Chapter 13: Eine Gleichgewichts- und Postwachstumsökonomie

 

“In einer begrenzten Welt ist unbegrenzt wachsender materieller Konsum unmöglich.”

(E. F. Schumacher)

13.1 Nachhaltigkeit neu gedacht

Eine nachhaltige Wirtschaft, wie ich sie in den beiden letzten Kapiteln beschrieben habe, überschreitet nicht die ökologischen Grenzen des Planeten, und endloses Konsumwachstum ist keine strukturelle Notwendigkeit für sie. Aber soll Nachhaltigkeit überhaupt unser höchstes Ziel sein?

Ich kann das Wort “Nachhaltigkeit” nicht mehr hören – sie ist doch kein Ziel an sich. Ist es nicht viel wichtiger darüber nachzudenken, was wir er-halten, was wir erschaffen wollen? So vieles Schöne und Notwendige ist nicht nachhaltig, zum Beispiel Schwangerschaft. Mich ermutigt die jüngste thematische Schwerpunktverlagerung weg von der Nachhaltigkeit hin zum Übergang selbst. Unser künftiger Lebensstil wird viel nachhaltiger sein, aber das ist genauso wenig das eigentliche Ziel wie Überleben das letzte Ziel des Lebens ist.

Ein Grundkonzept der heiligen Ökonomie ist, dass sie nicht im Widerspruch zur Ökologie steht, sondern eine Erweiterung derselben ist. Ist die Natur aber grundsätzlich stabil, nachhaltig oder harmonisch? Welche Eigenschaften soll unsere Gesellschaft haben? Manche Menschen lehnen die Idee einer harmonischen Natur ab und verweisen auf ihre grausamen, kompetitiven und verschwenderischen Aspekte. Eine Überbetonung dieser Sichtweise hat tiefgreifende ideologische Implikationen, weil sie das Konzept des Aufstiegs rechtfertigt. Aufstieg heißt: die Natur mit Wissenschaft und Technologie zu zähmen und zu beherrschen. Ähnlich wirkt das Bild eines primitiven Urzustands von Mensch und Gesellschaft, wie es von Hobbes formuliert wurde. Die Zivilisation mit ihren verschiedenen Methoden der sozialen Kontrolle wäre demnach eine große Verbesserung im Vergleich zu den brutalen Urzeiten. Das gehört zur Geschichte vom Aufstieg, die davon handelt, wie wir uns über unsere tierische Natur erheben und in das reine Menschsein vordringen.

In der Wirtschaftstheorie herrscht die gängige Auffassung von der Natur als riesige Arena, in der die einzelnen Lebewesen zum Kampf ums Überleben nach Darwin gegeneinander antreten. In der Biologie ist dieses Paradigma mittlerweile umstritten, aber seine Übertragung auf die Wirtschaftswissenschaften beherrscht nach wie vor uneingeschränkt das Denken der meisten ökonomischen und politischen Entscheidungsträger. So wie nach der Theorie Darwins die “egoistischen Gene” ausschließlich ihr reproduktives Eigeninteresse verfolgen, handelt der von Adam Smith postulierte “homo oeconomicus” nur nach seinem wirtschaftlichen Eigeninteresse. Auf dieser Annahme beruht das Gesetz von Angebot und Nachfrage.

In der Biologie fand in den vergangenen zwanzig Jahren ein folgenschwerer Paradigmenwechsel statt. Man erkannte die Bedeutung von Kooperation und Symbiose und entdeckte, dass es selbstregulierende Gleichgewichtszustände innerhalb von Systemen gibt, die aus vielen verschiedenen Organismen bestehen. Sogar der Begriff der genetischen Integrität wurde in Frage gestellt, weil neue Forschungen zeigen, dass der Austausch von Genen zwischen Individuen und sogar über die Artgrenzen hinaus wichtige Funktionen hat. Der Niedergang des Paradigmas von konkurrierenden getrennten Individuen in der Biologie findet seine Entsprechung in der Psychologie, der Soziologie und – ja! – in den Wirtschaftswissenschaften. Konkurrenz und das “Überleben der Bestangepassten” können in keinem Feld mehr unhinterfragt bleiben.

Damit ist nicht gesagt, dass Wettbewerb unwichtig sei, oder dass Natur sich nicht verändern würde. Es gibt Prozesse in der Natur, die nicht nachhaltig sind, und das sind keine exotischen Ausnahmen. Auch sie erfüllen einen Zweck: Sie befördern Systeme von einem Zustand in einen anderen.

Neulich auf einer Konferenz hielt jemand meinem Konzept des Gesetzes der Wiederkehr entgegen, dass in natürlichen Systemen manchmal sehr wohl große Mengen an Abfallprodukten entstünden, die kein anderer Organismus nutzen könne, und die die Umwelt für alle vergifteten. Vielleicht dachte er dabei an die prä-kambrische Sauerstoffkatastrophe, als sich Photosynthese-betreibende Organismen entwickelten, die die Atmosphäre mit ihrem Abfallprodukt, dem Sauerstoff, “verschmutzten”. In der herkömmlichen Sichtweise hätte diese “Fehlfunktion” der Natur das Ende allen Lebens auf Erden bedeutet. Dass sich die aeroben Organismen entwickelt haben, die den Sauerstoff aus der Atmosphäre verwenden konnten, wäre bloß ein außergewöhnlich glücklicher Zufall gewesen. Keinesfalls hätte man diese Entwicklung als Ausdruck einer einfallsreichen, widerstandsfähigen Natur gesehen. Daraus lässt sich weiter folgern, dass wir uns nie auf die Natur verlassen können, dass wir immer am Rande des Abgrunds zur Katastrophe stehen und daher technologische Kontrolle über die Umwelt, den Körper und die menschliche Natur ausüben müssen. Das ist die Ideologie vom Aufstieg, die sich mit der ökonomischen Ideologie des Wachstums deckt, und die mit dem Ideal einer Gleichgewichtsökonomie unvereinbar ist. Mein Gesprächspartner ging nicht so weit. Sein Punkt war nur, dass ich mich nicht auf Naturgesetze berufen sollte, um eine Wirtschaft ohne Wachstum zu rechtfertigen.

Ich möchte das Katastrophenszenario in einen größeren Zusammenhang stellen. Solche Prozesse mit positiver Rückkopplung wie die große Sauerstoffkatastrophe existieren in der Natur, und zwar in ganz speziellen Momenten der Transformation. Eine sich selbst verstärkende Hormonkaskade leitet zum Beispiel den Geburtsprozess ein. Wehen sind nicht nachhaltig – wenn sie zu lange dauern, stirbt die Gebärende – aber sobald sie ihren Zweck erfüllt haben, kehrt die Mutter in einen Gleichgewichtszustand zurück. Phasen mit positiver Selbstverstärkung befördern einen Organismus oder ein Ökosystem von einer alten Gleichgewichtsphase in eine neue.

Analog dazu können wir Geld und Technologie als “Schlüsselhormone” des menschlichen Meta-Organismus sehen, die uns über einen nicht-nachhaltigen Prozess in einen neuen Zustand führen. Technologie baut auf vergangener Technologie auf und verursacht Probleme, die mit noch mehr Technologie gelöst werden müssen. Kapital baut auf vorhandenem Kapital auf und wurde durch verzinste Schulden erzeugt, für deren Rückzahlung exponentiell mehr Kapital in der Zukunft erzeugt werden muss. Ist das nachhaltig? Nein. Ist das unnatürlich? Nur dann, wenn wir versuchen, diesen Zustand über seine Zeit hinaus beizubehalten. Prozesse der positiven Rückkopplung stoßen immer an Grenzen. Was wir mit Besorgnis als exponentielle Wachstumskurve sehen, ist eigentlich Teil einer Kurve des Phasenübergangs.

13.2 Der Übergang zum Gleichgewicht: Turbulenz oder Absturz?

Die Abbildungen 13.1 bis 13.4 veranschaulichen diesen Punkt. Die volle Linie repräsentiert das Wachstum von Geldmenge, Bevölkerung, Energie-, Ressourcenverbrauch, CO2 Emissionen, etc. bis heute. Das ist eine exponentielle Kurve. Die punktierten Linien zeigen vier mögliche Zukunftsszenarien. Abbildung 13.1. steht für den technotopischen Mythos des Aufstiegs. Das exponentielle Wachstum kann und wird ewig weitergehen, weil wir die Galaxie und das Universum erobern werden. Wenn wir über die Grenzen der Erde hinauswachsen, machen wir durch Terraforming neue Planeten bewohnbar und kolonisieren die Sterne. In diesem Szenario bietet das grenzenlose Universum genug Platz für unser unendliches exponentielles Wachstum. Die Kurve in Abb. 13.1 steht noch immer für die gegenwärtige Wirtschaftsstrategie. Obwohl heute schon viele Menschen einsehen, dass das fortgesetzte exponentielle Wachstum die Lebensgrundlagen auf der Erde bedroht, hat diese Erkenntnis immer noch nicht den breiten ökonomischen Diskurs erreicht. Dort wird weiterhin auf das Wachstum gesetzt.

Pessimisten befürchten, dass die exponentielle Kurve nur in einen katastrophalen Zusammenbruch, wie in Abb. 13.2 dargestellt, münden kann. Das ist die Prognose der Zusammenbruchstheoretiker in den Antizivilisations- und Peak Oil Bewegungen. Sie vergleichen unseren gegenwärtigen Zustand mit der Populationsdynamik von Heuschrecken: Erst kommt es zu einer massiven explosiven Vermehrung, wodurch die Tragfähigkeit des Habitats weit überschritten wird. Es folgt der Zusammenbruch der Population. Auch wir leben weit über der Tragfähigkeit der Erde. Sie meinen, dass deshalb eine Bevölkerungsimplosion unvermeidbar sei.

Untergangs- und Zusammenbruchsszenarien wie Armageddon, populäre Auslegungen der Prophezeiungen für 2012 oder andere katastrophischen Endzeit- Szenarien haben einen gewissen emotionalen Reiz, den auch ich, wie ich zugeben muss, manchmal verspürt habe. Ein Teil von mir möchte raus hier. Und damit bin ich nicht allein. Viele von uns sind der modernen Welt überdrüssig mit ihrer Gewalt, Entfremdung, Armut und Abgestumpftheit. Wir haben die Hoffnung verloren, dass wir das jemals ändern könnten. Vielleicht könnte ein weltbewegendes Ereignis genau das für uns erledigen? Irgendeine Wundertechnologie könnte uns retten. Jesus könnte kommen, um uns zu erlösen, oder Außerirdische, es könnte auch eine geologische, soziale oder wirtschaftliche Katastrophe sein. Viele Zusammenbruchstheoretiker verlockt das Szenario, das auf den Kollaps folgt: eine kommunale Niedrigtechnologie-Gesellschaft, naturverbunden, spirituell, und vertraut mit dem alten Wissen. Außerdem befriedigt die Aussicht auf einen wirtschaftlichen oder ökologischen Zusammenbruch den rachsüchtigen Teil in uns, der die Frevler bestraft sehen will. Welche Genugtuung wäre es, sagen zu können: “Ich hab´s doch gewusst!”

Unermessliches Leid ist Teil solcher Zusammenbruchsszenarien: Sie fordern hunderte von Millionen oder Milliarden an Todesopfern. Außerdem wird die ganze Zivilisation ausgelöscht, das Gute zusammen mit dem Schlechten. Das wäre okay, wenn Technologie und Kultur tatsächlich ein Fehler wären, aber ich denke, dass unsere Talente und Fähigkeiten wie jene aller Lebewesen, einen Zweck haben – einen Zweck, den wir noch erkennen müssen. Wir werden jetzt erwachsen, und die selbstgemachten Krisen bieten die erste Gelegenheit, unsere Talente zu entfalten. Unsere Talente völlig abzulehnen ist nämlich genauso Teil der Mentalität von Getrenntheit wie andererseits die Überhöhung unserer Talente gegenüber allem anderen in der Natur. Beides sind Formen von Anthropozentrismus. Können wir nicht als gereifte Spezies zurück zur Natur finden?

Abbildung 13.1

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Abbildung 13.2

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Abbildung 13.3

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Abbildung 13.4

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Ich schlage noch zwei weitere Kurven vor, die genauso auf die Datenpunkte passen, die wir bis jetzt haben: Abbildung 13.3 zeigt eine in der Natur sehr häufig vorkommende Kurve: eine Phase des raschen Wachstums, die sich dann abschwächt und einem Gleichgewichtszustand annähert. Diese Kurve könnte das Wachstum eines jungen Menschen, einer Vegetation nach einem Kahlschlag, oder einer Bakterienkolonie auf einer Petrischale mit konstantem Nährstoffgehalt darstellen.

Abbildung 13.4 repräsentiert ein anderes gängiges Muster: Ein Maximum, das über einem langfristig nachhaltigen Niveau liegt, wird gefolgt von einer graduellen Abnahme, die sich einem Gleichgewichtszustand annähert. In der Natur finden wir recht häufig dieses Bild: Auf Phasen mit schnellem Wachstum und starker Konkurrenz folgt ein Übergang in einen Gleichgewichtszustand. Man denke an ein unreifes Ökosystem, in dem Gebüsch und junge Bäume um das Sonnenlicht konkurrieren. Das ist aber nur eine Phase in einem größeren Prozess, der in einem symbiotischen, komplexen, nicht-linearen und stabilen Wald seine Vollendung findet. In einer Wirtschaft und Ideologie, die einem unreifen Ökosystem entsprechen, hielten wir die allgegenwärtige Konkurrenz für natürlich. Vielleicht reift jetzt auch die Menschheit und organisiert sich in symbiotischen Einheiten, in denen Konkurrenz und Wachstum nicht länger dominieren.

Und tatsächlich zeigen jüngste Statistiken keinen Bevölkerungszusammenbruch sondern eine rasche Entschleunigung des Wachstums. Die Bevölkerungszahlen könnten sich asymptotisch etwa 8 oder 9 Milliarden Menschen annähern (Abb. 13.3), oder es könnte zu einem Maximum in dieser Größenordnung kommen, das von einem Rückgang gefolgt wird, bis sich ein Gleichgewichtszustand bei einigen Milliarden einpendelt (Abb. 13.4). Eine ökonomische Interpretation dieser Kurven bedeutet, dass sich die Monetarisierung des Lebens entweder verlangsamen und enden wird (d.h. das ökonomische Wachstum wird graduell schwächer, bis wir ein Gleichgewicht, eine Nullwachstumsökonomie, erreichen), oder es kommt erst zu einer kleinen Rezession, bevor sich die Wirtschaftsleistung auf einem niedrigeren Niveau (einem niedrigeren BIP pro Kopf) als heute einpendelt. Abbildung 13.3 zeigt das erste Szenario, Abbildung 13.4 das zweite. Sowohl für die Bevölkerungsentwicklung als auch für die Wirtschaft rechne ich mit dem zweiten Modell.

Demographische Statistiken stützen diese Annahme. Wenn sich ein Land der vollständigen Industrialisierung annähert, sinken die Geburten in den meisten Fällen sogar unter die Gleichgewichtsrate von zwei Kindern pro Familie. Dadurch sinkt die Bevölkerungszahl wieder leicht – ganz auf natürliche Weise, ohne ein katastrophales Massensterben. Ich denke, dass auf einem heilenden Planeten sowohl das BIP als auch die Bevölkerungszahl in den nächsten drei Dekaden ein Maximum erreichen und dann um ein paar Prozent pro Jahrzehnt abnehmen werden, bis sie ein nachhaltiges Niveau erreicht haben.2

Diese Entwicklung hat schon begonnen: Nach den UN Prognosen von 2006 ist die Fruchtbarkeitsrate der Weltbevölkerung im letzten Jahrzehnt von 2.65 auf 2.55 Lebendgeburten pro Frau gesunken. In den vergangenen 50 Jahren sind die Geburtenraten in den meisten hochindustrialisierten Ländern dramatisch gesunken, meist sogar weit unter das Gleichgewichtsniveau von 2.1. Der Human Development Index (HDI) ist eine Maßzahl für menschlichen Wohlstand, die viele Nachteile des BIP umgeht. Interessanterweise hat sich in den letzten Jahren die negative Korrelation zwischen dem HDI einer Nation und ihrer Fruchtbarkeitsrate am obersten Extrem des HDI umgekehrt. Die Fruchtbarkeitsrate nähert sich also einer ausgeglichenen Reproduktionsrate an, sobald die ökonomische Entwicklung ihre Vollendung erreicht3.

Diese Statistiken weisen auf eine mögliche Entwicklung hin, nicht mehr. Ich werde hier nicht versuchen, die Zukunft vorherzusagen, aber ich denke, dass die verheerenden Folgen der Getrenntheit – z.B.: das zu Geld Machen des “Gesundheitskapitals” – in einer drastisch reduzierten Fruchtbarkeitsrate resultieren und die Sterblichkeit in den nächsten 50 Jahren erhöhen werden. Die Weltbevölkerung rund um das Jahr 2100 könnte etwas niedriger sein als heute. In der Wirtschaft werden wir vieles aus den monetarisierten und privatisierten Bereichen wieder als Commons und als Geschenke zurückgewinnen. Vieles, was heute Ware ist, wird nicht Ware bleiben, sobald neue kooperative Wirtschaftsformen aufkommen, die die lokalen Bedürfnisse besser erfüllen.

Wie schlimm die “Turbulenz” in Abbildung 13.4 für uns sein wird, hängt davon ab, wie weit wir jetzt über das nachhaltige Niveau hinausschießen. Ich glaube, dass wir die Chance für einen schmerzfreien Übergang in den 1960ern verpasst haben, die der natürliche Zenit des Zeitalters der Getrenntheit waren. Und wir haben damals auch einen flüchtigen Eindruck davon erhascht – eine schönere Welt war so nahe! Die Hippies haben sie gesehen und lebten darin für wenige wunderbare Momente, aber die alten Geschichten waren zu stark. Statt dass die Hippies uns in eine neue Welt emporheben konnten, haben wir sie zurück in die unsere gezerrt.

Je länger das Zeitalter der Getrenntheit bestehen bleibt, desto traumatischer wird der Übergang sein, und desto tiefer und abrupter wird der Rückfall auf ein nachhaltiges Niveau werden. Am Scheitelpunkt wird er dem Desaster in Abbildung 13.2 ähneln. Deswegen ist es so wichtig, dass wir beschützen, was uns an Commons geblieben ist, dass wir das Wachstum beschränken und uns den echten Reichtum bewahren, um das Leben nach der Wende zu überstehen. Beschleunigen wir den Crash, um seine Wucht abzumildern! Sogar heute, vierzig verschwendete Jahre nach dem großen Erwachen der 1960er ist es immer noch nicht zu spät für eine sanfte Landung.

13.3 Schwindendes Geld, Wachsender Reichtum

Eine wirtschaftliche Rezession ist das Schreckgespenst für alle politischen Entscheidungsträger, weil sie damit natürlich Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Unruhen verbinden. Ich habe schon erklärt, wie mit einem Negativzinssystem Geld sogar in einer schrumpfenden Wirtschaft zirkuliert, und wie so eine Ungleichverteilung von Reichtum und eine Deflation verhindert werden können. Trotzdem würde die Forderung nach einem negativen Wirtschaftswachstum viele Menschen entsetzen: Hieße das nicht per definitionem, dass die Gesellschaft verarmen würde, dass immer weniger Güter und Leistungen für die Öffentlichkeit zur Verfügung stünden?

Nein. Negatives Wirtschaftswachstum impliziert weder einen Rückgang des Wohlstands noch eine Abnahme an verfügbaren “Waren und Dienstleistungen”, wie wir sie nennen. Zur Erinnerung: Waren und Dienstleistungen sind definiert als das, was gegen Geld ausgetauscht wird. Wenn wir unsere Versorgung über einen anderen, nicht-monetären Mechanismus organisieren, dann kann die statistische “Wirtschaft” ruhig schrumpfen, während die reale Wirtschaft – das, was Menschen füreinander herstellen und tun – reichhaltiger wird.

Ich nehme kein Blatt vor den Mund: In diesem Buch rufe ich zu wirtschaftlichem “Ent-wachstum”, zur Wachstumsrücknahme auf, fordere das Schrumpfen der Wirtschaft und befürworte eine Rezession, die Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauern soll. Offensichtlich hat das Wort “Rezession” heutzutage einen negativen Beigeschmack, obwohl es eigentlich nur eine Zeit des Rückgangs4 bezeichnet. Ich sage ausdrücklich nicht, dass wir unsere Lebensqualität für das Heil des Planeten opfern müssen. Wir müssten einfach nur die Bedeutung des Geldes verringern. Wenn wir in Zukunft differenzierte und verfeinerte Möglichkeiten des Teilens untereinander entwickeln, dann wird das Wirtschaftswachstum nicht mehr so wichtig sein wie heute. Wir müssen keine Meister des Altruismus und der Selbstaufopferung werden und für das Wohl der anderen auf unseren eigenen Genuss verzichten. Wie stark wir doch an der Gleichsetzung von Geld mit dem Eigeninteresse festhalten! Aber das soll nicht so bleiben. Ich möchte anhand einiger Beispiele veranschaulichen, wie wir durch das Schrumpfen der Geldsphäre alle reicher werden können.

Schon heute gibt es eine große Softwareindustrie, die mit sehr wenig Geld auskommt. Ich habe dieses Buch mit OpenOffice geschrieben, einem Softwarepaket, das für eine freiwillige Spende zu haben ist, und das größtenteils von einer Community unbezahlter Programmierer entwickelt wurde. Diese Programmierer werden also nicht mit Geld “bezahlt”, sondern durch das Ansehen bei ihren Kollegen, sozusagen in einer Art sozialen Währung. Ich betrachte ihre Produktivität lieber als Ergebnis einer Schenkökonomie, bei der ganz selbstverständlich Respekt und Dankbarkeit zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft entstehen. In beiden Fällen scheint dieser Produktionsprozess nicht im BIP auf. Wir könnten leicht eine schrumpfende “Wirtschaft” haben, die immer mehr und bessere Produkte wie OpenOffice hervorbringt. Und je mehr es davon gibt, desto weniger Geld benötigen wir; je weniger Geld wir brauchen, desto mehr Freizeit haben wir; je mehr Freizeit wir haben, desto eher können wir es uns leisten, unsere eigenen Angebote für die Schenkökonomie zu machen.

Mit den heutigen Produktionsmethoden liegen die Grenzkosten für viele Güter fast bei null. Das gilt für fast alle digitalen Produkte wie Software, Musik, Filme, und so weiter. Die Herstellung der ersten Einheit mag beträchtliche Summen verschlingen, aber danach sind die Kosten pro Einheit im Grunde null. Die Industrie hat daher versucht, eine künstliche Knappheit durch Urheberrechte, Maßnahmen zur digitalen Rechteverwaltung etc. zu erzeugen. Wie absurd, dass wir die Urheber digitaler Inhalte nur so belohnen können, indem wir ihr Produkt vielen Menschen vorenthalten, denen es nutzen würde. Jeder Mensch könnte auf jeden Film, jedes Musikstück und jedes Computerprogramm, das es gibt, Zugriff haben, und das würde die Hersteller nicht mehr kosten als jetzt. Güter, die nicht knapp sind, sollten nicht in einer knappen Währung bezahlt werden. Tatsächlich haben es viele Hersteller nicht-knapper Güter schon aufgegeben, eine künstliche Knappheit aufrechtzuerhalten. Sie versuchen stattdessen Geld zu verdienen, indem sie um freiwillige Zahlungen bitten, Werbung verkaufen, für technischen Support oder für Training Geld verlangen, oder in der Musikbranche Live Konzerte organisieren. Zeit, Aufmerksamkeit und Raum am Veranstaltungsort sind knappe Ressourcen, und die passen viel besser zur Geldlogik. Dennoch ist das Nettoergebnis ein wirtschaftlicher Wachstumsrückgang. Wie ein Blogger sagt:

“Ihre Grundidee ist es, im Windschatten von freiem Inhalt monetarisierte Hilfsdienste zu verwenden: Linux Distributions bieten technischen Support und Benutzeranpassung an, Musikfirmen verkaufen zertifizierte authentische Kopien, die in einer angenehmen Umgebung erhältlich sind, Phisch verkauft Konzerttickets etc. Was sie aber nicht adäquat berücksichtigen ist, dass der Gesamterlös, der durch solche Dienste erzielt wird, niedriger ist als das, was geschützte Inhalte eingebracht haben. … Die Einnahmen von Encarta5 haben viel weniger Geld eingebracht, als sie an Tauschwert für die Encyclopaedia Britannica u.A. vernichtet haben. Und Wikipedia hat Milliarden an Nettogewinn für beides, gedruckte Enzyklopädien und Encarta, vernichtet.”6

Wenn sich dieser Trend fortsetzt (und das scheint der Fall zu sein, weil immer mehr traditionelle Medien online gehen), werden wir erleben, wie größerer Reichtum mit einer geringeren (Geld-) Wirtschaft einhergehen kann.

Digitale Waren sind ein drastisches Beispiel für ein viel allgemeineres Phänomen. Die Stückkosten für viele andere Produkte tendieren gegen null. Beispielsweise liegen die tatsächlichen Produktionskosten der meisten Medikamente im Centbereich pro Tablette. Sogar industrielle Massenware wie Schrauben kostet viel weniger als in der Vergangenheit. Sie kosten nicht nur weniger Geld und menschliche Arbeitskraft, sondern oft weniger Energie. Das ist der Erfolg jahrzehnte- oder jahrhundertelanger kumulativer Innovation. Auch das ist Teil unseres heiligen Erbes – in diesem Fall des kulturellen, nicht des natürlichen Erbes -, auf das alle Menschen das gleiche Anrecht haben.

Die Evolution hin zu einer heiligen Ökonomie ist Teil einer viel größeren zivilisatorischen Transformation. Parallele Entwicklungen finden in der Medizin, der Erziehung, der Agrikultur, der Regierung, der Wissenschaft, ja in allen unseren kulturellen Institutionen statt. Veränderungen in jedem einzelnen Bereich verstärken Veränderungen in anderen Bereichen. Das trifft auch auf die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Hinwendung zur Naturmedizin zu. Vor gerade einmal hundert oder zweihundert Jahren haben nur sehr wenige Menschen für medizinische Behandlung bezahlt. Es gab ein informelles Netzwerk von Wanderheilern und Pflanzenkundigen, und bei den häufigsten Krankheiten waren Großmütter und Nachbarn zur Stelle. Wissen über Heilpflanzen war weit verbreitet und wurde gewöhnlich ohne Bezahlung angewendet. Selbst wenn Pflanzenheilkunde – und die meisten anderen Formen von Naturmedizin – vollständig professionalisiert wären, hätten sie ein viel niedrigeres Profitpotential als die Hightech-Medizin. Im Vergleich zu den komplexen hochtechnologischen Prozessen in der pharmazeutischen Medizin ist pflanzliche Medizin billig herzustellen. Viele der besten Heilpflanzen sind fast allgegenwärtige Kräuter. Eine Verlagerung hin zur pflanzlichen Medizin, zur Homöopathie, und zu den zahllosen ganzheitlichen Praktiken, die heute florieren, verursacht einen wirtschaftlichen Wachstumsrückgang und zieht dennoch keine Reduktion an Lebensqualität nach sich.7

Auch in der Architektur und Stadtplanung ist wirtschaftliche Wachstumsrücknahme wichtig. Die riesigen, unpersönlichen Vorstädte, die in den letzten zwei Generationen entstanden sind, trennen uns von der Gemeinschaft, von der Natur und selbst von der Wohnumgebung. Außerdem verschlingen sie enorme Mengen an Ressourcen. Jetzt entdecken die Planer und Bauherren die Vorzüge des dichten städtischen Designs wieder: kleinere Wohneinheiten, öffentlicher Verkehr und Mehrfachnutzung, und damit einhergehend ein geringerer Bedarf an Privatautos. Alle diese Veränderungen verursachen eine wirtschaftliche Schrumpfung: weniger “Waren” wie Straßen, Treibstoff und Bauholz werden gebraucht. Mit lebendigeren öffentlichen Räumen haben Menschen auch weniger das Bedürfnis nach riesigen privaten Flächen. Menschen in einer Gemeinschaft brauchen weniger von außen produzierte Unterhaltung, und sie haben mehr Gelegenheit, miteinander zu teilen und einander zu helfen. All das bedeutet einen Rückgang an Aktivitäten, die über Geld vermittelt werden.

13.4 Disintermediation und die P2P-Revolution

Eine andere Ursache für das Schrumpfen der Wirtschaft ist die Disintermediation, die das Internet ermöglicht hat. Disintermediation beschreibt das Wegfallen von Intermediären, also Vermittlern, zwischen verschiedenen Wirtschaftsakteuren: Agenten, Broker, Mittelsmänner… Craigslist8 zum Beispiel hat nach Schätzungen 10 Milliarden Dollar der jährlichen Umsätze durch Werbung vernichtet und durch nur 100 Millionen Dollar ersetzt, die Craigslist selbst erwirtschaftet.9 Auch Google hat Werbung effizienter (billiger) gemacht, nicht nur, indem Werbeeinkünfte von bestehenden Medien abgezogen wurden, sondern auch, indem Google die Werbeausgaben in der Sparte insgesamt verringert hat. (Die Werbeausgaben in allen Medien sind 2009 insgesamt um 9% gesunken.) So wie die Werbung immer billiger wurde, wurde sie natürlich auch immer allgegenwärtiger, aber jetzt wächst die Werbeindustrie kaum mehr. Ja, wir erleben die Zeit des “Peak Advertising” – das Gemeingut der öffentlichen Aufmerksamkeit ist gesättigt. Ich hoffe die Leserin, der Leser ist nicht allzu traurig über das Ende des Wachstums in der Werbebranche, obwohl sie einen bedeutenden Beitrag zum Wachstum des BIP geleistet hat. Mittlerweile ersetzt die soziale Vernetzung gratis viele der traditionellen Funktionen von Werbung und Marketing, für die früher bezahlt wurde. Ebenso hat die Blogosphäre viele Funktionen der traditionellen Nachrichtenverbreitung übernommen, wiederum zu viel geringeren Kosten. Das gleiche gilt für Reisebüros, Aktienhandel und andere Branchen, in denen Broker und Agenten nicht mehr benötigt werden. All das trägt zur wirtschaftlichen Deflation bei.

Disintermediation und Open Source Software sind beides Teile eines generelleren Phänomens, der sogenannten Peer-to-Peer (P2P) Revolution. Die alte hierarchische und zentral organisierte Verwaltung von Verteilung und Produktion benötigte viel mehr Geld und menschliche Arbeit. Darüber hinaus trennte der hohe Spezialisierungsgrad innerhalb dieser Strukturen die Menschen immer mehr voneinander, was den Austausch von Geschenken schließlich verunmöglichte.

Disintermediation betrifft sogar das Kreditsystem und unterwandert die traditionelle Rolle der Banken als Vermittler zwischen Investoren und Kreditnehmern. Konzerne umgehen die Banken, indem sie sich direkt über die Geldmärkte finanzieren, während Einzelpersonen einander über P2P Kreditvergabewebsites wie LendingClub oder Prosper.com Geld borgen können. Weitere Wege, wie die Informationstechnologie die Rolle zentralisierter Vermittlungsinstitutionen verringert, sind kommerzielle Clearing Ringe, Mutual Factoring Systeme und kommerzielle Tauschnetzwerke, die ich später behandeln werde. All diese Entwicklungen reduzieren das BIP, indem weniger für “Finanzdienstleistungen” ausgegeben wird.

Weil diese immer billiger werdenden Leistungen der “Informationsökonomie” ein Produktionsfaktor auf jedem anderen Sektor sind, ist der Wachstumsrückgang ansteckend. Das gilt sogar für jene Wirtschaftszweige, die wir für Wachstumsbranchen halten. Im Jahr 2000 wurden zum Beispiel 371 Mrd. Dollar für PC Hardware (darunter sind auch Kosten für Drucker, Wartung und Datenspeicherung) ausgegeben. Bis 2009 ist die Zahl auf 326 Mrd. Dollar zurückgegangen. Offensichtlich ist der Rückgang nicht darauf zurückzuführen, dass wir weniger Computer kaufen, nein: Die Kosten sind so dramatisch gefallen!

Werbeeinschaltungen sind die gängigste Methode, um im Internet Geld zu machen. Somit hängt die Größe der gesamten digitalen Wirtschaft davon ab, wieviel an Werbeaufwand sich die physische Wirtschaft leisten kann. Aber das Internet kannibalisiert sich selbst: Websites, die gratis Produktbewertungen und Suchwerkzeuge für Preisvergleiche anbieten, machen genau damit die Werbeeinschaltungen überflüssig, über die sie sich finanzieren.

Das Geschäftsmodell, das bisher in der Menschheitsgeschichte immer funktionierte (finde etwas, das Menschen für sich selbst oder für andere im Rahmen einer Schenkökonomie tun, nimm es ihnen weg, und verkaufe es ihnen wieder), wird umgekehrt. Das Internet erlaubt Menschen endlich wieder, Dinge für sich und für einander zu tun, ohne dafür zu bezahlen. Eric Reasons kommentiert:

“Vielleicht fällt es uns deswegen so schwer, Wege zu finden, verschiedene Internet Services wie Twitter, Facebook und YouTube zu monetarisieren: weil sie nicht monetarisiert werden können … oder zumindest nicht in den Größenordnungen wie in den Wirtschaftszweigen, die sie verdrängen. Genau das erfahren gerade die Printmedien auf die harte Tour, und sie versuchen auf ein online- Modell umzusteigen.”10

Das Internet ermöglicht eine partizipatorische Schenkökonomie, ein P2P Netzwerk, in dem es keine klare Trennung zwischen Erzeuger und Verbraucher gibt. Wenn wir Neuigkeiten, Produktempfehlungen und Musik über unsere online Netzwerke teilen, verrechnen wir niemandem unsere “Informationsdienstleistungen”. Das ist eine Schenkökonomie. Der Inhalt der meisten Websites ist auch kostenlos zugänglich. Reasons schließt daraus:

“Wir sollen an unsere Zukunft in einer wissensbasierten Wirtschaft glauben, aber niemand hat herausgefunden, wie wir damit eigentlich echtes Geld verdienen können. Und die, die damit Geld machen (Craiglist, Google), verdienen Cents statt früher Dollars in den alten Märkten, die sie durch Innovation gekippt oder praktisch eliminiert haben. Das liegt nicht daran, dass wir einfach noch nicht das Business Modell gefunden hätten. Innovation führt zu Effizienz und nicht zu Wachstum und übt einen deflationären Druck auf die aufgeblähten Industriezweige aus. Außerdem sind wir es, die Endverbraucher selbst, die das weitgehend tun, weil wir etwas schaffen und teilen und nicht nur konsumieren wollen.”

Während die Hinwendung zurück zu einer partizipatorischen Schenkökonomie neu ist, hat die Bedrohung durch Überkapazitäten und Unterbeschäftigung dem Kapitalismus seit Jahrhunderten Schwierigkeiten bereitet. Das zeigt, dass wir für unser Überleben gar nicht so hart arbeiten müssen. Tatsächlich steht uns der Anbruch eines Zeitalters der Muße bevor – und das schon seit die ersten industriellen Maschinen in Verwendung kamen, Maschinen, die “die Arbeit von tausend Männern ersetzen” konnten. Aber nirgendwo zeichnet sich die Erfüllung des Versprechens ab, dass bald alle tausendmal weniger schwer arbeiten müssten. Und hier verspreche ich es noch einmal. Wird sich diese Vision genauso als Illusion entpuppen? Nein. Der grundlegende Unterschied ist, dass wir uns nicht mehr allein auf technologische Verbesserungen der Effizienz verlassen werden, um mehr freie Zeit zu gewinnen. Der Schlüssel ist Wachstumsrücknahme, nicht Effizienz. Das widerspricht scheinbar der Intuition: Wachstumsrücknahme – eine wirtschaftliche Rezession – soll den wahren Reichtum für alle herbeiführen?

In einer Wachstumsökonomie wird die Arbeitskraft, die eigentlich durch technologischen Fortschritt entlastet werden könnte, eingesetzt, um immer mehr Zeug zu produzieren. Wenn man 1870 zehn Arbeitsstunden brauchte, um die nötigen Güter für einen Haushalt herzustellen, braucht man heute nur mehr eine Arbeitsstunde dafür. Im Gegenzug verleitet uns unser System dazu, zehn mal mehr zu konsumieren als die Haushalte im Jahr 1870. Der amerikanische Verbraucher ist angeblich der Motor des globalen Wirtschaftswachstums. Reichtum wird mit endlos wachsendem Konsum gleichgesetzt; jeden Monat einen neuen Computer, ein neues Auto jedes Jahr, ein größeres Haus alle fünf Jahre, mehr, größer, besser. Das scheint verrückt, aber es ist in unserem gegenwärtigen System wirtschaftlich notwendig, weil die Deflation um die Ecke lauert und nur auf den Tag wartet, an dem der Konsum hinter die Produktivitätszuwächse zurückfällt.

Ich sehe keinen abrupten Übergang zu der Wirtschaft, die ich beschreibe. Lassen Sie uns nachsichtig sein und zulassen, dass es eine Zeit brauchen wird, bis wir die so lange vorherrschenden Gewohnheiten der Sklaverei überwunden haben werden. Ich prognostiziere einen Wachstumsrückgang von ca. 2%. Damit wird sich in einer Generation unser Rohstoffverbrauch und auch die Verschmutzung von Luft und Wasser um etwa die Hälfte reduzieren. Ebenso wird sich der Zeitaufwand vermindern – Zeit für Liebe, statt sie an Arbeit für Geld zu verschwenden. Schließlich wird die Geschwindigkeit des Wachstumsrückgangs abnehmen und die Wirtschaft in ein paar hundert Jahren von jetzt an einen Zustand im Gleichgewicht mit dem Planeten erreichen.

Das System, das ich beschrieben habe, bietet eine Alternative zum Größer, Besser, Mehr, auf das zwingend ein katastrophaler Zusammenbruch folgt. Negativzinsen ermöglichen weiterhin produktive Investitionen und sichern die Geldzirkulation, selbst wenn die Kapitalrendite null oder weniger ist. Währungen, die durch Commons gedeckt sind, erlauben es den Arbeitskräften, sich nicht-konsumatorischen Prozessen zu widmen. Als nächstes möchte ich einen dritten Puzzlestein beschreiben: die soziale Dividende, welche die Kaufkraft von Arbeitnehmern sicherstellt, ohne dass sie in der geldbezogenen Wirtschaft eine Vollzeit-Anstellung brauchen.

1 Mangels eines deutschen Worts für “Degrowth” wurde hier der Begriff “Postwachstumsökonomie” gewählt, wobei sich Eisenstein natürlich nicht direkt auf das von Niko Paech formulierte Modell (siehe: postwachstumsoekonomie.org) bezieht. Es besteht allerdings eine relativ große inhaltliche Überlappung zwischen den beiden Modellen, Anm. d.Ü.

2 Das BIP wird rascher und weniger sanft abnehmen als die Bevölkerungszahlen, vielleicht mit 1- 2% pro Jahr oder etwa 50% pro Generation. Das ist ein globaler Maßstab. In manchen Ländern wird das Wachstum länger andauern als in anderen.

3 Quelle: Ed Yong: “Fertility Rates Climb Back Up in the Most Developed Countries.” August 5, 2009. http://scienceblogs.com/notrocketscience/2009/08/fertility_rates_climb_back_up_in_the_most_developed_countrie.php

4 lat. recedere: zurückgehen Anm. d. Ü.

5 Encarta ist eine von Microsoft herausgegebene digitale Multimedia- Enzyklopädie, Anm.d.Ü.

6Kevin Caron: “Abundance Creates Utility but Destroys Exchange Value.” 2. Februar 2010. http://blog.p2pfoundation.net/abundance-creates-utility-but-destroys-exchange-value/2010/02/02.

7 Natürlich gibt es Fälle, in denen die technologische Medizin überlegen ist. Sie ist der Kräutermedizin unterlegen, wenn es um die Behandlung der meisten chronischen Erkrankungen geht, aber sie ist in den meisten Notfallsituationen unübertroffen. Ich plädiere nicht für ihre Abschaffung, nur dafür, dass sie sich auf ihr Spezialgebiet beschränkt. Das gilt auch für die anderen aufgeblähten Institutionen, die unsere Gesellschaft beherrschen.

8 Anm.d.Ü.: Laut Wikipedia ist Craigslist ein zentrales Online-Netzwerk mit Anzeigenseiten für alle möglichen Bedürfnisse (Jobs, Wohnungen, Handwerker, Service, Foren usw.), das im englischen Sprachraum weit verbreitet ist.

9 Jeff Jarvis: “When Innovation Yields Efficiency.” Buzz Machine, 12. Juni 2009. www.buzzmachine.com/2009/06/12/when-innovation-yields-efficiency/.

10 Eric Reasons: “Innovative Deflation.” 5. Juli 2009.

http://blog.ericreasons.com/2009/07/innovative-deflation.html

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