Zugang zu den Lebensgrundlagen verschaffen können. Damals war es der Zugang zu Land, heute ist es der Zugang zu Geld. Die Sklaven, Leibeigenen und Pächter opferten ein Leben voll schwerer Arbeit für die Bereicherung des Landeigentümers; heute gehen die Erträge unserer Arbeit an die, die das Geld haben.
Eigentum ist Diebstahl. In der Geschichte des radikalen Denkens geht diese Erkenntnis mit rasender Wut einher und mit dem Bedürfnis, an den Dieben Rache zu üben. Die Sache ist aber nicht so einfach. Die, denen der Reichtum gehört, sei er ererbt oder nicht, wurden in eine Rolle hineingeboren, die aus den großen unsichtbaren Erzählungen unserer Zivilisation hervorgegangen und in diesem Zusammenhang notwendig ist. Diese Erzählungen sind es, die uns zwingen, die Welt zu Eigentum und Geld zu machen – ob wir uns darüber im Klaren sind oder nicht.
Verschwenden wir nicht unsere seelische Energie an den Hass auf die Reichen oder auf die ursprünglichen Plünderer. An ihrer Stelle hätten wir genauso gehandelt. Tatsächlich haben die meisten von uns auch Anteil am laufenden Diebstahl der Gemeingüter. Lasst uns nicht hassen, damit wir nicht das Zeitalter der Getrenntheit noch weiter verlängern, und damit wir nicht wie die Bolschewiken eine Revolution verewigen, die nicht weit genug geht. Wir würden dadurch nur die alte Ordnung in einer veränderten, verzerrten Form wieder herstellen. Lasst uns dennoch nicht das unbewusste Verbrechen von Eigentum, seinen Ursprung und seine Konsequenzen aus den Augen verlieren, damit es uns zuletzt vielleicht gelingt, unsere alte Welt in ihre ursprüngliche und immer noch latent vorhandene Fülle zurückzuführen.
Der Übergang vom Recht auf Nutzung bis zum expliziten Eigentum von Land war schleichend. Der Endpunkt war erreicht, als Land für Geld verkauft wurde. Behalten wir im Gedächtnis, dass das die Transformation einer Vorstellung war (das Land hat ja nicht zugestimmt, Eigentum zu werden), es ist eine menschliche Projektion auf die Wirklichkeit. Landeigentum (und eigentlich alle Formen von Eigentum) sagt mehr über unsere Wahrnehmung der Welt aus als über die Natur des Objekts, das zum Eigentum geworden ist. In früherer Zeit war Landeigentum genauso undenkbar wie Eigentum auf den Himmel, die Sonne oder den Mond. Heute ist fast jeder Fleck auf der Erde in der einen oder anderen Form zum Eigentum geworden. Dieser Übergang ist in Wahrheit nur die Geschichte über unsere veränderte Sicht auf uns selbst und unser Verhältnis zum Universum.
4.3 Die Georgistische Tradition15
Die Unterscheidung zwischen Gebrauchsrecht und Eigentum folgt der ursprünglichen Unterscheidung zwischen dem, was von Menschenhand erzeugt wurde, und dem, was schon da ist. Heute besteht diese Unterscheidung in der Trennung zwischen Immobilienbesitz und Sachbesitz fort, und sie war seit Jahrtausenden ein Ansatzpunkt reformistischer Ideen.
Im Römischen Reich wurde die rechtliche Basis für die Eigentumsrechte geschaffen, wie wir sie heute kennen. Es ist wenig überraschend, dass schon damals die ersten Kritiker des Eigentums auf den Plan traten. Im dritten und vierten Jahrhundert betonten die frühen christlichen Kirchenführer mit Nachdruck, dass alle Menschen alles auf der Erde miteinander teilen sollten. Ambrosius schrieb: “Reiche und Arme erfreuen sich der wunderbaren Ornamente des Universums… Das Haus Gottes ist für Reich und Arm das selbe,” und: “der Herr unser Gott hat diese Erde zum gemeinsamen Eigentum aller und ihre Früchte zur Nahrung für alle bestimmt.”16 An anderer Stelle schreibt er, dass Privateigentum
„nicht der Natur entspricht, weil die Natur alle Dinge für alle gemeinsam hervorbrachte. Gott schuf die Welt daher so, dass alles im gemeinsamen Besitz sein soll. Die Natur ist also die Mutter des Gemeinrechts, das Privatrecht ist widerrechtliche Aneignung.“17
Andere christliche Kirchenväter, vor allem Johannes Chrysostomos, Augustinus, Basilius der Große und Clemens, verkündeten Ähnliches. Sie forderten ihre Anhänger dazu auf, den Lehren Jesu ganz wörtlich zu folgen und all ihren Besitz den Armen zu schenken. Ihre Lehre war noch sehr bodenständig: Viele dieser Führer handelten auch selbst danach. Vor ihrem Eintritt in den Klerus waren Ambrosius, Basilius und Augustinus Männer von erheblichem Wohlstand gewesen, und sie gaben alles weg.
Die Lehren der Gründungsväter konnten nicht verhindern, dass die Kirche selbst bald beträchtliche Reichtümer anhäufte und sich mit der Macht der Herrscher verbündete. Die Lehren Jesu wurden zu jenseitigen Idealen verklärt, die niemandem ernsthaft nahegelegt wurden, und das Königreich Gottes wurde von der Erde in den Himmel verlegt. Das war ein großer Schritt auf dem Weg zur gedanklichen Unterscheidung zwischen Geist und Materie, die dazu beitrug, dass Materialismus und speziell Geld heute als profan gelten. Noch paradoxer ist, dass die christliche Lehre heute alles ins Gegenteil verdreht hat, dass also Sozialismus mit Atheismus und privater Wohlstand mit der Gunst Gottes gleichgesetzt wird.
Die frühen Kirchenväter verwiesen oft auf den Unterschied zwischen dem, was Menschen durch ihre eigene Leistung hervorbringen, und dem, was Gott der Menschheit geschenkt hat, damit es von allen gemeinsam benutzt werde. Viele Gesellschafts- und Wirtschaftskritiker der vergangenen Jahrhunderte teilten die Entrüstung über die Aneignung von Gemeingütern, und sie entwickelten kreative Vorschläge zur Gegensteuerung. Ein solcher früher Kritiker, Thomas Paine, schrieb:
Da es unmöglich ist, die Verbesserungen durch Bewirtschaftung von der Erde selbst zu trennen, an welcher diese Verbesserungen vorgenommen wurden, entstand die Idee von Grundeigentum aus dieser untrennbaren Verbindung; es ist aber dennoch wahr, dass privates Eigentum einzig der Wert der Verbesserung, nicht aber der Wert der Erde selbst ist. … Jeder Eigentümer von bewirtschaftetem Land schuldet daher der Gemeinschaft eine Grundrente (ich habe keinen besseren Begriff, um die Idee zu benennen) für das Land, welches er sein Eigentum nennt.18
Der erste Ökonom, der diese Idee voll ausarbeitete, war Henry George 1879 in seinem sprachgewandten Klassiker Fortschritt und Armut (Progress and Poverty). Er begann mit denselben Prämissen wie Paine und die frühen Christen:
Aber wer schuf die Erde so, dass ein Mensch Anspruch erheben könnte, sie oder irgendeinen Teil von ihr zu besitzen? Wer hat das Recht, sie zu schenken, zu verkaufen oder zu vererben? Weil die Erde nicht von uns gemacht wurde, weil sie nur ein Wohnort für begrenzte Zeit ist, an welchem eine Generation auf die andere folgt; weil wir uns hier befinden, alle mit der gleichen Erlaubnis unseres Schöpfers, ist es offensichtlich, dass niemand hier ein exklusives Recht auf Landbesitz haben kann, und dass das Recht aller Menschen auf Land gleich und unveräußerlich sein muss. Es muss ein exklusives Recht auf den Besitz von Land geben, denn der Mann, welcher es nützt, muss sich seines Besitzes sicher sein, damit er den Ertrag seiner Arbeit ernten kann. Aber sein Recht auf Besitz muss durch das gleiche Recht aller begrenzt sein und sollte daher bedingt sein durch eine Zahlung des Besitzers an die Gemeinschaft im gleichen Wert für jedes besondere Privileg, das ihm zugestanden wurde.19
Warum sollte jemand vom Gebrauchswert eines Landstücks profitieren, nur weil er es besitzt, besonders wenn der Besitz auf ein altes Unrecht zurückgeht? Dementsprechend formulierte Henry George seine berühmte Einheitssteuer (Single Tax) – im Grunde eine 100% Steuer auf durch Pacht und nicht durch Arbeit erzielte Gewinne aus Landbesitz. Dafür sollte eine Steuer erhoben werden auf den reinen Bodenwert, im Unterschied zu dem zusätzlichen Mehrwert, der durch Erschließung oder durch Arbeit am Boden erzielt wurde. Das wurde durch eine Steuer auf den Wert von Land erreicht. Im Unterschied dazu stand die Erschließung, die durch Arbeit am Land erzielt wurde. Zum Beispiel würde Land besteuert, nicht aber die Gebäude darauf oder die Ernte. Der Name “Einheitssteuer” kommt daher, dass George die Abschaffung aller anderen Steuern vorschlug. Er argumentierte, dass es genauso Diebstahl sei, rechtmäßiges Privateigentum zu besteuern, wie von etwas zu profitieren, das allen gehörte. Die Schriften Henry Georges entfachten eine breite politische Bewegung, fast hätte man ihn zum Bürgermeister von New York gewählt. Aber natürlich bekämpfte ihn die etablierte Finanzelite wo es nur ging.20 Seine Ideen wurden weltweit vereinzelt aufgegriffen (beide Orte, an denen ich den Großteil meines Lebens verbrachte, Taiwan und Pennsylvania, erheben Steuern auf den Wert von Land), und beeinflussten stark das ökonomische Denken.
Einer seiner Bewunderer, Silvio Gesell, schlug eine fast identische Steuer wie Henry George vor: Alles Land sollte in öffentlichem Besitz sein, doch privaten Nutzern zur Pacht in der ungefähren Höhe der ökonomischen Rente zur Verfügung gestellt werden.21 Gesell argumentiert schlüssig, und erstaunlich ist sein vorausahnendes Verständnis von Ökologie und dem Selbst, das mit der Welt verbunden ist. Man lese diese außergewöhnliche Passage aus dem Jahr 1906:
Häufig hört man die Redensart: “Der Mensch hat ein natürliches Recht auf die Erde.” Doch das ist Unsinn, denn dann könnte man auch sagen, der Mensch habe ein Recht auf seine Glieder. Von “Rechten” sollten wir hier nicht reden, sonst könnte man ja auch sagen, die Tanne habe ein Recht, ihre Wurzeln in die Erde zu senken. Kann der Mensch im Luftballon sein Leben verbringen? Die Erde gehört zum Menschen, sie bildet einen organischen Teil seiner selbst; wir können uns den Menschen ohne die Erde ebensowenig denken wie ohne Kopf und Magen. Wie der Kopf, so ist auch die Erde ein Teil, ein Glied des Menschen. Wo beginnt der Verdauungsvorgang beim Menschen und wo hört er auf? Dieser Vorgang fängt nirgendwo an und hat auch kein Ende, er bildet einen geschlossenen Kreis ohne Anfang und Ende. Die Stoffe, die der Mensch braucht, sind im Rohzustand unverdaulich – sie müssen vorher bearbeitet werden, eine Verdauung durchmachen. Und diese Vorarbeit verrichtet nicht der Mund, sondern die Pflanze. Diese sammelt und verwandelt die Stoffe, so dass sie auf ihrem weiteren Weg durch den Verdauungskanal zu Nahrungsstoff werden können. Die Pflanzen mit ihrem Standort in der Erde gehören also ebenso zum Menschen, wie der Mund, die Zähne, der Magen. …
Dürfen wir nun gestatten, dass einzelne Menschen Teile dieser Erde, Teile von uns selbst, als ausschließliches und ausschließendes Eigentum in Beschlag nehmen, Zäune errichten und mit Hunden und abgerichteten Sklaven uns von Teilen der Erde abhalten, uns ganze Glieder vom Leibe reißen? Bedeutet ein solches Vorgehen nicht dasselbe, wie eine Verstümmelung an uns selbst?22
Gesell fährt mit großer rhetorischer Geste fort, er sagt, dass diese Verstümmelung sogar schlimmer als die Amputation eines Körperteils sei, weil Wunden des Körpers verheilten, aber
die Wunde, die uns die Amputation eines Grundstückes am Leibe hinterlässt, eitert ewig, vernarbt nie. An jedem Zinszahlungstage springt die Wunde immer wieder auf, und das rote goldene Blut fließt in Strömen ab. Bis aufs Weiße wird da der Mensch geschröpft, blutleer wankt er einher. Das Abschneiden eines Grundstückes von unserem Leibe ist der blutigste aller Eingriffe, er hinterlässt eine jauchige, klaffende Wunde, die nur unter der Bedingung heilen kann, dass das geraubte Glied wieder angesetzt wird.
Ich denke, dass wir alle diese Wunde spüren, nicht nur in Form der Mieten, die im Preis aller Güter, die wir kaufen, enthalten sind, sondern auch als spirituelle Entrechtung. Vor einiger Zeit fuhr ich mit einer Frau aus Frankreich über die Landstraßen in Zentral-Pennsylvania. Die sanften Hügel und breiten Täler lockten, und so entschieden wir uns, eine Wanderung zu machen. Es schien uns, als lechzte der Boden nach unseren Füßen, wollte betreten werden. Wir entschieden, einen Platz zu suchen, um anzuhalten und loszugehen. Wir fuhren eine Stunde, aber wir fanden kein Feld, keinen Wald, die nicht mit einem “Zutritt verboten!” Schild verziert waren. Jedes Mal, wenn ich eines sehe, spüre ich einen Stich, einen Verlust. Jedes Eichhörnchen, jedes Reh ist freier als ich. Diese Schilder sind nur an Menschen gerichtet. Darin liegt ein universelles Prinzip: Die Herrschaft von Eigentum, die Einzäunung von allem, was noch nicht Eigentum war, hat uns alle ärmer gemacht. Das Versprechen von Freiheit dieser weiten, grünen Landschaft war eine Illusion. Das erinnert an den Songtext von Woody Guthrie:
Da war eine große, hohe Mauer, die versuchte, mich aufzuhalten.
Auf dem Schild war etwas gemalt, da stand “Privatgrund”.
Aber auf der Rückseite stand nichts.
Diese Seite war für dich und mich gemacht.23
Nach dreihundert Jahren wirtschaftlicher Expansion sind wir so verarmt, dass wir nicht einmal den Reichtum und die Freiheit eines Eichhörnchens haben. Die Ureinwohner, die hier vor der Ankunft der Europäer gelebt hatten, konnten sich frei bewegen. Sie hatten die Freiheit zu sagen: “Besteigen wir diesen Berg. Schwimmen wir in diesem See. Fischen wir in jenem Fluss.” Nicht einmal die Wohlhabendsten unter uns haben heute diese Freiheit. Selbst Anwesen im Wert von Milliarden von Dollars sind kleiner als der Reichtum der Jäger und Sammler.24
In großen Teilen Europas ist die Situation anders. In Schweden zum Beispiel erlaubt das “Allemansrätt” (Jedermannsrecht) jedem, Privatgrundstücke zu betreten, darin Blumen zu pflücken, einen oder zwei Tage zu zelten, zu schwimmen oder Ski zu fahren (allerdings nicht zu nahe bei Wohnhäusern). Ich traf eine Pferdeliebhaberin, die erzählte, dass in Irland alle Gatter auf privaten Straßen oder auf Weiden unversperrt sind. Das Betreten kann nicht verboten werden; das Land ist für alle offen. Die Reiter respektieren im Gegenzug die Bauern und ihr Land und halten sich an die Bedingungen, so dass sie weder die Tiere stören noch den Weiden schaden. Wenn ich davon höre, denke ich, dass kein Amerikaner die weiten Flächen dieses Landes mit all den Toren, Zäunen und “Betreten Verboten” Schildern sehen kann, ohne ein Gefühl der Einschränkung oder des Verlust zu empfinden. Das Land ist uns amputiert worden – können Sie diese “Wunde” fühlen, die Gesell beschreibt?
Der bedeutende Beitrag von Gesell über das Werk von George hinaus war, dass er im Geldwesen Parallelen zur Theorie über den Landbesitz sah. Er entwarf ein neues Geldsystem, das ich nach der Behandlung der nötigen Grundlagen später in diesem Buch als das Schlüsselelement einer heiligen Ökonomie beschreiben werde.
Nur das Land zu besteuern, wie Henry George es forderte, war schon unter den Progressiven seiner Zeit umstritten. Heute ergibt das noch weniger Sinn, weil so viele andere Gemeingüter auch schon zu Privateigentum geworden sind.25 Die von Hyde formulierte “Vermarktung vormals unveräußerlicher Güter” betrifft längst nicht mehr nur das Land. Sie umfasst nahezu alles, was unsere Existenz betrifft oder uns Freude macht. Unsere Beziehungen zur Natur, zur Kultur und zur Gemeinschaft wurden zerrissen und abgeschnitten und werden uns zurückverkauft. Bisher bezog ich mich hauptsächlich auf das Land, aber fast jedes Gemeingut hat das gleiche Schicksal erlitten. Geistiges Eigentum ist das offensichtlichste Beispiel, und die Lizenzgebühren spielen eine ähnliche Rolle wie die Pachtgebühren. (Wenn Sie denken, dass geistiges Eigentum sich von Land unterscheidet, weil es von Menschen geschaffen wurde, lesen Sie weiter!) Doch eine Form von Besitz enthält und ersetzt alle anderen: der Besitz von Geld. In der Finanzwelt spielen Zinsen die Rolle von Lizenz- oder Pachtgebühren. Sie stellen sicher, dass Wohlstand, der durch menschliche Kreativität und Arbeit entsteht, vor allem zu jenen fließt, die das Geld haben. Geld ist von Grund auf so kriminell wie die anderen Arten von Eigentum – ein permanenter Raub, der die Enteignung der Gemeingüter sowohl weiter vorantreibt und ihn gleichzeitig darstellt.
Um der Wirtschaft ihre Heiligkeit zurückzugeben, müssen wir diesen Raub beenden, weil er letztlich der Diebstahl und die Minderung eines göttlichen Geschenks ist. Was einst heilig, einzigartig und persönlich war, wird auf den Status einer Ware reduziert. Es ist nicht gleich offensichtlich, aber das Recht, vom reinen Geldbesitz zu profitieren, ist genauso illegitim, wie das Recht, von reinem Grundeigentum zu profitieren. Immerhin ist Geld ja – nicht wie Land – eine menschliche Erfindung. Wir verdienen Geld, indem wir unsere menschlichen Begabungen, unsere Energie, Zeit und Kreativität einsetzen. Der Ertrag aus dieser Arbeit gehört doch sicher rechtmäßig dem Arbeitenden? Es kann doch nicht alles Geld in seinem Ursprung illegitim sein?
Diese Sicht ist naiv. Denn Geld ist in Wahrheit tief und untrennbar mit der Umwandlung von Gemeingütern in Privateigentum verkettet, deren endgültiges und entscheidendes Stadium eine Reduktion auf den Status einer beliebigen Ware ist, die gekauft und verkauft werden kann. So wurden auch andere Teile unseres natürlichen und kulturellen Erbes abgeriegelt, in Eigentum und letztendlich in Form von “Waren und Dienstleistungen” zu Geld gemacht. Das heißt nicht, dass es unmoralisch ist, für Geld zu arbeiten. Es ist eher unmoralisch, wenn Sie Geld für sich arbeiten lassen. Die Pacht auf das Land entspricht dem Zins auf das Geld. Geld ist der Leichnam der Gemeingüter: Was früher für alle frei zur Verfügung stand, wurde jetzt zu Eigentum in seiner reinsten Form, zu Geld, destilliert. Die nächsten Kapitel werden diese Behauptung belegen und genau beschreiben, wie und warum sich zinstragendes Geld von Natur aus der Gemeingüter bemächtigt, den Planeten zerstört, und den Großteil der Menschen auf den Status von Schuldensklaven reduziert.
1Wie im Großen, so auch im Kleinen. Indem wir die Natur zum Feind oder höchstens zu einem Haufen von “Ressourcen” erklärt haben, überrascht es nicht, dass sich die gleiche Beziehung in unserem Körper manifestiert. Die prägenden Krankheiten unserer Zeit sind Autoimmunkrankheiten. Wir somatisieren unsere Verwirrtheit in der Unterscheidung zwischen selbst und fremd. Genauso wie das Dorf, der Wald und der Planet untrennbare Teile von uns selbst sind, die wir für das Fremde, die „Umwelt“ halten, so erkennt unser Immunsystem die eigenen Organe nicht mehr. Was wir der Natur antun, tun wir unweigerlich uns selbst an.
3Sogar heute gibt es noch die Ahnung, dass unsere Arbeitskraft tatsächlich nicht uns gehört. Das zeigt sich im Wunsch, für etwas zu arbeiten, das größer ist, als wir selbst, also unsere Arbeit einer Sache zu widmen, die über das rationale Eigeninteresse hinausgeht. Religiöse Menschen nennen das “sein Leben Gott zu verschreiben”. Oder es zeigt sich in unserem Bedürfnis, unsere Arbeit und das, was wir mit unseren Fähigkeiten und Talenten zu schaffen imstande sind, zu verschenken. Dann fühlen wir uns erfüllt, heiter und erleichtert in dem Wissen, dass wir hier auf Erden unserer Bestimmung folgen. Intuitiv wissen wir, dass unsere Geschenke auch weitergegeben werden müssen, und dass sie nicht gehortet werden dürfen, nur für die kurze und vergängliche Illusion, dass damit ein kleines Ego aufpoliert werden könnte.
4Siehe z. B.: Sexpol, die Abkürzung steht für Sexualpolitik, eine von Wilhelm Reich 1931 gegründete politische Bewegung, oder den Text “Gift Giving as the Female Principle vs. Patriarchal Capitalism” von Vaughan online unter http://www.gift-economy.com/articlesAndEssays/principleVsPatriarchal.html .
6Cho-Yun Hsu: “Ancient China in Transition”, S.112. Dieses Buch versucht, den Konfuzianismus als Kritik an der Anhäufung von Besitz zu interpretieren. Feng Deng: “A Comparative Study on Landownership between China and England”, S.12. Deng vertritt den Standpunkt, dass es vor dieser Zeit verboten war, Land zu veräußern, weil es dem König gehörte. Deng argumentiert, dass Land in der Praxis generell tatsächlich nicht veräußerbar war oder als Ware galt, zumindest nicht während der Song Dynastie.
7A.S. Altekar: State and Government in Ancient India. Delhi, India: Motilal Banarsidass, 2002. S.273–4
8Frithjof Kuhnen: “Man and land: an introduction into the problems of agrarian structure and agrarian reform.” Kapitel 2.1.1 und 2.1.2.
www.professor-frithjof-kuhnen.de/publications/man-and-land/1.htm
12Natürlich leistete die Landbevölkerung Widerstand, als man ihr die Gemeingüter nahm. In Deutschland nannte man diese heftigen blutigen Auseinandersetzungen die Bauernkriege. Es ist ein Kampf, der sich rund um den Globus immer wiederholt, wenn sich Menschen dagegen wehren, dass wieder ein weiterer Bereich der persönlichen Beziehungen durch Eigentumsrechte vereinnahmt wird. Hyde schreibt: “Die Bauernkriege waren derselbe Krieg, den die Amerikanischen Ureinwohner gegen die Europäer führen mussten, ein Krieg gegen die Vermarktung von Gütern, die zuvor unveräußerbar waren.“
13Avila, “Ownership”, S. 16, zitiert eine antike Quelle von H. F. Jolowicz and Barry Nicholas, “Historical Introduction to the Study of Roman Law”, S. 139.
14Noch dazu gibt es viele Arten von Schuld, die im Fall eines Konkurses bestehen bleiben, zum Beispiel Steuerschuld, Unterhaltszahlungen und Studienkredite. Die momentane Studentenverschuldung übersteigt die Kreditkartenschuld, was eine enorme Last für die Jungakademiker bedeutet.
20Ein anderer Grund für sein politisches Scheitern war, das George sehr dogmatisch war. Er verweigerte jegliche politische Allianz mit jenen, die nicht auch seine Einzelsteuer kompromisslos befürworteten.
21Die Ökonomische Rente sind die Erträge durch Eigentum, wie Mieten, Lizenzgebühren, Dividenden und Zinsen.
22Kapitel aus Silvio Gesell: „Die Natürliche Wirtschaftsordnung“ Teil II Kapitel 5, Rudolf Zitzmann Verlag; Lauf bei Nürnberg; 9. Auflage; August 1949; Herausgeber: Karl Walker http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/gesell/nwo/2_5.htm
24Der Leser mag jetzt auf das Revierverhalten von Tieren verweisen, und dass sie sich dadurch nicht völlig frei bewegen können. Aber nicht alle Tiere haben Territorien; und Territorien gelten meist für Gruppen, nicht für Einzeltiere. So war es die längste Zeit auch bei uns Menschen. Jedem gehörte zumindest das gesamte Territorium des Stamms. Sollen wir heutzutage unsere Territorien auf die Kernfamilie reduzieren? Oder sollten wir nicht besser unseren Stammesbegriff und damit unser Territorium so weit ausdehnen, dass es die ganze Erde umfasst?
25Das Modell von George ist auch in anderen wesentlichen Aspekten problematisch. Speziell ist es sehr schwierig, zwischen dem Wert eines Grundstücks und dem Wert der daran vorgenommenen Erschließung und Verbesserungen zu unterscheiden. Vor allem, da ja der Wert nicht nur von den physischen Gegebenheiten der Landfläche abhängt, sondern weil auch die Qualität und Erschließung im Verhältnis zu den angrenzenden Grundstücken eine Rolle spielt. Wenn Sie Land bebauen, machen Sie es für andere attraktiver, das Grundstück nebenan zu besitzen, weil auch dessen Wert dadurch gestiegen ist. Das schafft den Anreiz, Grundstücke zu besitzen, aber nicht zu bebauen in der Hoffnung, dass der Grundstückspreis “von selbst” steigt. Daher bevorzuge ich den Ansatz von Silvio Gesell, der mit der Pacht von Land das Problem mit der ökonomischen Rente löst.